Der Löwe in Florenz von August Ferdinand Bernhardi
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"Der Löw' ist los! Der Löw ist frei! |
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Die ehernen Bande riß er entzwei! |
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Zurück, daß ihr den vergeblichen Mut |
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Nicht schrecklich büßet im eigenen Blut!" |
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Und jeder suchet mit scheuer Eil' |
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In des Hauses Innern Schutz und Heil; |
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Auf Markt und Straßen rund umher |
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Ward's plötzlich still und menschenleer. |
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Ein Kindlein nur, sein unbewußt, |
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Verloren in des Spieles Lust, |
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Fern von der sorglichen Mutter Hand, |
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Saß auf dem Markt am Brunnenrand. |
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Wohl viele sahen von oben herab |
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Sie schauten geöffnet des Kindleins Grab; |
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Sie rangen die Hände und weinten sehr |
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Und blickten zagend nach Hilf' umher. |
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Doch keiner wagt das eigene Leben |
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Um des fremden willen dahinzugeben; |
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Denn schon verkündet ein nahes Gebrüll |
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Das Verderben, das jegliches meiden will. |
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Und schon mit rollender Augen Glut |
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Erlechzt der Löwe des Kindleins Blut, |
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Ja, schon erhebt er die grimmige Klau'n |
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O qualvoll, herzzerreißend zu schau'n! |
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So rettet nichts das zarte Leben, |
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Dem gräßlichsten Tode dahingegeben? |
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Da plötzlich stürzt aus einem Haus |
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Mit fliegenden Haaren ein Weib heraus. |
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"Um Gottes Willen, o Weib, halt ein! |
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Willst du dich selbst dem Verderben weih'n? |
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Unglückliche Mutter, zurück den Schritt! |
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Du kannst nicht retten, du stirbst nur mit!" |
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Doch furchtlos fällt sie den Löwen an, |
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Und aus dem Rachen mit scharfem Zahn |
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Nimmt sie - das unversehrte Kind |
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In ihren rettenden Arm geschwind. |
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Der Löwe stutzet, und unverweilt |
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Mit dem Kinde die Mutter von dannen eilt. |
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Da erkannte gerührt so jung wie alt |
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Des Mutterherzens Allgewalt |
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Und des Leuen großmütigen Sinn zugleich; |
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Doch manche Mutter von Schrecken bleich |
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Sprach still: "Um des eigenen Kindes Leben |
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Hätt' ich auch meines dahingegeben." |
Details zum Gedicht „Der Löwe in Florenz“
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265
1769 - 1820
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichtes „Der Löwe in Florenz“ ist August Ferdinand Bernhardi, der von 1769 bis 1820 lebte. Die Zeit, in der er lebte und schrieb, ist das Zeitalter der Aufklärung und der frühromantischen Bewegung.
Das Gedicht erregt zunächst Aufmerksamkeit durch seine dramatische und aufwühlende Bedrohungssituation. Es beschreibt die Befreiung eines Löwen in der Stadt Florenz und die daraus resultierende Panik und Angst der Menschen. Der Schrecken und die gerührten Hoffnungen werden in den Worten und Handlungen des lyrischen Ichs deutlich.
Inhaltlich wird die Geschichte eines Kleinkindes erzählt, das während der Flucht der Bevölkerung alleine zurückgelassen wird. Die Menschen sehen das Kind und sind besorgt, aber niemand traut sich, es zu retten. Schließlich stürzt eine Frau - die Mutter des Kindes - hervor und rettet das Kind vor dem Löwen. Die Geschichte endet mit der Erkenntnis und Bewunderung der Macht der Mutterliebe.
Die Aussage des lyrischen Ichs in diesem Gedicht scheint die furchtlose Liebe und Selbstlosigkeit einer Mutter zu ehren. Es zeigt auch die Feigheit der Masse in gefährlichen Situationen und schließlich die Größe und die Fähigkeit des Löwen, Gnade zu zeigen.
Formal besteht das Gedicht aus 13 Strophen mit einem variierenden Versschema. Die Sprache des Gedichtes ist geprägt von starken, emotionalen Worten und Phrasen, die das Bild von Angst, Panik, Mut und letztendlich von Erleichterung und Bewunderung malen.
Die dramatische Erzählung und die lebendige Beschreibung schaffen eine intensive Atmosphäre und regen den Leser zum Nachdenken über Themen wie Mut, Liebe und Mitgefühl an. Insgesamt ist „Der Löwe in Florenz“ ein kraftvolles Gedicht, das den Leser mit dem faszinierenden Spiel von Angst und Mut, von Feigheit und Liebe konfrontiert.
Weitere Informationen
August Ferdinand Bernhardi ist der Autor des Gedichtes „Der Löwe in Florenz“. Geboren wurde Bernhardi im Jahr 1769 in Berlin. Im Zeitraum zwischen 1785 und 1820 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik oder Biedermeier zugeordnet werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das vorliegende Gedicht umfasst 265 Wörter. Es baut sich aus 13 Strophen auf und besteht aus 44 Versen. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Löwe in Florenz“ keine weiteren Gedichte vor.
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