Giordano Bruno von Karl Henckell

„Giordano Bruno!“ schrie ich
Und war erwacht.
Prasselnd barst die Luft,
In Flammen stand die Kammer,
Blitzdurchleuchtet.
Vom Nachttisch blendend
Schien mir das jugendschöne Bild
Des Märtyrers ins Auge,
Wehmütig lächelnd.
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In kühnen Ringeln fielen
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Um sein Haupt die Locken,
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Sinnlich keck
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Und übermütig blühte
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Der kleine Schnurrbart,
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Frei lag der Hals,
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Und um die breite Brust
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Bauschte sich voll die weite Gewandung.
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Glutlodernd wieder,
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Von wirklichen Blitzen entzündet,
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Empordräute mein Traumschreck.
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Auf gräßlichem Scheiterhaufen
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Der qualmumwölkte
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Herrliche Held und Denker der Welt hing.
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Die bösen Idioten,
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Verkappte Masken
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In langen, weißen,
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Schleppenden Laken
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Tanzten wie Orang-Utans
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Kreischend im Kreise,
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Und die gefräßigste Bestie
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Hüpfte mit dem heiligen
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Marterholze des Herren Jesu,
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Geil von Haß,
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Zu dem fast verhauchenden
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Geistes-Verbrecherfürsten,
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Fauchte: „Du Schwein! Du Esel!“
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Und schlug ihn blutig mit himmlischem Heilskreuz.
 
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Da kehrte voll Ekel
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Sterbend sein Haupt zur Seite
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Der Gute, Große.
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Todüberlegen
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Verschied er.
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Ihm war,
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Wie wenn er tauche in den blauen Golf
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Der Sonnenheimat ...
 
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Blitze flackerten,
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Donner stürmten,
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Unter Krachen bebten des Hauses Säulen.
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Riesig leuchtend
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Ragte das Bronzedenkmal,
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Umspielt von übelriechenden Giftflämmchen,
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Und in Millionen Trümmer zerborsten,
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Tote Flüche verzischend,
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Drüben versank der Vatikan.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.2 KB)

Details zum Gedicht „Giordano Bruno“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
54
Anzahl Wörter
190
Entstehungsjahr
1883-1886
Epoche
Realismus,
Naturalismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Giordano Bruno“ wurde von Karl Henckell, einem deutschen Schriftsteller und Übersetzer, geschrieben, der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert lebte. Henckell war bekannt für seine politischen und sozialkritischen Gedichte.

Auf den ersten Blick besticht das Gedicht durch seine bildhaften und dramatischen Darstellungen. Es geht um die Figur des Giordano Bruno, einem italienischen Philosophen, Astronomen und Mathematiker, der wegen seiner heterodoxen Ideen und Theorien von der katholischen Kirche zum Tode verurteilt und verbrannt wurde.

Henckells Gedicht, das im Alptraum des lyrischen Ichs gezeichnet wird, umreißt diese tragische Geschichte. Es beginnt mit einem schockartigen Erwachen, einer Explosion von Licht und Flammen und dem Bild von Bruno auf dem Nachttisch. Bruno wird als attraktive, lebendige und freigeistige Figur beschrieben. Doch das lyrische Ich erzählt auch von seinem Traum, in dem es Zeuge von Brunos Hinrichtung wird - ein grausamer, absurder Tanz von maskierten Gestalten um einen Scheiterhaufen. In der letzten Strophe endet das Gedicht mit der Zerstörung des Vatikans durch ein Gewitter, was als poetischer Akt der Gerechtigkeit interpretiert werden kann.

Das lyrische Ich scheint tiefe Bewunderung und Empathie für Bruno zu empfinden und den Schrecken über das Unrecht, das ihm angetan wurde, auszudrücken. Das Gedicht ist insgesamt an Ankläger oder Unterdrücker gerichtet, symbolisiert durch die „maskierten Gestalten“ und den Vatikan. Es verkörpert den Protest gegen Intoleranz und die Unterdrückung von Gedanken und Wissen.

Das Gedicht ist geprägt von kraftvollen, emotional aufgeladenen Sprachbildern. Es benutzt körperbezogene, sinnliche und emotionale Ausdrücke, um Intensität und Dringlichkeit zu vermitteln. Der Aufbau erzeugt ein Gefühl von Unmittelbarkeit und Spannung und der fließende, fast atemlose Rhythmus trägt zur dramatischen Atmosphäre bei.

Insgesamt ist dieses Gedicht ein leidenschaftliches Plädoyer für geistige Freiheit und gegen dogmatische Unterdrückung.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Giordano Bruno“ ist Karl Henckell. Henckell wurde im Jahr 1864 in Hannover geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1886 entstanden. Der Erscheinungsort ist München. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Realismus oder Naturalismus zuordnen. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das 190 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 54 Versen mit insgesamt 3 Strophen. Der Dichter Karl Henckell ist auch der Autor für Gedichte wie „Kommen wird der Tag....“, „Majestätsbeleidigung“ und „Mein Neujahrswunsch“. Zum Autor des Gedichtes „Giordano Bruno“ haben wir auf abi-pur.de weitere 21 Gedichte veröffentlicht.

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