Fern im Osten wird es helle von Novalis

Fern im Osten wird es helle,
graue Zeiten werden jung,
aus der lichten Farbenquelle
einen langen tiefen Trunk!
Alter Sehnsucht heilige Gewährung
süße Lieb in göttlicher Verklärung.
 
Endlich kommt zur Erde nieder
aller Himmel selges Kind
schaffend im Gesang weht wieder
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umd die Erde Lebenswind,
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weht zu neuen, ewig lichten Flammen
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längstverstiebte Funken hier zusammen.
 
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Überall entspringt aus Grüften
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neues Leben, neues Blut
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ewgen Frieden usn zu stiften,
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taucht er in die Lebensflut
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steht mit vollen Händen in der Mitte,
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liebevoll gewärtig jeder Bitte.
 
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Lasse seine milden Blicke
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tief in Deine Seele gehn,
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und von seinem ewgen Glücke
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sollst Du Dich ergriffen sehn
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alle Herzen, Geister und die Sinnen
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werden einen neuen Tanz beginnen.
 
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Greife dreist nach seinen Händen,
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präge Dir sein Antlitz ein,
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mußt Dich immer nach ihm wenden
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Blüte nach dem Sonnenschein
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wirst Du nur das ganze Herz ihm zeigen,
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bleibt er, wie ein treues Weib, Dir eigen.
 
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Unser ist sie nun geworden,
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Gottheit, die uns oft erschreckt,
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hat im Süden und im Norden
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Himmelskeime längst geweckt,
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und so laßt im vollen Gottesgarten
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treu uns jede Knosp und Blüte warten.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.4 KB)

Details zum Gedicht „Fern im Osten wird es helle“

Autor
Novalis
Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
182
Entstehungsjahr
1772 - 1801
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Fern im Osten wird es helle“ wurde von Novalis, einem wichtigen Vertreter der Frühromantik, verfasst und befindet sich zeitlich in der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Novalis, eigentlich Friedrich von Hardenberg, verfasste das Gedicht wahrscheinlich in den frühen 1790er Jahren.

Schon beim ersten Lesen entsteht die Wahrnehmung von einer klar erkennbaren Sehnsucht nach Erneuerung und Aufbruch. Die Stimmung des Gedichts ist zugleich hoffnungsvoll und mystisch, womit es perfekt die poetischen Ideale der Romantik trifft.

Die sechs Strophen des Gedichts erzählen eine Art Geschichte vom Auferstehen und von der Erneuerung. Es beginnt mit der Beschreibung eines hellen Ostens, ein Symbol für den Beginn eines neuen Tages, eine neue Chance. Novalis malt das Bild einer alten Sehnsucht, die endlich erfüllt wird, und die mit süßer Liebe und göttlicher Verklärung assoziiert wird. In der zweiten Strophe kommt das himmlische Kind zur Erde und bringt neues, ewiges Leben. Diese Wiedergeburt wird als „liebevoll“ und „gewärtig jeder Bitte“ beschrieben, eine Wahrnehmung, die wahrscheinlich auf Novalis' tiefe christliche Überzeugungen zurückzuführen ist. Die letzten zwei Strophen ermutigen den Leser, sich dem himmlischen Kind zuzuwenden und sein Herz für es zu öffnen, um so Teil dieser himmlischen Erneuerung zu werden.

Formal besteht das Gedicht aus sechs sechszeiligen Strophen mit einem festen Reimschema (AABCCB). Die Verwendung von gereimten Versen erzeugt einen angenehmen Rhythmus, der zum fließenden, beschwörenden Ton des Gedichts beiträgt. Die Sprache des Gedichts ist durchgehend metaphorisch und bildlich, was das lyrische Ich in die Lage versetzt, komplex-faszinierende Bilder von metaphysischen Prozessen zu kreieren. Dabei wird die konkrete Natur lediglich als Spiegelbild dieser Prozesse genutzt.

Insgesamt ist „Fern im Osten wird es helle“ ein ideales Beispiel für eine romantische Dichtung. Es zeigt, wie Novalis die göttliche und die menschliche Ebene miteinander verknüpft und seine Sehnsucht nach einer unmittelbaren Verbindung mit dem Göttlichen zum Ausdruck bringt. Über die detailreiche Bildlichkeit und die Verwendung von christlichen Motiven hinweg bleibt dabei stets der tiefromantische Glaube an die erneuernde und lichtbringende Kraft der Kunst spürbar.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Fern im Osten wird es helle“ des Autors Novalis. 1772 wurde Novalis geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1788 bis 1801 entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Novalis handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine Epoche der Kulturgeschichte, zeitlich anzusiedeln vom späten 18. Jahrhundert bis spät in das 19. Jahrhundert hinein. Auf die Literatur bezogen: von 1795 bis 1848. Sie hatte Auswirkungen auf Literatur, Kunst, Musik und Philosophie jener Zeit. Bis in das Jahr 1804 hinein spricht man in der Literatur von der Frühromantik, bis 1815 von der Hochromantik und bis 1848 von der Spätromantik. Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts galt im Allgemeinen als wissenschaftlich und aufstrebend, was hier vor allem durch die einsetzende Industrialisierung deutlich wird. Die damalige Gesellschaft wurde zunehmend technischer, fortschrittlicher und wissenschaftlicher. Diese Entwicklung war den Schriftstellern der Romantik zuwider. Sie stellten sich in ihren Werken gegen das Streben nach immer mehr Gewinn, Fortschritt und das Nützlichkeitsdenken, das versuchte, alles zu verwerten. In der Romantik finden sich unterschiedliche charakteristische Motivkreise. Sehnsucht und Liebe (Blaue Blume) oder das Unheimliche (Spiegelmotiv) sind wichtige zu benennende Motive. Auch politische Motive wie Weltflucht, Nationalismus und Gesellschaftskritik lassen sich aufzeigen. Das Mittelalter gilt bei den Romantikern als Ideal und wird verherrlicht. Übel und Missstände des Mittelalters bleiben unbeachtet. Die Romantik stellt die Freiheit der Phantasie sowohl über den Inhalt als auch über die Form des Werkes. Eine Konsequenz daraus ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Lyrik und Epik. Die starren Regeln und Ziele der Klassik werden in der Romantik zurückgelassen. Eine gewisse Maß- und Regellosigkeit in den Werken fällt auf.

Das vorliegende Gedicht umfasst 182 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 36 Versen. Weitere Werke des Dichters Novalis sind „Lied des Einsiedlers“, „Das Gedicht“ und „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Fern im Osten wird es helle“ weitere 14 Gedichte vor.

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