Goethe, Johann Wolfgang von - Iphigenie auf Tauris (Übungsaufsatz, 4. Aufzug, 4. Auftritt)

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Referat

Johann Wolfgang von Goethe „Iphigenie auf Tauris“ (Übungsaufsatz, 4. Aufzug, 4. Auftritt)

Aufgabe: Interpretiere den folgenden Textauszug aus Johann Wolfgang von Goethes „Iphigenie auf Tauris“. Analysiere den Gesprächsverlauf und die Positionen, die die beiden Gesprächspartner vertreten. Begründe anhand epochentypischer Merkmale, weshalb die Szene der Epoche der Weimarer Klassik zuzuordnen ist.

Gliederung / Inhalt

Lösungsansatz

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), der unter anderem als Jurist tätig war, war zusammen mit Friedrich Schiller der Hauptvertreter der Weimarer Klassik. Seine früheren Werke wie beispielsweise „Die Leiden des jungen Werther“, entstanden allerdings in der Epoche des Sturm und Drang. Außerdem zählt zu seinen bekanntesten Werken die Tragödie „Faust“, an welcher er sein Leben lang schrieb. Im Folgenden wird eine Szene aus seinem klassischen Drama „Iphigenie auf Tauris“ näher untersucht.

In dem Drama „Iphigenie auf Tauris“ von Johann Wolfgang von Goethe, das im Jahre 1779 veröffentlicht wurde, geht es um Iphigenie, die von ihrem Vater Agamemnon während des Trojanischen Krieges geopfert wurde, um auf der Insel Tauris der Göttin Diana als Priesterin zu dienen.

In dem vierten Auftritt im vierten Akt des Dramas diskutieren Iphigenie und ihr Bruder Pylades über ihre geplante Flucht, denn Pylades und sein Freund Orest sollten laut dem König Thoas durch Iphigenie für die Göttin Diana geopfert werden. Sie beide vertreten jedoch unterschiedliche Standpunkte, denn obwohl sie fliehen wollen, hält Iphigenie es für moralisch verwerflich zu lügen, Pylades findet es ehrenhafter und sinnvoller in einer Notsituation nicht die Wahrheit zu sagen. Der Gesprächsverlauf dieses Dialoges ist symmetrisch, beide haben einen ungefähr gleichen Gesprächsanteil, weil sie als Geschwister auf einer Ebene stehen.

Anfänglich ist Pylades‘ Schwester melancholisch gestimmt (Vgl. S. 34,V. 10), bis ihr Bruder sie versucht zu beruhigen, indem er ihr versichert, dass es normal ist, sich zu fürchten (Vgl. S. 35, V. 1ff.). Im Verlauf des Gesprächs gewinnt Iphigenie an Sicherheit, bis Pylades sie belehrt, und ihr vorwirft, zu idealistisch zu denken (S. 35, V. 23f.). Außerdem gehört es zum Menschsein dazu, Fehler zu begehen, weil man kein Gott ist. Man soll nicht streng mit sich selbst sein (Vgl. S. 35, V.19f.). Anschließend gesteht Iphigenie, dass ihr Bruder sie „fast zu seiner Meinung überredet habe“ (S. 36, V. 1). Sie meint, dass Pylades an ihrer Stelle auch zögern würde, und wirkt schließlich verzweifelt, weil sie nicht den Mut fassen kann, weshalb sie sich wünscht, wie ein Mann kühl handeln zu können (Vgl. S. 36, V.13ff.). Iphigenies Klagen über die Rolle der Frau zieht sich durch das gesamte Werk, denn schon am Anfang stellt sie fest, dass Männer mehr Freiheiten haben als Frauen.

Zum Schluss dominiert Pylades das Gespräch, weil er stichfeste Argumente einbringt, und sogar behauptet, dass Götter selbst in der Not so handeln würden (S. 36, V. 20f.)

Das gesamte Drama ist im Blankvers geschrieben und das Metrum ist ein fünfhebiger Jambus. Eine sprachliche Auffälligkeit wäre die Personifikation „Betrüglich schloss die Furcht mit der Gefahr ein enges Bündnis; beide sind Gesellen“ (S. 35, V. 2-3). Damit soll Iphigenie bestärkt werden, dass es verständlich ist Angst davor zu haben Thoas zu hintergehen, aber es in einer Gefahrensituation unvermeidbar ist. Auf S. 34, V. 2ff. und V. 11f. erkennt man einen Vergleich, indem das Motiv der Sonne wiederkehrt. Die Sonne steht für die Hoffnung auf eine positive Zukunft. Jedoch sorgt sie sich, ob ihr Plan gelingen wird „wie leichte Wolken vor der Sonne“. Zudem ist auf S. 35 V. 6-15 eine Stichomythie zu erkennen, die verdeutlicht, dass die Geschwister unterschiedliche Meinungen haben und Iphigenie sich zunächst nicht von Pylades überzeugen lässt. Pylades stellt seiner Schwester auf S. 36, V. 2ff. zwei rhetorische Fragen, womit er hofft sie endgültig überzeugen, und unterstreicht, dass sie keine Wahl in der Situation hat.

In dieser Szene wird Iphigenie mit einer wichtigen Entscheidung konfrontiert, und muss herausfinden, was das Richtige ist. Einerseits findet sie es moralisch verwerflich, den König anzulügen, vor allem weil sie ihn als ihren „zweiten Vater“ (S. 35, V.4) bezeichnet. Sie will sich Thoas nicht undankbar zeigen, da er ihr auch Gutes getan hat. (Vgl. S. 35, V.9) Iphigenie lässt sich von ihrem Herzen leiten, sie fühlt was richtig ist, und möchte auch nicht dagegen ankämpfen (Vgl. S. 35, V. 12-16).

Allerdings meint Pylades, dass es in dieser Situation nicht undankbar wäre, da sie sich in einer Notsituation befinden, bei der es um Leben und Tod geht (Vgl. S. 35, V. 8). Er fordert seine Schwester dazu auf, vernünftig zu handeln, anstatt nur auf ihr Gefühl zu hören (S. 35, V. 14). Es wäre viel ehrenhafter das Leben von zwei Personen zu retten, denen sie nahesteht und ihre Familie von dem Fluch zu befreien.

Diese Szene ist entscheidend, denn sie führt später dazu, dass Iphigenie den König zunächst belügt, er jedoch gleich vermutet, dass etwas nicht stimmen kann. Die Priesterin wagt es schließlich doch ihm die ganze Wahrheit zu erzählen, in der Hoffnung, dass er Verständnis für sie hat. Sie findet schließlich eine Lösung, bei der sie Thoas nicht hintergehen muss, und er ihr sogar das Verlassen der Insel erlaubt.

Das Drama stammt aus der Epoche der Weimarer Klassik, da Werte wie die Humanität durch Iphigenie vermittelt werden. Sie hat eine „schöne Seele“ nach Friedrich Schiller, weil ihr naturgetriebener Seelenteil und ihre Vernunft harmonieren, indem sie fliehen will, aber sich nicht dazu bringen kann, Thoas anzulügen. Sie handelt aus ihrem Instinkt heraus moralisch richtig, was die Schönheit ihres Charakters ausmacht. Hier ist zudem die Versöhnung zweier Gegensätze zu sehen, das Streben nach Vollkommenheit und Perfektion.

In dieser Zeit war die Antike das Schönheitsideal, an dem man sich orientieren sollte. Die Handlung spielt deswegen in der Antike, während des Trojanischen Krieges. Die Geschichte ist auch ein Teil der griechischen Mythologie. Ein weiterer Indikator ist der Autor selbst, Johann Wolfgang von Goethe, der wie bereits erwähnt, eine entscheidende Persönlichkeit in der Weimarer Klassik ist.

Abschließend kann man sagen, dass die Szene die Wirkung auf den Zuschauer hat, dass er selbst darüber nachdenkt, was wohl aus seiner Sicht das Richtige zu tun wäre. Er soll aber auch wie Iphigenie belehrt werden, dass das Ideal der Humanität nicht erreicht werden kann, weil ihre Denkweise zu idealistisch ist.

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Textauszug

Iphigenie. Pylades.

PYLADES.

Wo ist sie? daß ich ihr mit schnellen Worten
Die frohe Botschaft unsrer Rettung bringe!

IPHIGENIE.

Du siehst mich hier voll Sorgen und Erwartung
Des sichern Trostes, den du mir versprichst.

PYLADES.

Dein Bruder ist geheilt! Den Felsenboden
Des ungeweihten Ufers und den Sand
Betraten wir mit fröhlichen Gesprächen;
Der Hain blieb hinter uns, wir merkten's nicht.
Und herrlicher und immer herrlicher
Umloderte der Jugend schöne Flamme
Sein lockig Haupt; sein volles Auge glühte
Von Mut und Hoffnung, und sein freies Herz
Ergab sich ganz der Freude, ganz der Lust,
Dich, seine Retterin, und mich zu retten.

IPHIGENIE.

Gesegnet seist du, und es möge nie
Von deiner Lippe, die so Gutes sprach,
Der Ton des Leidens und der Klage tönen!

PYLADES.

Ich bringe mehr als das; denn schön begleitet,
Gleich einem Fürsten, pflegt das Glück zu nahn.
Auch die Gefährten haben wir gefunden.
In einer Felsenbucht verbargen sie
Das Schiff und saßen traurig und erwartend.
Sie sehen deinen Bruder, und es regten
Sich alle jauchzend, und sie baten dringend,
Der Abfahrt Stunde zu beschleunigen.
Es sehnet jede Faust sich nach dem Ruder,
Und selbst ein Wind erhob vom Lande lispelnd,
Von allen gleich bemerkt, die holden Schwingen.
Drum laß uns eilen, führe mich zum Tempel,
Laß mich das Heiligtum betreten, laß
Mich unsrer Wünsche Ziel verehrend fassen!
Ich bin allein genug, der Göttin Bild
Auf wohlgeübten Schultern wegzutragen:
Wie sehn' ich mich nach der erwünschten Last!

Er geht gegen den Tempel unter den letzten Worten, ohne zu bemerken, daß Iphigenie nicht folgt; endlich kehrt er sich um.

Du stehst und zauderst – sage mir – du schweigst!
Du scheinst verworren! Widersetzet sich
Ein neues Unheil unserm Glück? Sag' an!
Hast du dem Könige das kluge Wort
Vermelden lassen, das wir abgeredet?

IPHIGENIE.

Ich habe, teurer Mann; doch wirst du schelten.
Ein schweigender Verweis war mir dein Anblick.
Des Königs Bote kam, und wie du es
Mir in den Mund gelegt, so sagt' ich's ihm.
Er schien zu staunen und verlangte dringend,
Die seltne Feier erst dem Könige
Zu melden, seinen Willen zu vernehmen;
Und nun erwart' ich seine Wiederkehr.

PYLADES.

Weh uns! Erneuert schwebt nun die Gefahr
Um unsre Schläfe! Warum hast du nicht
Ins Priesterrecht dich weislich eingehüllt?

IPHIGENIE.

Als eine Hülle hab' ich's nie gebraucht.

PYLADES.

So wirst du, reine Seele, dich und uns
Zugrunde richten. Warum dacht' ich nicht
Auf diesen Fall voraus und lehrte dich
Auch dieser Fordrung auszuweichen!

IPHIGENIE.

Schilt
Nur mich, die Schuld ist mein, ich fühl' es wohl;
Doch konnt' ich anders nicht dem Mann begegnen,
Der mit Vernunft und Ernst von mir verlangte,
Was ihm mein Herz als Recht gestehen mußte.

PYLADES.

Gefährlicher zieht sich's zusammen; doch auch so
Laß uns nicht zagen oder unbesonnen
Und übereilt uns selbst verraten. Ruhig
Erwarte du die Wiederkunft des Boten,
Und dann steh fest, er bringe, was er will:
Denn solcher Weihung Feier anzuordnen,
Gehört der Priesterin und nicht dem König.
Und fordert er, den fremden Mann zu sehn,
Der von dem Wahnsinn schwer belastet ist,
So lehn' es ab, als hieltest du uns beide
Im Tempel wohl verwahrt. So schaff' uns Luft,
Daß wir aufs eiligste, den heil'gen Schatz
Dem rauh unwürd'gen Volk entwendend, fliehn.
Die besten Zeichen sendet uns Apoll,
Und eh' wir die Bedingung fromm erfüllen,
Erfüllt er göttlich sein Versprechen schon.
Orest ist frei, geheilt! – Mit dem Befreiten
O führet uns hinüber, günst'ge Winde,
Zur Felseninsel, die der Gott bewohnt;
Dann nach Mycen, daß es lebendig werde,
Daß von der Asche des verloschnen Herdes
Die Vatergötter fröhlich sich erheben,
Und schönes Feuer ihre Wohnungen
Umleuchte! Deine Hand soll ihnen Weihrauch
Zuerst aus goldnen Schalen streuen. Du
Bringst über jene Schwelle Heil und Leben wieder,
Entsühnst den Fluch und schmückest neu die Deinen
Mit frischen Lebensblüten herrlich aus.

IPHIGENIE.

Vernehm' ich dich, so wendet sich, o Teurer,
Wie sich die Blume nach der Sonne wendet,
Die Seele, von dem Strahle deiner Worte
Getroffen, sich dem süßen Troste nach.
Wie köstlich ist des gegenwärt'gen Freundes
Gewisse Rede, deren Himmelskraft
Ein Einsamer entbehrt und still versinkt.
Denn langsam reift, verschlossen in dem Busen,
Gedank' ihm und Entschluß; die Gegenwart
Des Liebenden entwickelte sie leicht.

PYLADES.

Leb' wohl! Die Freunde will ich nun geschwind
Beruhigen, die sehnlich wartend harren.
Dann komm' ich schnell zurück und lausche hier
Im Felsenbusch versteckt auf deinen Wink –
Was sinnest du? Auf einmal überschwebt
Ein stiller Trauerzug die freie Stirne.

IPHIGENIE.

Verzeih! Wie leichte Wolken vor der Sonne,
So zieht mir vor der Seele leichte Sorge
Und Bangigkeit vorüber.

PYLADES.

Fürchte nicht!
Betrüglich schloß die Furcht mit der Gefahr
Ein enges Bündnis: beide sind Gesellen.

IPHIGENIE.

Die Sorge nenn' ich edel, die mich warnt,
Den König, der mein zweiter Vater ward,
Nicht tückisch zu betrügen, zu berauben.

PYLADES.

Der deinen Bruder schlachtet, dem entfliehst du.

IPHIGENIE.

Es ist derselbe, der mir Gutes tat.

PYLADES.

Das ist nicht Undank, was die Not gebeut.

IPHIGENIE.

Es bleibt wohl Undank; nur die Not entschuldigt's.

PYLADES.

Vor Göttern und vor Menschen dich gewiß.

IPHIGENIE.

Allein mein eigen Herz ist nicht befriedigt.

PYLADES.

Zu strenge Fordrung ist verborgner Stolz.

IPHIGENIE.

Ich untersuche nicht, ich fühle nur.

PYLADES.

Fühlst du dich recht, so mußt du dich verehren.

IPHIGENIE.

Ganz unbefleckt genießt sich nur das Herz.

PYLADES.

So hast du dich im Tempel wohl bewahrt;
Das Leben lehrt uns, weniger mit uns
Und andern strenge sein: du lernst es auch.
So wunderbar ist dies Geschlecht gebildet,
So vielfach ist's verschlungen und verknüpft,
Daß keiner in sich selbst, noch mit den andern
Sich rein und unverworren halten kann.
Auch sind wir nicht bestellt, uns selbst zu richten;
Zu wandeln und auf seinen Weg zu sehen,
Ist eines Menschen erste, nächste Pflicht:
Denn selten schätzt er recht, was er getan,
Und was er tut, weiß er fast nie zu schätzen.

IPHIGENIE.

Fast überredst du mich zu deiner Meinung.

PYLADES.

Braucht's Überredung, wo die Wahl versagt ist?
Den Bruder, dich und einen Freund zu retten,
Ist nur ein Weg; fragt sich's, ob wir ihn gehn?

IPHIGENIE.

O laß mich zaudern! denn du tätest selbst
Ein solches Unrecht keinem Mann gelassen,
Dem du für Wohltat dich verpflichtet hieltest.

PYLADES.

Wenn wir zugrunde gehen, wartet dein
Ein härtrer Vorwurf, der Verzweiflung trägt.
Man sieht, du bist nicht an Verlust gewohnt,
Da du, dem großen Übel zu entgehen,
Ein falsches Wort nicht einmal opfern willst.

IPHIGENIE.

O trüg' ich doch ein männlich Herz in mir,
Das, wenn es einen kühnen Vorsatz hegt,
Vor jeder andern Stimme sich verschließt!

PYLADES.

Du weigerst dich umsonst; die ehrne Hand
Der Not gebietet, und ihr ernster Wink
Ist oberstes Gesetz, dem Götter selbst
Sich unterwerfen müssen. Schweigend herrscht
Des ew'gen Schicksals unberatne Schwester.
Was sie dir auferlegt, das trage: tu,
Was sie gebeut. Das andre weißt du. Bald
Komm' ich zurück, aus deiner heil'gen Hand
Der Rettung schönes Siegel zu empfangen

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