Das Märchen vom Glück von Ernst Eckstein

Sie sind allein, denn die Mutter kehrt
Zu Nacht erst vom Felde zurück ...
Durchs Fenster rauschet die Linde,
Und die Alte erzählet dem Kinde
Das sonnige Märchen vom Glück.
 
Sie erzählt vom verwunschenen Königssohn
Und der boshaft grollenden Fee,
Vom Schloß am Felsenstrande,
Vom wilden Wogengebrande
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Und der Fischerhütte am See.
 
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Und der Prinz vertrauerte Jahr um Jahr
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Als Schlange im dumpfigen Grund ...
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Er wand sich in güldenen Ketten,
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Ein Kuß nur konnte ihn retten,
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Ein Kuß von rosigem Mund.
 
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Des Fischers liebliches Töchterlein
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Trug hohen, herrlichen Sinn;
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Er aber machte die Holde
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Zu seiner Königin!
 
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Großmutter schweigt, und das Spinnrad schnurret,
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Und das Mägdlein sitzt wie gebannt;
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Und es faltet die Hände im Schoße
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Und heftet das Auge, das große,
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Starr träumend an die Wand.
 
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Großmutter, wie schön, o wie einzig schön!
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Großmutter, o wäre das wahr!
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Großmutter, mir würde nicht bange,
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Wie gerne umarmt' ich die Schlange
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Trotz Schauer und Todesgefahr!
 
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Warum nur hat man das alles erdacht,
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Wenn's nie sich auf Erden begab ...?
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Mir wird in der Seele so wehe
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Wie in des Kirchhofs Nähe,
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Wie vor des Vaters Grab!
 
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Sei stark, du zitterndes Kinderherz,
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Und dränge die Tränen zurück!
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Uns alle hat es belogen,
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Uns alle hat es betrogen,
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Das sonnige Märchen vom Glück!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.7 KB)

Details zum Gedicht „Das Märchen vom Glück“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
39
Anzahl Wörter
208
Entstehungsjahr
1845 - 1900
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Das Märchen vom Glück“ wurde von Ernst Eckstein verfasst, einem deutschen Schriftsteller, Übersetzer und Journalisten, der im Zeitraum 1845-1900 lebte, also im späten 19. Jahrhundert.

Beim ersten Lesen weckt das Gedicht einen Eindruck von Melancholie und Sehnsucht. Man nimmt das lyrische Ich wahr, das in einer Art innere Auseinandersetzung über das Glück und seine Träume nachdenkt. Dies geschieht in der Szenerie des Zuhörens einer Märchenstunde, welche von einer Großmutter an ein Kind gerichtet ist.

Im Zentrum des Gedichts steht die Nacherzählung eines Märchens, in dem ein verzauberter Königssohn von einer Prinzessin, die hohen, herrlichen Sinn trägt, durch einen Kuss gerettet wird und sie zu seiner Königin macht. Durch diese Geschichte wird das Kind in der Fantasie gefangen, spürt die Sehnsucht, auch so tapfer und liebevoll zu sein, um die Schlange zu umarmen, trotz der Gefahr, die dies mit sich bringt.

Doch zugleich kommt auch eine Kritik am Märchen auf, wenn das Kind hinterfragt, warum solche Geschichten erdacht wurden, wenn sie sich nie auf Erden zutragen. Es verbindet das Märchen mit Einsamkeit und Trauer, die es beim Gedanken an den Kirchhof und das Grab des Vaters empfindet.

Am Ende erhält das Kind jedoch einen Rat, stark zu sein, die Tränen zurückzuhalten und sich nicht von dem Märchen vom Glück täuschen zu lassen.

Die Form des Gedichts besteht aus insgesamt acht Strophen, wobei die meisten Strophen aus fünf Versen bestehen. Eckstein verwendet eine einfache und verständliche Sprache, die es leicht macht, dem Inhalt zu folgen und sich die Szenen bildlich vorzustellen.

Insgesamt handelt es sich also um ein Gedicht, das auf der einen Seite die Fantasie und die Träume, die Märchen in uns wecken können, darstellt und auf der anderen Seite die Traurigkeit und Enttäuschung beschreibt, die damit einhergehen können, wenn diese Träume nicht der Realität entsprechen. Dabei liegt ein Fokus auf der Perspektive eines Kindes, was zusätzlich eine emotional-getrübte Sicht auf die Welt und die Sehnsucht nach Glück und Liebe aufzeigt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Das Märchen vom Glück“ des Autors Ernst Eckstein. Im Jahr 1845 wurde Eckstein in Gießen geboren. In der Zeit von 1861 bis 1900 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das vorliegende Gedicht umfasst 208 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 39 Versen. Das Gedicht „Die Verlassene“ ist ein weiteres Werk des Autors Ernst Eckstein. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Das Märchen vom Glück“ keine weiteren Gedichte vor.

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