Die Dirne von Richard Zoozmann

Du sagst: ich habe gold’nes Haar
Und himmelblaue Gucker,
Ein rosenrotes Brüstepaar
Und einen Mund wie Zucker.
 
Und alles, was ich hab und bin,
Was dich beglückt und freuet,
Ich geb dir’s jede Stunde hin
Und hab’s noch nicht bereuet.
 
Ja, schlürfen will ich tief und lang
10 
Vom süssen Kelch der Wonnen –
11 
Wenn klirrend er in Scherben sprang
12 
Und alles Glück zerronnen:
 
13 
Dann ist’s noch Zeit, noch immer Zeit,
14 
Trübsal verzagt zu blasen -
15 
Mein einsam Bett ist schnell bereit
16 
Unter dem kühlen Rasen!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.1 KB)

Details zum Gedicht „Die Dirne“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
16
Anzahl Wörter
88
Entstehungsjahr
nach 1879
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Dirne“ stammt vom Autor Richard Zoozmann und entstammt dem Spätrealismus des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.

Beim ersten Lesen wirkte das Gedicht äußerst offen und direkt, ohne den eigentlichen Berufsstatus des lyrischen Ichs zu verschleiern. Es gibt auch eine ziemlich starke Provokation und Herausforderung des Lesers, die auf einen Anstoß zur Reflektion über gängige Moral- und Wertesysteme hindeuten könnte.

Der Inhalt des Gedichts besteht aus der Selbstbeschreibung und Selbstwahrnehmung der „Dirne“. Sie beschreibt sich selbst als schön und ansprechend (goldenes Haar, himmelblaue Augen, rosenrote Brüste und süßer Mund) und betont auch ihre Bereitschaft, sich ständig sexuell auszunutzen, ohne es zu bereuen. Sie zeigt auch ihre Absicht, ihr Leben in vollen Zügen zu genießen („schlürfen...vom süßen Kelch der Wonnen“), selbst wenn ihr Glück zu Ende geht und ihre Lebensumstände sich ändern würden. Später im Gedicht deutet sie auf ihren Tod hin und die Idee, dass ihr Bett schnell bereit unter dem kühlen Rasen sein wird. Das Interaktionsverhältnis zum angesprochenen Du bleibt dabei intersubjektiv unklar, es könnte sowohl eine potentielle Freier-Klientel als auch ein allgemeines bürgerliches Publikum adressiert sein.

Formal besteht das Gedicht aus vier Strophen mit jeweils vier Versen, und es gibt einen mehr oder weniger geregelten Jambus mit teilweise weiblichen und teilweise männlichen Kadenzen. Die Sprache ist direkt und unverschönt, mit sehr drastischen und anschaulichen Beschreibungen. Die Wortwahl und der Sprachduktus können als sehr volkstümlich und damit der sozialen Herkunft des lyrischen Ichs entsprechend interpretiert werden.

Insgesamt wirkt das Gedicht wie eine direkte Anklage und eine Herausforderung an die moralischen Vorurteile und Stereotypen des Lesers gegenüber der Prostitution und den Frauen, die sie praktizieren. Gleichzeitig ist es ein starkes Werk der Selbstbehauptung und der Ermächtigung, das die Dirne als Akteurin und nicht nur als Opfer darstellt.

Das Gedicht könnte auch dazu dienen, eine Diskussion über die Verhältnisse und Zwänge zu provozieren, die Frauen in die Prostitution treiben, und ihre Fähigkeit, trotz aller Widrigkeiten noch eine gewisse Autonomie und Selbstbestimmung zu behalten. Dabei wird jedoch nicht verkannt, dass dies nur bis zu einem gewissen Punkt möglich ist und die Dirne letztlich trotz aller Auflehnung in der Notwendigkeit einer Art freiwilligen Todes endet, der hier mit der Metapher des kühlen Rasens und des bereiten Bettes angedeutet wird. Es bleibt damit insgesamt ein zutiefst ambivalentes und verstörendes, aber auch sozialkritisches und in gewisser Art feministisches Gedicht.

Weitere Informationen

Richard Zoozmann ist der Autor des Gedichtes „Die Dirne“. Im Jahr 1863 wurde Zoozmann in Berlin geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1879 bis 1934 entstanden. Der Erscheinungsort ist Köln [u.a.]. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus, Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zu. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 88 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 16 Versen. Die Gedichte „Heil dem Maien!“, „Das Glück“ und „Alte Liebe“ sind weitere Werke des Autors Richard Zoozmann. Zum Autor des Gedichtes „Die Dirne“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de keine weiteren Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Richard Zoozmann (Infos zum Autor)