Artensterben und genetische Verarmung

Schlagwörter:
Genetik, Massensterben, Referat, Hausaufgabe, Artensterben und genetische Verarmung
Themengleiche Dokumente anzeigen

Referat

 

Artensterben und genetische Verarmung
 
  
 
 
 
 


 
Einleitung
Die Zahlen zum Artensterben, die Organisationen wie die International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) oder das United Nations Environmental Programme (UNEP) veröffentlichen, geben Anlass zur Besorgnis. Das Verschwinden von Arten als natürlicher Prozess in der Evolution begleitet das Leben auf der Erde seit seinen Anfängen. Doch der Mensch erhöht diese natürliche Artenrate scheinbar um einen Faktor, der zwischen 1.000 und 40.000 liegt. Sollten sich diese Zahlen als annähernd korrekt erweisen, so ist es verständlich, dass der gegenwärtige Artenverlust als „6. Massensterben“ bezeichnet wird. Durchschnittlich sterben pro Stunde 3 bis 5 Arten, was hochgerechnet 25.000 bis 43.000 Arten pro Jahr entspricht[1]. Schreitet das Artensterben in diesem Tempo voran, so muss in absehbarer Zeit mit Auswirkungen auf das Ökosystem zu rechnen sein. Es genügt also nicht, nur nach Ursachen und Wirkungen eines globalen Artensterbens zu suchen, sondern mit Nachdruck auch Möglichkeiten zur Beendigung des gegenwärtigen Trends aufzuzeigen.
 
 
Zunächst Bedarf es der Erklärung bzw. Eingrenzung des Artbegriffes. Es existiert eine Vielzahl von Möglichkeiten der Artabgrenzung wie etwa nach rein morphologischen Gesichtspunkten oder anhand ihrer Phylogenese. Die meisten Betrachtungen stützen sich aber auf das biologische Artkonzept, wonach eine Art „eine Gruppe von miteinander kreuzenden Populationen [ist], die von Populationen (d.h. von Arten) reproduktiv isoliert sind. Die reproduktive Isolation hat eine genetische Grundlage.[2]
1992 waren weltweit ca. 1,5 Millionen Arten katalogisiert und erfasst[3]. Schätzungen bewegen sich zwischen 5 und 100 Millionen Arten, was bedeuten würde, dass unter Umständen weniger als 2% aller Arten erfasst sind.[4]
 
Fossilfunde belegen, dass sehr viel mehr Arten im Laufe der rund 3,7 Milliarden Jahre währenden Evolution entstanden und wieder ausgestorben sind als heute rezent existieren. Es wird geschätzt, dass 99% aller jemals lebenden Arten ausgestorben sind[5]. Entstehung neuer Arten und ihr Aussterben ist Programm und Ablauf der Evolution. Weniger gut an die Umwelt angepasste Arten werden verdrängt und ersetzt. Sehr spezialisierte Arten reagieren auf sich ändernde Umweltbedingungen sensibler und sterben womöglich ebenfalls aus.
Es ist aber nur schwer abzuschätzen, wie groß diese natürliche Aussterberate, das sogenannte „Hintergrundrauschen“, ist. Für Säugetiere und Vögel ist die natürliche Aussterberate relativ gut abschätzbar. Die durchschnittliche Lebenserwartung einer Säugetierart, basierend auf Fossilfunden, beträgt 106 Jahre. Ferner wird davon ausgegangen, dass die Gruppe der Säugetiere mit ihren momentan bekannten 5000 rezenten Arten vollständig erfasst ist. Anhand einer einfachen und logischen Gleichung kann die natürliche Aussterberate (En) ermittelt werden.  
Im Vorliegenden Beispiel würde dies bedeuten, dass En=200 Jahre betragen würde. Allerdings sind laut IUCN (seit 1600) nachweislich bereits 77 Säugetierarten ausgestorben, was eine 40fach erhöhte Aussterberate bedeutet. Doch ist Artensterben kein Phänomen der Gegenwart, sondern wurde anhand von Fossilfunden für mehrere Abschnitte der Erdgeschichte nachgewiesen.
 
Sterben in einer nach erdgeschichtlichen Maßstäben verhältnismäßig kurzen Zeitspanne eine große Anzahl von Arten systematisch ganz verschiedener Ordnungen aus, so spricht man von einem Massensterben[6]. Paläontologen haben 5 dieser Massensterben in Gesteinsschichten der letzten 440 Mio. Jahre nachweisen können. Sie nehmen an, dass gegen Ende des Ordoviziums (440 Mio. Jahre), im Devon (360 Mio. Jahre), am Übergang Perm/Trias (240 Mio. Jahre) sowie gegen Ende der Trias selbst Massensterben stattgefunden haben. Das bekannteste der 5 großen Massensterben kennzeichnet den Übergang zwischen Kreide und Tertiär vor rund 65 Millionen Jahren und bedeutete das Aussterben den Dinosaurier.
Die historischen Massensterben unterscheiden sich u.a. hinsichtlich der Anzahl der ausgestorbenen Familien und in der Zeit, bis eine ähnliche Artenvielfalt wieder erreicht wurde. Ausgehend vom Anteil der ausgestorbenen Familien war das Massensterben am Übergang Perm/Trias das bisher größte. Es wird angenommen, dass 54% aller Familien ausgestorben sind, was von Engelhardt mit dem Aussterben von 75‑90% der Arten gleichgesetzt wird.[7] Aufgrund ihrer zeitlichen Nähe und des großen Einschnittes werden die 3. und 4. Aussterbewelle oft zu einem Ereignis zusammengefasst. Dies spiegelt sich auch in dem ungewöhnlich großen Zeitraum (100 Mio. Jahre) wieder, den die Evolution zur Wiederherstellung einer annähernden Artenvielfalt benötigte. Bei den anderen bekannten Massensterben lag dieser Zeitraum nur zwischen 20 und 30 Mio. Jahren.
Die Ursache der ersten 4 Massensterben sind vermutlich globale Eiszeiten, deren Entstehung insbesondere im Ordovizium und Devon durch die polnahe Lage des Großkontinents Gondwana begünstigt wurde.
Das 5. Massensterben (Kreide-Tertiär-Grenze) wird mit einem Meteoriteneinschlag in Verbindung gebracht (Chixulub-Impakt), der gewaltige Staubmengen in die Atmosphäre verbrachte und womöglich auch eine weltweit erhöhte Vulkanaktivität hervorrief. Beides soll, nach Aussagen vieler Wissenschaftler, zu einer Abschwächung des einfallenden Sonnenlichts und somit zu globaler Abkühlung geführt haben - mit entsprechenden Konsequenzen für das Ökosystem.
 
 
Fundstättendatierung und deren räumliches Verteilungsmuster[10] lassen den Schluss zu, dass bereits der Homo erectus für das Aussterben einiger Arten innerhalb der Ordnung der Probiscidea verantwortlich zu machen ist. Phase I wird im wesentlichen durch die Besiedlung der Kontinente durch den Menschen charakterisiert. Sie beginnt mit der Besiedlung Europas vor ungefähr 600.000 Jahren und endet vor ca. 10.000 Jahren mit der Erschließung Amerikas. Auf jedem Kontinent sind große Tierarten (Megafauna[11]) in einem Zeitraum ausgestorben, für den erste Spuren menschlicher Besiedlung nachgewiesen wurden. Es ist anzunehmen, dass der Mensch durch Bejagung großer, leicht zu erbeutender Arten zu deren Aussterben beigetragen hat oder sogar ursächlich dafür verantwortlich ist. Neben der Jagd kann auch eine vom Menschen hervorgerufene Umweltveränderung in Betracht gezogen werden. Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass der Mensch durch Brandrodung ein neues Ökosystem geschaffen hat, in dem viele Arten nicht überleben konnten[12].
 
1.3.2. Phase II
Phase II umfasst den Zeitraum von ca. 10.000 v.Chr. bis heute. In dieser Zeit wurden die letzten großen Inseln wie z.B. Madagaskar (vor 2.000 Jahren) oder Neuseeland (vor 700 Jahren) von Menschen besiedelt. Für Neuseeland ist nachgewiesen worden, dass der Moa, ein großer, flugunfähiger Vogel, durch Überjagung und Habitatvernichtung ausgerottet wurde. Doch auch der „moderne“ Mensch rottete große Tierarten wie Dodo (Raphus cucullatus)[13] und Riesenschildkröten (beide als willkommene Abwechslung auf den Speiseplänen von Schiffsbesatzungen) oder den Riesen‑Alk (Pinguinus impennis) durch Überjagung aus.
Des weiteren führte und führt der Mensch auf seinen Reisen neue Tier- und Pflanzenarten in Ökosysteme ein, die einheimische Arten verdrängen und so deren Aussterben herbeiführen können. So starb eine auf Stephen Island (Neuseeland) endemische Zaunkönigart (Xenicus lyalli) durch den Jagdinstinkt der Hauskatze des Leuchtturmwärters aus.[14]
Doch die wohl größte Bedrohung für Populationen und ganze Arten sind Habitatvernichtung und Klimawandel. Beide Phänomene richten sich nicht gegen einzelne Arten, sondern beeinflussen ganze Ökosysteme.
In den letzten Jahrzehnten wurden Eintrag von Schadstoffen, Abholzung von Waldgebieten, Ausbreitung der Kulturlandschaft (zusammengefasst unter „Habitatvernichtung“) als größte Gefahr angesehen[15]. So sollen seit Beginn der Landkonversion zwischen 1% und 29% aller Arten ausgestorben sein17. Doch muss bereits an dieser Stelle erwähnt werden, dass Habitatvernichtung nicht zwangsläufig mit dem Untergang der dort lebenden Arten verbunden ist. So ist zumindest ein Fall bekannt, bei dem die Vernichtung von Regenwald nicht mit dem zu erwarteten Artensterben einherging. Zoologen fanden auch Jahre später noch alle vorher erfassten Arten wieder und entdeckten darüber hinaus Arten wieder[16], die in diesem Gebiet als ausgestorben galten
Viele Wissenschaftler sehen im gegenwärtigen Klimawandel eine gravierendere Ursache. Sollten sich die Prognosen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zum Klimawandel und die Modelle von Thomas et al[17] zum Artensterben als richtig erweisen, so würden zwischen 15 und 37% der Arten aussterben. Selbst unter günstigsten Annahmen wie einem minimalen globalen Temperaturanstieg und gleichzeitiger großer Mobilität der Populationen, werden immer noch 11% der Arten diese Veränderungen der Umwelt nicht überleben. Doch wird die Möglichkeit der Flora und Fauna, in Gebiete mit passenden Klimabedingungen vorzudringen, durch die zunehmende Fragmentierung der Landschaft behindert17.
 
Untersuchungen an Schmetterlingspopulationen in Finnland[18] ergaben, dass die Aussterbewahrscheinlichkeit einer Population (und somit unter Umständen die Aussterbewahrscheinlichkeit der ganzen Art) unter anderem von der Populationsgröße abhängt. Je mehr Individuen vorhanden sind, desto unwahrscheinlicher ist das Aussterben der Art. Die Gefahren einer kleinen Population liegen in der Zunahme von Inzucht und damit verbunden oft einer schlechteren Anpassung an Umweltbedingungen[19]. Individuen mit negativen Mutationen unterliegen in großen Populationen einem viel größeren Selektionsdruck. Entfällt diese innerartliche Konkurrenz, droht ein schleichendes Sterben der Art. Die negativen Mutationen breiten sich aus und können bei geringen Klimaänderungen den Tod der gesamten Population zur Folge haben
Als ungefährer Richtwert zur Einstufung, ob das Überleben einer Art gesichert werden kann, gilt die sogenannte „50-500-Regel“.[20] Abhängig von der Art und ihrer Reaktion auf Inzucht und der Anzahl der Nachkommen, liegt die minimale Populationsgröße innerhalb dieses Fensters. Neben diesem genetischen Aspekt spielt auch die Wahrscheinlichkeit eine nicht zu vernachlässigende Rolle. So steigt z.B. die Wahrscheinlichkeit, dass sämtliche Nachkommen n einer Generation das gleiche Geschlecht haben, nach der Formel[21] W=2∙0,5n bei geringen Populationsgrößen stark an. Wobei es nicht nötig ist, dass sämtliche Nachkommen das gleiche Geschlecht haben, um eine Art an den Rand des Aussterbens zu bringen. Nimmt man an, dass es in einer Population von 500 Individuen zu keiner (annähernden) statistischen Gleichverteilung von ca. 250 Männchen und ca. 250 Weibchen kommt, sondern der (mit abnehmender Populationsgröße wahrscheinlicher werdende) Fall eintritt, dass nur 50 Individuen weiblich sind und 450 männlich, so schrumpft die fortpflanzungsfähige Population von 250 auf 50 Paare. Zu Beachten ist hierbei allerdings, dass sich nicht alle Arten in Bezug auf Fortpflanzungsverhalten und -art gleichen.
Zusätzlich zur Populationsgröße ist die Habitatgröße von entscheidender Bedeutung. Sie wirkt sich nicht nur direkt auf die Populationsgröße (kleines Habitat ‑ weniger Individuen einer Art) aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass kleine Gebiete von Extremereignissen (Feuer etc) vollständig vernichtet werden und somit auch die dort lebende Art, steigt mit abnehmender Habitatgröße. Nicht zu letzt deshalb sind endemische Arten so stark gefährdet.
 
Jede Art, sogar jedes Individuum stellt einen Speicher genetischer Informationen (Gene) dar. Die Menge der Gene pro Individuum schwankt hierbei erheblich. Bakterien weisen bis zu 1.000, einige höhere Pflanzen bis zu 400.000 Gene[22] auf. Die Gesamtheit aller Gene einer Art wird als „Genpool“ bezeichnet. Da sich jedes Individuum einer höheren Art vom anderen hinsichtlich seiner genetischen Variabilität unterscheidet (Ausnahmen: eineiige Zwillinge, Parthogenese, vegetative Fortpflanzung), schrumpft der Genpool bereits bei einer abnehmenden Populationsgröße und nicht erst beim Aussterben einer ganzen Art[23]. Ein vom Menschen beschleunigtes Artensterben führt also unweigerlich zu einer genetischen Verarmung.
 
Die Folgen einer zunehmenden genetischen Verarmung sind vermutlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abzuschätzen. Begegnet man dem Problem pragmatisch, so liegt die größte Gefahr einer genetischen Verarmung in erhöhter Anfälligkeit der Kultur- und Nutzpflanzen für Krankheitserreger und Schädlinge. Der Mensch greift gegenwärtig auf 3.000 Nutzpflanzenarten[24] zurück, wobei allein Reis, Mais und Weizen den allergrößten Teil der produzierten Kohlehydrate ausmachen. Eine zunehmende genetische Verarmung führt bei Nutzpflanzen zu einer sehr starken innerartlichen Ähnlichkeit. Resistenzzüchtungen sind daher problematischer. Es fehlen die genetischen Varianten, die eine Resistenz gegen einen bestimmten Erreger aufweisen. Eine (Wieder-) Einkreuzung ist daher nicht möglich. Zusätzlich werden Hochleistungssorten gezüchtet, die unter Idealbedingungen (Boden, Klima, Nähstoffverfügbarkeit) ein Maximum an Ertrag versprechen. Diese werden oft als Ersatz für lokale, an Standortbedingungen angepasste, Sorten angepflanzt. Die lokale Kultursorte wird ersetzt und stirbt aus. Ein Prozess, der passend als „genetische Erosion“ bezeichnet wird.[25]
Als Beispiele für genetische Verarmung im Bereich der Nutzpflanzen sind Kaffee (Coffea arabica) und Soja (Glycine max) zu nennen. Laut WBGU24 beruht die gesamte Sojaproduktion der USA auf ursprünglich 6 Individuen. Beim Kaffee gelangte nur eine einzige Pflanze auf den südamerikanischen Kontinent und bildete für längere Zeit die genetische Grundlage in diesem Anbaugebiet.
Neben den landwirtschaftlichen Nutzpflanzen sind sogenannte Medizinalpflanzen von besonderem Interesse. Es wird vermutet, dass bis zu 25.000 Pflanzenarten[26] medizinisch wirksame Stoffe enthalten. Genutzt werden gegenwärtig ca. 90 Pflanzen[27]. Mit jeder potenziell nutzbaren Pflanzenart verschwindet vielleicht ein natürlicher Wirkstoff.
 
 
Die Erhaltung von Ökosystemen und natürlichen Lebensräumen sowie die Bewahrung und Wiederherstellung lebensfähiger Populationen von Arten in ihrer natürlichen Umgebung[28] (in situ) sollte Vorrang vor allen anderen Möglichkeiten der Arterhaltung haben. Wesentliche Grundlage für den Erfolg von in situ Maßnahmen sind ausreichend große Schutzgebiete[29], die in möglichst allen Klimazonen vorhanden sein sollten, um eine große Artenvielfalt sichern zu können und die Einhaltung von (Arten‑)Schutzabkommen. Ferner müssen beeinträchtigte Ökosysteme saniert und wiederhergestellt werden[30].
Eins der Probleme dieser Erhaltungsmaßnahmen ist der Nutzungskonflikt zwischen Landwirtschaft oder kultureller Nutzung auf der einen und dem Artenschutz auf der anderen Seite. Insbesondere Schwellen- und Entwicklungsländer stehen diesem Problem gegenüber. Steigende Bevölkerungszahlen und wachsende Siedlungen bedrohen in zunehmendem Maße bisher noch intakte Ökosysteme.
Da sich diese fortschreitende Zerstörung in absehbarer Zeit vermutlich nicht verhindern lässt, bedarf es hier zusätzlich der ex situ-Erhaltungsmaßnahme.
 
« Die [...] ex situ‑Erhaltung umfasst bei Pflanzen die Erhaltung vor allem in Genbanken inklusive Feldgenbanken, Samenbanken, in vitro-Kulturen und botanischen Gärten.“[31] Der Vorteil der ex situ-Erhaltung ist die Möglichkeit, auf sehr kleinem Raum eine große Anzahl genetischer Varianten aufzubewahren. Doch diese sind, im Gegensatz zu in situ‑Material keinem weiteren Einfluss der Evolution ausgesetzt. Momentan haben Getreidesorten (Mais, Reis, Weizen) den größten Anteil an den weltweit auf 6 Millionen geschätzten Genbankmustern.
Problematisch ist auch die Einlagerung von Samen, da die Dauer der Keimfähigkeit von verschiedenen Faktoren wie Temperatur und Feuchtigkeit abhängen. Eine umfangreiche Samenbank ist kostenintensiv und nicht über sehr lange Zeiträume ohne neues Material aufrecht zu erhalten.
Auch die Zucht und Konservierung von Arten in Zoos und botanischen Gärten ist nicht unproblematisch. Die oftmals geringe Individuenanzahl führt hier zu den gleichen Problemen, die kleine Populationen in der Natur haben - Krankheiten, Inzucht, verringerte genetische Fitness.[32] Allerdings lassen sich Pflanzen meist relativ unkompliziert vegetativ vermehren, was genau genommen nur zu einer Erhöhung der Individuenzahl führt aber kaum zu einer Wiederherstellung der ursprünglichen genetischen Vielfalt.
Sowohl ex situ‑ als auch in situ‑Erhaltung sind kostenintensiv und nicht immer von Erfolg gekrönt. Eine einmal ausgestorbene Art kann im Prinzip nicht wieder „zum Leben erweckt“ werden. Selbst Rückzüchtungen spiegeln niemals das volle genetische Potenzial einer ausgestorbenen Art wider.
 
 
Die Thematik des Artensterbens sollte nicht ohne eine kritische Betrachtung der Zahlen und angewandten Methoden bleiben. Anhand des vorliegenden Datenmaterials lässt sich die teilweise große Unsicherheit erkennen. Eines der elementaren Probleme bleibt z.B. die Bestimmung der absoluten Artenzahl. Gegenwärtig sind rund 1,7 Mio. Arten erfasst, Schätzungen zur tatsächlichen Zahl bewegen sich hingegen zwischen 5 und 30 Mio.[33] - vielleicht auch 100 Millionen[34].
Und wie sind die „durch den Menschen erhöhten“ Aussterberaten zu beurteilen? Fossilfunde, anhand deren die durchschnittliche Lebensdauer einer Art ermittelt wird, sind keineswegs lückenlose Aufzeichnungen großer Zeiträume oder großer Gebiete[35]. Es hat auch in erdgeschichtlicher Vergangenheit mit Sicherheit endemische Arten gegeben, deren Individuen nicht fossilisiert (oder noch nicht gefunden) wurden. Vielleicht ist die durchschnittliche Lebensdauer einer endemischen Art deutlich niedriger. Die natürliche Aussterberate wäre demnach höher, der Einfluss des Menschen unter Umständen geringer als angenommen.
Und wie verhält es sich mit dem „prognostizierten“ Artenverlust? Berechnungen hierfür basieren z.T. auf dem Arealeffekt. Die Artenzahl nimmt mit abnehmender Habitatgröße ab - doch haben Überprüfungen ergeben, dass der Arealeffekt nur für sehr kleine Räume mit tatsächlichen Aussterbezahlen übereinstimmt bzw. diesen recht nahe kommt[36].
Auch lässt die Definition von „ausgestorben“ Interpretationsspielraum in Bezug auf Zahlen zum globalen Artensterben. Nach der IUCN gilt eine Art als ausgestorben, wenn 50 Jahre lang kein Exemplar gesichtet/angetroffen wurde. Es ist jedoch nahezu unmöglich, zu sagen, ob und wann eine Art ausgestorben ist. Das letzte Exemplar kann versteckt leben[37] oder bei Pflanzen als weiterhin keimfähiger Same überdauert haben. Ein Beispiel hierfür ist der Elfenbeinspecht (Campephilus principalis), der nach letzten Sichtungen 1944 von der IUCN seit 1996 als ausgestorben gelistet wurde. Doch seit 2004 wurden wieder Exemplare in Arkansas/USA gesichtet[38]. Es ist durchaus möglich, dass viele der als ausgestorben geltenden Arten durchaus noch überlebensfähige Populationen bilden, die noch nicht entdeckt wurde. So wurden zwischen 1990 und 1998 in Indien fast 60 Pflanzenarten wiederentdeckt[39]. In den temperierten Breiten ist allerdings nicht mit Wiederentdeckungen als ausgestorben geltender Arten in dieser Größenordnung zu rechnen. Das Beobachtungs- und Kartierungsnetz ist hier deutlich engmaschiger.
Des weiteren muss näher untersucht werden, ob nicht das natürliche Aussterben von Arten eine größere Rolle als bisher angenommen spielt. Es zeichnen sich nach Analyse von Fossilien evolutionäre Muster ab, die womöglich das Aussterben einer Art bedingen oder zumindest begünstigen. Zu diesen Mustern zählt eine Größenzunahme der Individuen. Dies geht oft mit einer Abnahme der Nachkommenzahl und einer Zunahme des Zeitraums von Geburt bis Fortpflanzung einher. Klimaschwankungen, Extremereignisse und Krankheiten könnten eine Art auch ohne Zutun des Menschen in ihrem Fortbestand gefährden.
Weitere Muster der Evolution sind zunehmende Spezialisierung und Co-Evolution. Beides macht eine Art in starkem Maße von einer anderen Art abhängig. Beispiele hierfür sind Parasiten, die oftmals auf einen einzigen Wirt spezialisiert sind. Stirbt der Wirt aus, wird der Parasit folgen.
Trotz dieser Probleme darf das Artensterben keinesfalls verharmlost werden. Womöglich steht eine große Aussterbewelle unmittelbar bevor. 12.000 Arten gelten als „vom Aussterben bedroht“, weitere 35.000 sind gefährdet. Die vorhandenen Programme und finanziellen Mittel zum Artenschutz reichen womöglich nicht aus. Deshalb wird sich in absehbarer Zeit die Frage stellen, wie Arten effektiver geschützt werden können und ob die vorhandenen Mittel nicht auf den Erhalt weniger Arten oder Reservate konzentriert werden sollten. Eine ethische Frage, zumal entschieden werden muss, welche Art, welcher Lebensraum für das Ökosystem „Erde“ die größere Bedeutung hat. Und genau dort fällt das nächste Problem dieser Thematik ins Auge - die Rolle der meisten Arten für das Ökosystem ist noch längst nicht vollständig geklärt. Dennoch ist unumstritten, dass das Aussterben einzelner Arten relativ unbedeutend ist, in seiner Summe jedoch massive Auswirkungen auf das Ökosystem haben muss.

Die Gefahren des Aussterbens liegen momentan noch im Verborgenen und werden erst realisiert, wenn es wahrscheinlich schon zu spät ist. Die historischen Massensterben haben gezeigt, dass die Wiederherstellung einer früheren Artenvielfalt mehrere Millionen Jahre nötig sind. Der Mensch wird eine ehemalige Artenvielfalt wohl nicht mehr erleben. Daher sind Maßnahmen zur Erhaltung von Arten dringender denn je, soll ein 6. Massensterben, diesmal vom Menschen verursacht, verhindert werden.



[1] Wuketits, F.M. – „Die Selbstzerstörung der Natur : Evolution und die Abgründe des Lebens“, Patmos‑Verlag, Düsseldorf 1999, S. 137
[2] Sitte, Weiler, Kadereit, Bresinsky, Körner - „Strasburger - Lehrbuch der Botanik“ 35. Aufl., Spektrum Akademischer Verlag, Berlin 2002, S. 553
[3] Engelhardt, W. – „Das Ende der Artenvielfalt : Aussterben und Ausrottung von Tieren“, Wiss. Buchges., Darmstadt 1997, S. 20
[4] Wolters, J. – „Leben und leben lassen : Biodiversität - Ökonomie, Natur- und Kulturschutz im Widerstreit“, Focus, Gießen 1995
[5] „Engelhardt, W. – „Das Ende der Artenvielfalt : Aussterben und Ausrottung von Tieren“, S. 1
[6] Engelhardt, W. – „Das Ende der Artenvielfalt : Aussterben und Ausrottung von Tieren“, S. 8
[7] ebd., S. 15
[8] Raup, D.M. & Sepkoski, J. - Periodicity of Extinctions in the Geologic Past, PNAS 1984; 81: 801-805.
[9] vergl. Benton, M.J. - Interpretations of mass extinction, Nature 314, 496-497 (11. April 1985)
[10] Surrovell, T. et al - Global archaeological evidence for proboscidean overkill, PNAS 102, 6231-6236 (26. April 2005)
[11] Megafaua - Tiere mit mehr als 45kg Körpergewicht im ausgewachsenen Zustand
[12] Johnson, Ch.N.- The Remaking of Australia's Ecology,Science 309, 255-256 (8. Juli 2005)
[13] Wuketits, F.M. – „Die Selbstzerstörung der Natur : Evolution und die Abgründe des Lebens“, S. 131
[14] Greenway, J.C. Extinct and vanishing birds of the world - Dover Books on Nature 1967
[15] Engelhardt, W. – „Das Ende der Artenvielfalt : Aussterben und Ausrottung von Tieren“, S. 27
[16] Budiansky, S.: Extinction or miscalculation? – Nature 370, 105-105 (Juli 1994)
[17] Thomas, Ch. D. et al: Extinction risk from climate change – Nature 427, 145-148
[18] Saccheri, I. et al: Inbreeding and extinction in a butterfly metapopulation – Nature 392, 491‑494 (April 1998)
[19] Frankham, R. & Ralls, K.: Inbreeding leads to extinction – Nature 392, 441-442 (April 1998)
[20] Wilson, E.O. – „Der Wert der Vielfalt : die Bedrohung des Artenreichtums und das Überleben des Menschen“, Piper, München 1996, S. 288
[21] Binominalverteilung: W(p,n,k)=  mit
p=Wahrscheinlichkeit Einzelereignis
n=Anzahl Versuche
k=Anzahl der einzutretenden Ereignisse
[22] Wilson, E.O. – „Ende der biologischen Vielfalt? : Der Verlust an Arten, Genen und Lebensräumen und die Chancen für eine Umkehr“, Spektrum Akad. Verl., Heidelberg 1992, S. 23
[23] Heywood, V.H. et al: Uncertainties in extinction rates – Nature 368, 105-105 (März 1994)
[24] WBGU – „Welt im Wandel: Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biosphäre - Jahresgutachten 1999“, Springer, Berlin u.a. 2000
[25]Wilson, E.O. – „Ende der biologischen Vielfalt? : Der Verlust an Arten, Genen und Lebensräumen und die Chancen für eine Umkehr“, S. 265
[26] WBGU – „Welt im Wandel: Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biosphäre - Jahresgutachten 1999“, Springer, Berlin u.a. 2000
[27] Wilson, E.O. – „Ende der biologischen Vielfalt? : Der Verlust an Arten, Genen und Lebensräumen und die Chancen für eine Umkehr“ S. 113
[28] nach: Convention on Biological Diversity
[29] vergl. Arealeffekt in: Wilson, E.O. – „Der Wert der Vielfalt : die Bedrohung des Artenreichtums und das Überleben des Menschen, S. 270
[30] vergl. Geburek, Th; Heinze, B. – „Erhaltung genetischer Ressourcen im Wald : Normen, Programme, Maßnahmen“, ecomed, Landsberg 1998, S. 34
[31] ebd.
[32] vergl. „50-500-Regel“
[33] Wilson, E.O. – „Ende der biologischen Vielfalt? : Der Verlust an Arten, Genen und Lebensräumen und die Chancen für eine Umkehr“, S. 19ff
[34] Wolters, J. – „Leben und leben lassen : Biodiversität - Ökonomie, Natur- und Kulturschutz im Widerstreit
[35] Wuketits, F.M – „Ausgerottet - ausgestorben : über den Untergang von Arten, Völkern und Sprachen“, Hirzel, Stuttgart 2003, S.49
[36] Budiansky, S.: Extinction or miscalculation? – Nature 370, 105-105 (Juli 1994)
[37] Wilson, E.O. – „Ende der biologischen Vielfalt? : Der Verlust an Arten, Genen und Lebensräumen und die Chancen für eine Umkehr“, S. 27
[38] vergl. www.nature.org/ivorybill
[39] Rajesh, K.P. & Madhusoodanan, P.V.: Extintion needn’t be be for ever – Nature 399, 631-631 (Juni 1999)

Folgende Referate könnten Dich ebenfalls interessieren:

Die nachfolgenden Dokumente passen thematisch zu dem von Dir aufgerufenen Referat:

Zurück