An Deutschlands Frauen von Amalie von Helvig

Niemals waren Deutschlands Frauen
Rührend schöner anzuschauen,
Als in schlichter Wärtertracht.
Haben nie in Männerherzen
Reiner Minne süsse Schmerzen
Dauernd heisser angefacht.
 
Mögt ihr jetzt im Putze prangen,
Jungfrau’n, der das Roth der Wangen
Ueberbietend grell verschlingt? –
10 
Bunte Tücher, bunte Bänder
11 
Tragend, wie sie fremder Länder
12 
Thorheit euch zum Köder bringt?
 
13 
Denkt der Zeit, nicht lang verschwunden,
14 
Als aus tausend Todeswunden
15 
Blut geliebter Brüder quoll,
16 
Da herbei ihr hülfreich eiltet,
17 
Zwischen Freund und Feind euch theiltet
18 
Pflegend, sorg – und liebevoll.
 
19 
Aehnlich ganz sind die Geschicke
20 
Jenes Volkes, eurem Blicke
21 
Nur entrückt, am fernen Strand. –
22 
Gegen übermüth’ge Sieger,
23 
Kämpfen Gott vertraute Krieger
24 
Auch für Heerd und Vaterland. –
 
25 
Anders doch, denn diese ringen,
26 
Wie aus Riesenwurmes Schlingen,
27 
Todes-wund sich schwer empor;
28 
Ihre Festen, wüste Trümmer,
29 
Banger Frauen Angstgewimmer
30 
Hallend in der Streiter Chor.
 
31 
Kühne Heldenherzen schwellen
32 
Hinter Missolonghis Wällen
33 
Mit Verderben rings bedroht,
34 
Hunger wüthet, gift’ge Wunden,
35 
Pesthauch athmend, unverbunden,
36 
Grauser als der Schlachten Tod.
 
37 
Weiber, Greise, Kinder klagen,
38 
Wie von wildem Sturm verschlagen,
39 
Nakt auf öder Klippe Strand.
40 
Karg von Gras und Kräutern lebend,
41 
Schwache Hände doch erhebend,
42 
Zum Gebet für’s Vaterland.
 
43 
Schrecklicher, wenn dort als Beute
44 
Junge Mütter, Kinder, Bräute,
45 
Fühllos der Barbar entführt.
46 
Eins vom Andern roh geschieden,
47 
Wie am Markt die Käufer bieten,
48 
Die kein Jammer menschlich rührt.
 
49 
Fürstentochter, Königinnen! –
50 
Frauen mit den zarten Sinnen,
51 
Nicht gewohnt an Noth und Schmerz,
52 
Könnt ihr dieses Bild ertragen? –
53 
Legt ihr nicht der Menschheit Klagen
54 
Weinend an der Gatten Herz? –
 
55 
Gebt, zu lösen jene Banden,
56 
Ketten, schwer von Diamanten!
57 
Gebt die Perlenschnur im Kauf,
58 
Die am Schwanenhals sich schmieget. –
59 
Ach, der Perlen grösste wieget
60 
Keine Mutterthräne auf.
 
61 
Rührend ist’s, wenn froh entbehrend,
62 
Kleines durch den Sinn verklärend,
63 
Armuth sich des Gebens freut:
64 
Von der höhern Noth durchdrungen,
65 
Was der Mühe Schweiss errungen
66 
Dem bedrängten Bruder beut.
 
67 
Rührender, wenn in den Reichen,
68 
Wo die Erdensorgen schweigen,
69 
Mitgefühl die Brust bewegt:
70 
Wenn ein heiliges Erbarmen
71 
Zu dem Scherflein frommer Armen
72 
Das geliebte Kleinod legt.
 
73 
Auf denn, edle deutsche Frauen,
74 
Bringt mit sanfter Zähren Thauen,
75 
Opfer fremdem Unglück dar.
76 
Bruderlieb’ ist nicht beschränket,
77 
Wie es enge Selbstsucht denket:
78 
Gottes Welt ist ihr Altar.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30 KB)

Details zum Gedicht „An Deutschlands Frauen“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
78
Anzahl Wörter
354
Entstehungsjahr
1826
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An Deutschlands Frauen“ stammt von der Dichterin Amalie von Helvig, die im Zeitraum von 1776 bis 1831 gelebt hat. Das Gedicht entstammt also der Epoche der Romantik und lässt sich aufgrund seiner Thematik vor allem der Biedermeierzeit zuordnen, in welcher ein starkes Interesse an bürgerlichen und familiären Themen bestand.

Bereits beim ersten Lesen wird deutlich, dass das Gedicht eine Art Weckruf an die Frauen Deutschlands sein will. Es fordert sie auf, sich ihrer Stärken und Fähigkeiten bewusst zu sein und diese zum Wohl aller einzusetzen. Die Autorin erinnert an vergangene Taten und Erfolge von deutschen Frauen und fordert sie dazu auf, weiterhin tapfer und engagiert in schwierigen Zeiten zu sein.

Inhaltlich geht es in dem Gedicht darum, dass deutsche Frauen zu ihrer inneren Stärke und ihrem Mitgefühl finden sollen. Sie werden daran erinnert, dass sie in der Vergangenheit bereits unter schwierigen Bedingungen Großes geleistet haben. Sie sollen nun den Frauen in anderen Ländern, die unter Kriegen und Katastrophen leiden, mit Mitgefühl und praktischer Hilfe beistehen. Mit dieser Botschaft wird das typische damalige Frauenbild, das sich ausschließlich auf die Rolle im Haus und Familie beschränkt, stark erweitert.

Formal ist das Gedicht in 13 sechszeilige Strophen unterteilt. Jede Strophe verfolgt ihre eigene Idee oder Botschaft, doch alle Strophen sind durch das übergeordnete Thema miteinander verbunden. Die Ausdruckskraft des Gedichts wird unter anderem durch den vielfältigen Einsatz von sprachlichen Bildern und Metaphern unterstützt. Außerdem arbeitet die Dichterin stark mit Gegensatzpaaren, um ihren Punkt zu verdeutlichen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass das Gedicht „An Deutschlands Frauen“ von Amalie von Helvig eine starke Botschaft über die Rolle und Verantwortung von Frauen vermittelt. Es ist ein Appell an ihre Solidarität, Mitgefühl und Stärke in schwierigen Zeiten.

Weitere Informationen

Das Gedicht „An Deutschlands Frauen“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Amalie von Helvig. 1776 wurde Helvig in Weimar geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1826 zurück. Berlin ist der Erscheinungsort des Textes. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das 354 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 78 Versen mit insgesamt 13 Strophen. Weitere Werke der Dichterin Amalie von Helvig sind „Den Zaudernden“, „Weihe an Hellas“ und „Zuruf an Griechenland“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „An Deutschlands Frauen“ keine weiteren Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Amalie von Helvig (Infos zum Autor)