Goethe, Johann Wolfgang von - Faust I (Szenenanalyse: Meine Ruh ist hin)

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Johann Wolfgang von Goethe, Interpretation einer Szene, Gretchen, Lied, Charakter, Referat, Hausaufgabe, Goethe, Johann Wolfgang von - Faust I (Szenenanalyse: Meine Ruh ist hin)
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Referat

Szenenanalyse und –interpretation zu Faust I: „Meine Ruh ist hin“ (vgl. V. 3374-3413)

In J. W. Goethes literarischem Meisterwerk „Faust“ wird die sagenumwobene Geschichte des historischen Fausts als Tragödie aufbereitet. Dr. Faust schließt hierzu mit seinem Antagonisten, Mephisto, einen diabolischen Pakt, welchem die unschuldige Kleinbürgerin, Gretchen, durch ihre Liebe zum Protagonisten ebenfalls anheimfällt. In der besagten Tragödie treten wiederholt Lieder auf, welche von Gretchen dargeboten werden und ihre Gefühlslage in den verschiedenen Stadien des Dramas veranschaulichen.

Ein Beispiel hierfür stellt das Lied „Meine Ruh ist hin“ (vgl. V. 3374-3413) dar, welches Gretchen allein für sich singt, während sie am Spinnrad in ihrem Zimmer sitzt. Goethe setzt die Gesangsdarbietung kurz nach dem ersten Liebesgeständnis von Gretchen gegenüber Faust ein. Ihre Liebe ist also endgültig für ihn entbrannt und sie findet sich keinen Platz getrennt von ihm. Faust hingegen offenbart Mephisto in der vorangegangenen Szene („Wald und Höhle“), dass er Gretchen zwar auch liebe, jedoch andererseits erkannt habe, dass eine Beziehung für sie den Untergang bedeuten würde. Aufgrund dessen versucht er sich gegen jegliche Anstachelungen seitens des Teufels zur Wehr zu setzen und Gretchen nicht durch eine Verführung ins Unglück zu stürzen. Letztlich gewinnt allerdings Fausts schlechte Seele die Oberhand, so dass er seinen egoistischen Trieben nachgibt und sich zu einer Beziehung mit Gretchen entschließt.

Nachdem also ein einschneidender Höhepunkt der Tragödie erreicht worden und der Katastrophenbeginn durch Fausts Nachgiebigkeit besiegelt ist, legt Goethe nun auch Gretchens Beziehungsbereitschaft durch ihre faustergebene Gefühlslage dar. In „Meine Ruh ist hin“ sind als Hauptthemen die erstarkten Gefühle und Einsichten Gretchen hinsichtlich ihrer Beziehung zu Faust dargestellt.

Das Lied ist in zehn Strophen gegliedert, welche jeweils aus vier Versen aufgebaut sind. Hierbei lässt sich ein gewisser Grundaufbau ablesen bestehend aus Refrain, zwei Strophen, Refrainwiederholung, drei Strophen, dritte Refrainwiederholung und zwei Strophen.

Inhaltlich gesehen dienen die zweite und dritte Strophe vor allem der Selbstbeschreibung Gretchens, welche ein Leben ohne Faust als sinnlos (vgl. V. 3378-3381) empfindet und sich vor Liebestrunkenheit auch nicht mehr ihres rationalem Verstandes bedienen kann (vgl. V. 3382-3385).

In der fünften Strophe hingegen gesteht Gretchen ihre vollständige emotionale Abhängigkeit von Faust ein, auf welchen sie ihr gesamtes Leben ausrichtet (vgl. V. 3390-3393). Des Weiteren charakterisiert sie Faust äußerlich und das Verhalten (rhetorische Fertigkeiten, Schmeicheleien in Worten und Gesten), womit er sie für sich gewinnen konnte (vgl. V. 3394-3401).

In den letzten beiden Strophen erreicht das Lied seinen Höhepunkt. Denn nachdem zunächst Gretchen selbst inhaltlich im Mittelpunkt stand, dann der Fokus auf Faust gerichtet worden ist, endet es nun in einer gänzlichen Selbstaufgabe für Faust. Diese Aufopferungshaltung von Gretchen bietet zudem auch einen deutlichen Hinweis auf den tragischen Ausgang des Dramas. Zum einen beschreibt Gretchen hier ihre physische Sehnsucht nach Faust (vgl. V. 3406-3409) und zum anderen tut sie jedoch auch zweifellos ihre Bereitschaft kund, für ihn zu sterben (vgl. V. 3410-3413).

In den Refrains zwischendurch sinniert Gretchen über den Verlust ihres seelischen Gleichgewichts: „Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmermehr“(V.3374-3377) Jene Balance scheint für sie nicht mehr herstellbar, da alle ihr Gedanken und Handlungen von Faust determiniert werden. Fausts Unausgeglichenheit hat sich offenbar auf Gretchen übertragen, was erneut unterstreicht, dass sie letztlich durch ihn ihren tragischen Untergang erlebt.

Bei der sprachliche Gestaltung fällt auf, dass Goethe mehrfachen Gebrauch von Enjambements macht (vgl. z.B. V. 3380f.; V. 3390f.; V. 3398f. etc.).

Darüber hinaus ist auch immer das Reimschema „abcb“ zu erkennen, wodurch ein indirekter Paarreim („bb“) vorliegt und in der zweiten Strophe sogar ein direkter Paarreim („aabb“). In der fünften Strophe liegt darüber hinaus ein Kreuzreim vor („abab“).
Das Metrum setzt sich aus einen Wechsel von drei- und zweihebigen Jamben zusammen. Diese Wechselhaftigkeit sowohl bezüglich des Versmaßes als auch des Reimschemas spiegelt verstärkt Gretchens Seelenverfassung wider, die ebenfalls von deutlicher Unruhe geprägt ist.

Davon abgesehen wirkt das Lied, da es nicht wirklich an ein striktes Metrum gebunden ist und auch die Reimstellung stellenweise sehr frei oder unregelmäßig ist, recht volksliedhaft. Dies verstärkt Gretchens kleinbürgerliche Gesellschaftseinordnung und ist auch ein Indikator für ihren niederen Bildungsstand. Auch ihre bürgerliche Ausdrucksweise wird durch viele Redensarten („Mein Herz ist schwer“ V.3375 etc.) betont.

Ihre Wortwahl in diesem Lied verdeutlicht zudem den starken Kontrast zwischen ihr, dem kleinbürglichem Mädchen, und Faust, dem erfahrenen Gelehrten. So verwendet sie in den Strophen 2 und 3, die der eigenen Charakterisierung dienen, schwache, negative Verben wie „vergällt“, „verrückt“, „zerstückt“ (V.3381ff.) und für die Beschreibung Fausts in Strophe 6 eher starke, positive Adjektive wie „hoch“ (V. 3394) und „edel“ (V. 3395), was hervorhebt wie sehr Gretchen ihn doch verherrlicht. Die Substantive in den Strophen 6 und 7 werden fast immer von einem beschreibenden Adjektiv oder einem bekräftigenden anderen Substantiv begleitet („Seines Mundes Lächeln, Seiner Augen Gewalt“ V. 3396f). In Strophe 6 wird Fausts körperliche Erscheinung sehr detailliert vorgestellt. In Strophe 7 verzichtet Goethe gänzlich auf Adjektive, es werden Andeutungen und direkte emotionale Äußerungen verwendet (V. 3400f.: „Sein Händedruck,/ Und ach sein Kuss!“).

Auffällig ist der Moduswechsel in den letzten beiden Strophen. So wird hier statt dem sonst verwendeten Indikativ der Konjunktiv genutzt („Ach dürft’ ich ihn fassen“, vgl. V. 3408), um Gretchens starke Wunschdenken auszudrücken.

Auch einige stilistische Mittel werden hier von Goethe genutzt. So macht er Gebrauch von Personifikationen, als Gretchen beispielsweise sagt: „Mein Busen drängt sich ihm hin.“ (V. 3406f.). Ferner sind Metaphern erkennbar als Gretchen zum Beispiel verkündet: „Mein Herz ist schwer“ (V. 3375), um auszudrücken wie sehr sie der Liebeskummer plagt. Auffällig sind auch die verschiedenen Symbole, welche Goethe verwendet. So steht das „Herz“ (V.3375) bekanntermaßen für Liebe sowie Gefühle während der „Kopf“ (V.3382) stets mit dem Verstand und rationalen Denken assoziiert wird.

Insgesamt gewährt „Meine Ruh ist hin“ einen Einblick in Gretchens Seelenverfassung zu diesem Zeitpunkt und darüber hinaus zeigt es sowohl die Ursachen als auch die Konsequenzen ihrer Gefühlslage auf. Es ergibt sich zudem ein gewisser Spannungsaufbau für das Publikum, da es bereits durch die Vorkenntnis über Faust weiß, dass Gretchen durch ihn zum Scheitern verurteilt ist, andererseits erkennt der Zuschauer auch, dass sie ohne ihn schlichtweg nicht leben kann.

Goethe verwendet dieses Lied um ein besseres Verständnis für ihren Charakter zu ermöglichen und vor allem auch um ihren späteren Untergang sowie auch ihre Entscheidung für Faust trotz aller gesellschaftlichen Widrigkeiten („An seinen Küssen/ Vergehen sollt’!“ V. 3410-3413) nachvollziehbar zu machen.

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