Der kleine Mörder von Klabund

Er wußte nicht, warum er so elend war
und warum der Himmel an jenem Abend so schwelend war.
Sein Schädeldeckel war aufgeklappt und Fliegen setzten sich auf sein rosiges Hirn
und leckten daran. Göttliche Gedanken schienen ihn zu durchirr’n.
Wenn er das Messer nähme und sich die große Zehe abschnitt?
Oder ginge er lieber auf den Abtritt,
und spielte mit sich, über den Abfluß geneigt?
– da hat sich seine kleine Schwester in der Küche gezeigt.
Er hob ihr den Rock hoch und stieß ihr die große Kelle
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in den Schoß, daß sie schrie. Ihn trug die Welle
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des Abendrotes durch die Wolken hin.
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Er sah nichts mehr.
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Er fühlte nichts mehr.
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Ihn trieb die rote Flut, das rote Meer
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zu einem uferlosen Ziel.
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Er fiel
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lächelnd über die kleine Leiche hin.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.3 KB)

Details zum Gedicht „Der kleine Mörder“

Autor
Klabund
Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
17
Anzahl Wörter
132
Entstehungsjahr
1927
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der kleine Mörder“ ist ein Werk des deutschen Dichters Klabund, eigentlich Alfred Henschke, der in der Zeit des Expressionismus von 1890 bis 1928 lebte. Der erste Eindruck des Gedichts ist dunkel und beunruhigend, mit einer beklemmenden Atmosphäre, die sich auf den Leser überträgt.

Im Gedicht geht es um einen Jungen, der in einem Zustand tiefer Verwirrung und Verzweiflung ist. Er weiß nicht, warum er sich so schlecht fühlt und warum der Himmel so trüb und schwelend ist. Er hat Selbstmordgedanken und überlegt, sich die Zehe abzuschneiden oder sich zu erdrosseln. Dann jedoch sieht er seine kleine Schwester in der Küche und er tötet sie mit einer Kelle, was ihn in eine Art Trance versetzt. Er fühlt sich von den Farben des Abendrots mitgerissen und stürzt sich in ein Meer von uferloser Ziellosigkeit, wo er schließlich lächelnd über der Leiche seiner Schwester zusammenbricht.

Das lyrische Ich in diesem Gedicht ist offenbar in einer tiefen inneren Krise und in einem Zustand schwerer Depression. Es weiß nicht, warum es so empfindet und sucht einen Ausweg aus seinem Leid. Die Tat des Brudermords, so grausam sie auch ist, scheint in diesem Zusammenhang eine Art Befreiung für das lyrische Ich darzustellen, eine Flucht aus seinem inneren Elend.

In Bezug auf die Form und Sprache des Gedichts ist zu bemerken, dass es in freien Rhythmen und Versen geschrieben ist, die die innere Zerrissenheit des lyrischen Ichs widerspiegeln. Das Gedicht ist in einer sehr bildhaften und metaphorischen Sprache verfasst, die die Emotionen des Lyrischen Ichs verstärkt und dem Leser einen intensiven Eindruck seiner inneren Qual verschafft. So werden etwa der aufgeklappte Schädeldeckel und das rosiges Hirn mit Fliegen als Symbole des Verfalls und des Wahnsinns genutzt. Die rote Flut und das rote Meer, in denen das lyrische Ich versinkt, symbolisieren sowohl das Blut der Schwester als auch das des lyrischen Ichs selbst, das sich in einer Art selbstzerstörerischer Rausch verliert. Die etwas brachiale und schockierende Darstellung des Mordes dient dazu, die emotionale Intensität und Verzweiflung des lyrischen Ichs zu unterstreichen. Im gesamten Gedicht herrscht eine düstere und beklemmende Atmosphäre, die die Verzweiflung des lyrischen Ichs auf den Leser überträgt.

Zusammenfassend ist „Der kleine Mörder“ ein beunruhigendes und intensives Gedicht, das die Verzweiflung und Zerrissenheit eines innerlich zutiefst verunsicherten lyrischen Ichs in eindrücklichen Bildern zum Ausdruck bringt.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der kleine Mörder“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Klabund. Geboren wurde Klabund im Jahr 1890 in Crossen an der Oder. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1927 zurück. In Berlin ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zugeordnet werden. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das 132 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 17 Versen mit nur einer Strophe. Klabund ist auch der Autor für Gedichte wie „Ausmarsch“, „Ballade“ und „Baumblüte in Werder“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der kleine Mörder“ weitere 139 Gedichte vor.

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