Lichtenstein, Alfred - Die Dämmerung (Gedichtinterpretation & Analyse)

Schlagwörter:
Alfred Lichtenstein, Analyse und Interpretation, geschichtliche Einordnung, Aussage, Intention, Referat, Hausaufgabe, Lichtenstein, Alfred - Die Dämmerung (Gedichtinterpretation & Analyse)
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Referat

Die Dämmerung - Alfred Lichtenstein

Die Dämmerung ist ein Gedicht von Alfred Lichtenstein. Es gehört zu den bekanntesten expressionistischen Gedichten der deutschen Literatur. Am 18. März 1911 ist es erstmalig in der Zeitschrift „Der Sturm“ erschienen. Der Titel des Gedichts fand 1913 auch für die einzige Gedichtsammlung des Autors Verwendung, bevor er 1914 in den ersten Wochen des Ersten Weltkriegs fiel.

Alfred Lichtenstein:

  • 1889-1914
  • Expressionist
  • entstammt aus einer Arbeiterfamilie
  • Abiturabschluss
  • studierte Rechtswissenschaften
  • bekannteste Werk: Dämmerung (=Gedichtsammlung)
  • verstarb im Krieg

Alfred Lichtenstein wurde am 23. August 1889 in Berlin-Wilmersdorf geboren und verstarb am 25. September 1914 bei Vermandovillers, Somme in Frankreich. Lichtenstein war ein deutscher expressionistischer Schriftsteller.

Aus einer jüdischen Familie stammend wuchs Lichtenstein in Berlin als Sohn eines Fabrikanten auf. Er studierte Rechtswissenschaften in Erlangen. Seine erste Beachtung erlangte er durch die Veröffentlichung von Gedichten und Kurzgeschichten in einem grotesken Stil, der zum Vergleich mit einem Freund von ihm, Jakob van Hoddis, einlud.

Tatsächlich gab es Behauptungen über Nachahmung: Während Hoddis den Stil schuf, hat Lichtenstein ihn erweitert, wie es hieß. Lichtenstein spielte mit diesem Ruf, indem er eine Kurzgeschichte mit dem Titel „Der Sieger“ schrieb, die auf skurrile Weise die zufällige Freundschaft zweier junger Männer beschreibt, wobei einer dem anderen zum Opfer fällt. Mit falschen Namen machte er sich oft über echte Menschen aus der Berliner Literaturszene lustig, darunter Kuno Kohn, ein stiller, schüchterner Junge; in „Der Sieger“ tötet ein männlicher Van Hoddis Kuno Kohn am Ende der Geschichte.

Lichtenstein bewunderte den Stil des französischen Schriftstellers Alfred Jarry nicht nur in seinen ironischen Schriften, sondern fuhr wie er mit dem Fahrrad durch die Stadt. Allerdings sollte er nicht alt werden: im Jahr 1914 fiel er im Ersten Weltkrieg an der Front.

Einordnung

  • Expressionismus (1905-1925)
  • Themen: Angst, Krieg, Verfall
  • emotional, gefühlsbetont
  • inneres Befinden = wichtiger als die äußere Handlung
  • wachsendes Leid in der Bevölkerung
  • Armut, Prostitution, Krankheiten, Hunger
  • Verstädterung als Folge der Industrialisierung
  • Arbeitskasernen (Familien in Ein-Zimmer-Wohnungen)
  • Politische Spannungen
  • Imperialismus, Verteilung der Welt
  • Großmachtstreben, Wettrüsten und Konkurrenz
  • 1914 Ausbruch des ersten Weltkrieg

Gedichtaufbau

  • 3 Strophen mit je 4 Versen
  • Kreuzreim → trister Alltag, immer wiederkehrendes
  • Abwechselnde männliche und weibliche Kadenzen
  • 5 hebige Jamben → plump und monoton, gleichmäßig
  • Zeilen-Reihungsstil → Ein Satz nach dem Anderen (charakteristisch Expressionismus)

Hypothese zur Überschrift „Dämmerung“

  • Gefahr, Angst, Bedrohung
  • düster und hinterhältig
  • Vorahnung und Vermutung → es dämmert
  • Ungewissheit, Unruhe

Lyrisches Ich

  • Angehöriger der normalen Bevölkerung
  • Hoffnungslos
  • Funktion: Beobachter → beschreibt Geschehen ohne zu kommentieren
  • gelangweilt, wirkt passiv und träge
  • zeigt seine Welt dem Leser → führt ihn durch seinen Alltag

Interpretation

„Ein dicker Junge spielt mit einem Teich“ → dicker Junge = abwertend

  • Seeflotte, Wettrüsten mit England (britisches Flottenabkommen „mit“)

„Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.“ → Personifizierung „gefangen“

  • Stagnation, etwa geht schief

„Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich, Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.“

  • Himmel ohne Schminke = triste Zukunft
  • Schminke = Tarnung aufgeflogen, MakeUp überdeckt „Problemzonen“
  • Deutschland zeigt sein wahres Gesicht
  • Adjektiv „bleich“ – Angst und Schreck, Krankheiten und Elend der Arbeiter
  • „verbummelt“ → ziellos, planlos, tollpatschig
  • Wo soll das noch hinführen?

„Auf lange Krücken schief herabgebückt Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahme.“

  • Viel reden, nichts machen
  • Widerspruch: lange Krücken, tief herabgedrückt
  • „Krücken“ = Zeichen der Erschöpfung, Arbeiter sind ausgelaugt durch Kriegsvorbereitung
  • „lahm“ – nichts passiert, Monotonie
  • „schwatzend“ – abwertend und spöttisch

„Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt. Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.“

  • Lyrisches Ich findet seinen Alltag lächerlich, spöttisch und albern
  • „blond“ – Dummheit (Manche lassen sich täuschen, ich nicht)
  • Pferd und Dame = Schachfiguren (Deutschland als Schachfigur im Imperialismus)
  • „stolpert“ – Ungeschicktheit, Spott und Versagen

„An einem Fenster klebt ein fetter Mann.“

  • Variante 1: hat sich aus Verzweiflung erhängt
  • Variante 2: „glotzt“ nur blöd, macht nichts
  • Lyrische Ich ist verärgert und schämt sich für den lachhaften und nicht lebenswert erscheinenden Alltag

„Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.“

  • Andeutung Prostitution? „weich“ – leicht zu haben (Normalität in der damaligen Zeit)

„Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an.“

  • Widerspruch: lustiger Clown und graue Farbe (alles geht durcheinander)
  • Schuhe = Symbol der Arbeit (Kriegsdienst?)
  • Humor und Freude sind verloren gegangen
  • Leben = hart

„Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen.“

  • Kinderwagen = Symbol für Jugend und Unschuld
  • Keine Zukunft → Sehnsucht und Verzweiflung
  • Unwohlsein „schreit“ – Hilferuf
  • JEDER ist betroffen (Tiere und Unschuldige Kinder)
  • Vermenschlichung – Hund flucht

Stilmittel (stilistische Mittel)

  • viele negative Adjektive wie „dick“, „verbummelt“, „bleich“, „schief“, „schwatzend“, „grau“
  • Am Ende:
    • Anapher „Ein“ → lyrisches Ich will schnell fertig werden
    • Parallelismus → Lasst uns nicht länger darüber reden
    • Situation wirkt uninteressant, träge und monoton
  • Kurze Sätze (Parataxen)
  • Pferdchen → Diminutiv – lächerlich und spöttisch
  • Himmel → menschliche Eigenschaften: verbummelt und benutzt Schminke (= Symbol für Regierung, Staat)
  • Gegensätze und Unstimmigkeiten: „grauer Clown“ und „lange Krücken“ - lyrisches Ich versteht das Chaos nicht, kann nicht nachvollziehen

weitere eingesetzte Mittel:

  • Simultanstil: Beim Reihungs- oder Simultanstil bildet der Autor kurze zusammenhanglose Verse oder Metaphern.
  • Zeilenstil: Beim Zeilenstil stimmt jeder Vers mit einem Satz (einer Aussage) überein.
  • Plagiarismus: bezeichnet den Diebstahl geistigen Eigentums.
  • Epigone: „Nachkomme“, Nachahmung, Kopie.
  • Anapher: Wiederholung eines oder auch mehrerer Wörter an Satz-/Versanfängen.
  • grotesk: absonderlich, verzerrt; phantastisch, lächerlich, absurd.
  • Nihilist: Person, die alle idealistischen und wertehaften Inhalte einer Idee, Überzeugung oder eines Glaubens ablehnt.
  • Zyniker: Mensch, der das Schlechteste von anderen denkt und auch erwartet und in seiner Art zu anderen Menschen spöttisch und verletzend ist.

Aussage / Intention

Dem tristen, monotonen Alltagsleben ausgesetzt, blickt das lyrische Ich im Jahre 1913 in eine düstere Zukunft, in der nur das Überleben des jeweiligen Tages und nicht die Umsetzung individueller Wünsche und Träume im Mittelpunkt steht. 1913 war das Jahr vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges. Passivität und Trägheit gehören zum Alltagsleben des lyrischen Ichs, welches bereits spürt, dass Deutschland auf eine katastrophale Zukunft zusteuert, in welcher man machtlos und unbedeutend der ausweglosen Situation ausgesetzt ist.

  • eine Welt in Unordnung, sieht für den Menschen nicht gut aus
  • Die Menschen bewegen sich zwischen sinnlosem Spiel und Krankheit. Oder aber sie geben sich einfachen Tätigkeiten hin - ohne dabei höhere Ziele zu verfolgen
  • Am Ende deutet sich das Verschwinden der Menschen an - ihre Rolle wird von Gegenständen oder auch Tieren übernommen. Es bleibt - nur ein Schrei - und der wird begleitet von Flüchen (typisch für den Expressionismus).

Geschichtliche Einordnung

Nach der Ersterscheinung im März 1911 erschien das Gedicht „Die Dämmerung“ im Oktober desselben Jahres auch im „Simplicissimus“. Das Gedicht war auch in der gleichnamigen Sammlung enthalten, die 1913 in Alfred Richard Meyers Reihe „Lyrische Flugblätter“ veröffentlicht wurde. Kurt Pinthus nahm es im Jahr 1920 in die Anthologie expressionistischer Lyrik „Menschheitsdämmerung“ auf.

Lichtenstein gilt als „Vollender und Popularisator des Reihungsstil-Gedichts“, Das Gedicht „Die Dämmerung“ ist dafür ein gutes Beispiel. Das expressionistische Gedicht erinnert an das kurz zuvor entstandene Gedicht „Weltende“ von Jakob van Hoddis. Wobei Lichtenstein „in seinem Gedicht die Reihe der kleinen und großen Katastrophen, die auf das ‚Weltende‘ hindeuten, auf eine Grundbefindlichkeit der expressionistischen Generation kurz vor dem Ersten Weltkrieg zurückgeführt [hat]: auf die Erfahrung, in einer verrückt gewordenen Welt zu leben“ (Wulf Segebrecht: Verrückte Welt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 19. Juni 2010, S. Z4 (Bilder und Zeiten)).

Selbstkritik (1913) von Alfred Lichtenstein:

„Absicht ist, die Unterschiede der Zeit und des Raumes zugunsten der Idee zu beseitigen. Das Gedicht will die Einwirkung der Dämmerung auf die Landschaft darstellen. In diesem Fall ist die Einheit der Zeit bis zu einem gewissen Grade notwendig. Die Einheit des Raumes ist nicht erforderlich, deshalb nicht beachtet. In den zwölf Zeilen ist die Dämmerung am Teich, am Baum, am Feld, am Fenster, irgendwo … in ihrer Einwirkung auf die Erscheinung eines Jungen, eines Windes, eines Himmels, zweier Lahmer, eines Dichters, eines Pferdes, einer Dame, eines Mannes, eines Jünglings, eines Weibes, eines Clowns, eines Kinderwagens, einiger Hunde, bildhaft dargestellt. (Der Ausdruck ist schlecht, aber ich finde keinen besseren.)“

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