Unterwegs von Hedwig Lachmann

Ich wandre in der großen Stadt. Ein trüber
Herbstnebelschleier flattert um die Zinnen,
Das Tagwerk schwirrt und braust vor meinen Sinnen,
Und tausend Menschen gehn an mir vorüber.
 
Ich kenn' sie nicht. Wer sind die vielen? Tragen
Sie in der Brust ein Los wie meins? Und blutet
Ihr Herz vielleicht, von mir so unvermutet,
Als ihnen fremd ist meines Herzens Schlagen?
 
Der Nebel tropft. Wir alle wandern, wandern.
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Von dir zu mir erhellt kein Blitz die Tiefen.
11 
Und wenn wir uns das Wort entgegenriefen
12 
Es stirbt im Wind und keiner weiß vom andern.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (23.9 KB)

Details zum Gedicht „Unterwegs“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
12
Anzahl Wörter
93
Entstehungsjahr
1865 - 1918
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht ist von Hedwig Lachmann, geboren am 29. August 1865 und gestorben am 21. Februar 1918. Eine zeitliche Einordnung des Gedichts ist unter Berücksichtigung des Lebenszeitraums der Autorin in das ausgehende 19. und frühe 20. Jahrhundert möglich, eine genaue zeitliche Einordnung ohne zusätzliche Informationen jedoch schwierig.

Beim ersten Lesen des Gedichts entsteht ein Eindruck von Melancholie und Einsamkeit in der anonymen Masse einer Großstadt. Das lyrische Ich scheint isoliert und allein in der großen Menschenmenge, umgeben vom trüben Nebel des Herbstes.

Inhaltlich geht es in dem Gedicht um das anonyme und entfremdete Leben in einer Großstadt. Das lyrische Ich stellt sich die Frage, ob die vielen Unbekannten, die ihm täglich begegnen, ein ähnlich empfindendes Inneres besitzen – oder ob ihre Herzen, ihre Gefühle und Gedanken ihm völlig fremd sind. Diese Unwissenheit und Unsicherheit über die Innenwelt der anderen, gepaart mit der Unmöglichkeit einer wirklichen Begegnung, verursacht beim lyrischen Ich eine tiefe Melancholie und ein Gefühl der Vereinsamung.

Formal besteht das Gedicht aus drei gleich strukturierten Strophen mit jeweils vier Versen. Die poetische Sprache ist dabei recht einfach und direkt, jedoch mit einer starken emotionalen Wirkung. Das verwendete sprachliche Bild des Nebelschleiers unterstreicht die Atmosphäre von Undurchsichtigkeit und Distanz, die das lyrische Ich empfindet und die zwischen den Menschen in der Großen Stadt herrscht. Zudem zeigt die Wiederholung des Wortes „wandern“ die ständige Bewegung und den Fluss des anonymen Stadtlebens, in dem das lyrische Ich sich verloren fühlt. Insgesamt vermittelt das Gedicht trotz seiner scheinbar simplen Sprache eine tiefgehende Aussage über die Entfremdung und das Gefühl der Isolation in einer Großstadt.

Weitere Informationen

Hedwig Lachmann ist die Autorin des Gedichtes „Unterwegs“. 1865 wurde Lachmann in Stolp, Pommern (Polen) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1881 und 1918. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten der Autorin lassen eine Zuordnung zu den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus oder Avantgarde / Dadaismus zu. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 93 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 12 Versen mit insgesamt 3 Strophen. Hedwig Lachmann ist auch die Autorin für das Gedicht „Schwermut“, „In die Ferne“ und „Am Abend“. Zur Autorin des Gedichtes „Unterwegs“ haben wir auf abi-pur.de keine weiteren Gedichte veröffentlicht.

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