Dix, Otto - Der Krieg (Bildanalyse)

Schlagwörter:
Otto Dix, Triptychon, Interpretation, Analyse, Predella, Mitteltafel, Flügel, Sockel, Referat, Hausaufgabe, Dix, Otto - Der Krieg (Bildanalyse)
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Referat

Interpretation - Triptychon „Der Krieg“ von Otto Dix

Im Folgenden werde ich das Triptychon „Der Krieg“, welches 1929 bis 1932 von dem deutschen Künstler Otto Dix mit einer Mischtechnik auf Holz gemalt wurde, bezogen auf biographischpsychologische Aspekte interpretieren. Wilhelm Heinrich Otto Dix war ein bedeutender deutscher Maler und Grafiker des 20. Jahrhunderts. Otto Dix’ Werk ist von stilistischer Vielfalt geprägt, bleibt jedoch in seiner künstlerischen Grundhaltung dem Realismus verpflichtet. Am bekanntesten sind diejenigen seiner Gemälde, die der Neuen Sachlichkeit (Verismus) zugerechnet werden.

Das Triptychon besteht aus einer 60 x 204 cm großen Predella; die beiden Flügel haben die Maße 204 x 102 cm und die Mitteltafel hat eine Größe von 204 x 204 cm. Heute wird es in der Galerie Neue Meister in den Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden ausgestellt. Als Triptychon werden dreigeteilte Gemälde oder dreiteilige Relieftafeln bezeichnet, die oft mit Scharnieren zum Aufklappen verbunden sind und sich insbesondere als Andachts- oder Altarbild finden. Triptychen bestehen aus einer Mitteltafel und zwei meist schmaleren Flügeln, manchmal ergänzt durch einen Sockel (Predella) unter dem Mittelteil. Ein Triptychon mit christlichen Motiven und mit beweglichen Seitenteilen zum Verschließen des Mittelteils ist eine mögliche Form eines Flügelaltars.

Für die Interpretation in biographisch-psychologischer Hinsicht werde ich auf die Bildbeschreibung des Triptychons und die Biographie des Künstlers eingehen. Zunächst werden allgemein in dem Bild verschiedene Kriegsszenen dargestellt. Man kann sie in die vier Tageszeiten einteilen: Morgen (linker Flügel), Mittag (Mittelteil), Abend (rechter Flügel), Nacht (Predella). Der linke Flügel des Triptychons zeigt den Aufbruch in den Krieg in Form von Soldaten/Landsern, die in Richtung rechter Bildrand marschieren und dem Betrachter des Bildes den Rücken zuwenden. Ihre Körper und auch das Holzrad, was links unten zu sehen ist, sind von Nebelschleiern umgeben. Der Hintergrund besteht aus dunkelroten und -grauen Wolken, die keinerlei Durchkommen der Sonne zulassen. Braun-, Grau-, Rottöne und Schwarz beherrschen das Bild. Mit dem Nebel wollte Dix die getrübte, gedämpfte Stimmung darstellen, den Aufbruch ins Ungewisse: durch den Nebel gibt es keinen klaren Blick auf die Ereignisse, die wohlmöglich
stattfinden werden, daher weiß keiner der Soldaten, was sie im Krieg erwartet. Der rötliche Himmel, der an ein Morgengrauen erinnert, unterstreicht die Aufbruchsstimmung, die Nervosität und die Anspannung der Soldaten. Er wirkt mysteriös und unheimlich, fast schon geheimnisvoll. Vielleicht verkörpert er sogar eine Art Vorahnung oder Hoffnung.

Emotionslos und undurchschaubar wirkt der Gesichtsausdruck des Soldaten rechts, man kann nur ahnen, was zurzeit des Aufbruchs in seinem Kopf vorgeht. Die anderen Soldaten links wurden als Rückenfiguren dargestellt. Dix wollte damit erzielen, dass sich der Betrachter des Bildes in die Soldaten hineinversetzen kann. Er wollte zeigen, dass zurzeit des Aufbruchs keine Kriegsbegeisterung mehr herrschte, weil nun die Anspannung und die Angst überwogen. Die Landser rechts scheinen sich zu unterhalten; wohlmöglich, um für einen Moment ihre Angst und Nervosität zu vergessen.

Auffallend ist, dass die Gewehre der Kolonne (links) parallel zueinander sind; die der beiden Landser (rechts) jedoch nicht. Die parallelen Gewehre lassen die Soldaten zu einer Truppe werden. Verbunden werden alle auf dem Bild zu sehenden Landser dadurch, dass sie die gleiche Ausrüstung (Gewehre, Rucksäcke) und die gleiche Kleidung tragen. Dix nahm ihnen dadurch jedoch jede Form von Individualität. Er machte die Soldaten zu einer großen Gruppe, die dasselbe Ziel verfolgte - den Kampf für das Vaterland - und verdeutlichte somit, dass es im Krieg keine Individuen gab und dass das zu der Zeit auch gar nicht wichtig war; es zählte ausschließlich die Gemeinschaft, denn im Krieg konnte nur die Gemeinschaft ihre Ziele erreichen. Die Landser marschieren gemeinsam in eine Richtung und bilden somit eine Bewegungslinie zum Mittelteil. Damit verweist Dix auf die Ereignisse, die nach dem Aufbruch stattfanden und auf der Mitteltafel dargestellt sind.

Die Mitteltafel zeigt ein verwüstetes Schlachtfeld und stellt den Mittag dar. Das quadratische Bild wird von einem einzigen Chaos und Durcheinander beherrscht. Im Vordergrund sieht man einen verkohlen Baumstamm, Leichen, abgetrennte Köpfe und Leichenteile. Im Mittelgrund sieht man einen Landser - kopfüber. Seine Beine sind von Schüssen durchlöchert worden. Links oben ist eine aufgespießte Leiche zu sehen, die bereits im Verwesungsprozess ist. Sie zeigt mit dem Finger auf die Person mit den Löchern in den Beinen und bildet somit eine weitere Bewegungslinie Richtung rechte Seitentafel. Unter ihr sieht man eine Person mit Gasmaske. Im Hintergrund ist das Schlachtfeld zu sehen, was aus Ruinen, Trümmern und einer Kraterlandschaft, die durch Granaten und Bomben entstanden ist, besteht.

Beim ersten Betrachten wirkt die Szene sehr grausam und erschreckend. Leichen und Verletzte wurden ohne Rücksicht auf die Würde des Menschen gemalt. Man sieht keine lebenden Menschen, bis auf die Person, die die Gasmaske trägt. Da sein Gesicht nicht zu erkennen ist, wirkt er wieder undurchschaubar, wie auch schon die Soldaten auf dem linken Flügel. Das Durcheinander zeigt eindeutig: die Menschen haben die Kontrolle über die Situation und damit auch über den Krieg und über dessen Ausmaß verloren. Dix’ realitätsnahe Darstellung bildet inhaltlich einen sehr starken Kontrast zum linken Flügel. Vorher: die Ungewissheit, die den Weg in den Krieg bestimmte; die Soldaten, die in „Richtung Mitteltafel“ marschierten, so, als hätten sie dort schon geahnt, was auf sie zukäme - jedoch nicht in so einem Ausmaß, wie es dann tatsächlich geschah - nachher: die ungetrübte Darstellung der Realität, der Nebel ist verschwunden, deutlich zu sehende Lichtinseln verweisen auf das Schlachtfeld und die abgetrennten Körperteile der gefallenden Soldaten. Auch die aufgespießte Leiche, die mit dem Finger auf den Soldaten mit den durchlöcherten Beinen zeigt, wirkt fast schon provozierend, als wollte Dix damit sagen: das ist die Realität, die keiner unterschätzen sollte; das ist das Ergebnis der Kriegsbegeisterung und dieser Lust auf sinnloses Töten, die zuvor - auf dem linken Seitenflügel - noch geherrscht hatte. Dix wollte dem Betrachter das Ausmaß des Krieges zeigen, ohne Beschönigungen oder Verfälschungen, sondern so, wie es wirklich stattgefunden hatte. Er wollte, dass die Menschen sahen, wie es den Soldaten im Krieg wirklich ging und was sie - die Überlebenden zumindest - täglich zu sehen bekamen.

Der rechte Flügel des Triptychons soll das Ende der Schlacht - den Abend - in Form von zwei Verwundeten vor einem dunkelroten Horizont darstellen. Im Vordergrund sieht man wieder Leichen, eine Gasmaske, einen verkohlten Baumstamm – der die letzte Bewegungslinie darstellt - sowie einen am Boden liegenden Soldaten, bei dem unklar ist, ob er noch lebt. Im Mittelgrund sieht man zwei Landser; der eine schleift den schlaffen Körper des anderen mit sich und blickt Richtung Betrachter. Im Hintergrund sind Flammen, Rauchschwaden und ein feuerroter Himmel zu sehen. Die rechte Seitentafel konzentriert sich in einem starken Hell-Dunkel-Kontrast (hell: Soldaten, dunkel: Hintergrund) auf die Situation der zwei Soldaten. Durch den Kontrast wird die Bedeutung der beiden für das Bild noch verstärkt, weil sie sich dadurch von dem Rest des Bildes abheben. Der rechte von beiden hat einen entschlossenen Gesichtsausdruck, sein Blick drückt Hoffnung aus; es scheint, als sei er entschlossen, dem anderen Soldaten - vielleicht seinem Kameraden oder Freund - zu helfen und dessen Leben zu retten. Dix gibt damit zum ersten Mal in diesem Bild einer Person einen emotionalen Gesichtsausdruck - und das nicht umsonst, denn man vermutet, Dix hat sich in dieser Person selbst porträtiert. Damit zeigt er auch, dass man als Teil der Truppe in den Krieg zog und als Individuum wieder herauskommt - jeder mit seinem eigenen Schicksal, seinen eigenen Erfahrungen. Das Leiden des Kameraden führt beide Soldaten zusammen. Nun zählt nur noch der Kampf ums Überleben und das stärkt den Zusammenhalt. Im Hintergrund wird wieder der rote Himmel des linke Seitenflügels aufgegriffen, jedoch viel ausgeprägter und auf eine andere Art zu deuten. Auf der linken Tafel ist das Rot als Ungewissheit, Nervosität, Morgengrauen, Hoffnung zu deuten. Auf der rechten Tafel ist das Rot viel kräftiger verwendet worden. Direkt über dem Kopf des blutenden und verwundeten Soldaten scheint eine Art Feuerball zu sein. Einerseits deutet das auf ein Inferno hin: man könnte annehmen, dass das starke Rot die Folgen und das Ausmaß des Krieges unterstreichen soll.

Andererseits könnte es aber auch die Hoffnung des rechten Soldaten unterstützen. Oben rechts im Bild sieht es so aus, als würde der Himmel aufreißen und die dunklen Wolken der Sonne weichen: ein erster Hoffnungsschimmer für eine baldige Verbesserung der Situation, die vorher, im Mittelteil, noch aussichtslos erschien.

Die Predella, also der Sockel, zeigt Leichen in einer Art Sarg und damit die Folgen des Krieges - also abschließend die Nacht. Man sieht mehrere, nebeneinander liegende Körper und darüber ein Tuch - wahrscheinlich ein Leichentuch. Die Körper der Menschen sehen aus, als lägen sie gewollt parallel nebeneinander - so, als hätte man sie tatsächlich dort begraben. An dem Bildrändern links und rechts sieht man die Holzkiste, die den Sarg bildet. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um ein Massengrab. Teilweise sind neben den Leichen Ratten und über ihnen Beutel zu sehen, in denen sich Brot befindet. Die Predella ist mit sehr dunklen Farben gemalt worden und deutet damit auf die Nacht hin. Hier wird das endgültige Ausmaß des Krieges deutlich: der Tod. Der Tag - der Verlauf des Krieges - ist vorbei, die Nacht ist angebrochen und vom Krieg und von der anfänglichen Begeisterung bleibt nur eine große Anzahl wahllos von den Feinden getöteter Soldaten übrig, die ihre letzte Ruhe in einem notdürftigen Grab finden müssen, das wahrscheinlich in einem der Schützengraben ist - weit weg von ihrer Familie, im Kriegsgebiet. Ratten bahnen sich ihren Weg durch die blassen, leeren Körper der Toten, die Dix jedoch nicht entstellt, sondern gewollt positioniert malte.

Die Predella fasst den Inhalt der Seitenflügel und des Mittelflügels zusammen und stellt den Abschluss des Krieges dar.

Das Motiv für diese grausame und realitätsnahe Darstellung des Krieges wird deutlich, wenn man sich mit der Biographie des Künstlers intensiver auseinandersetzt:

Wilhelm Heinrich Otto Dix wurde am 2. Dezember 1891 in der Nähe von Gera (Thüringen) geboren und starb am 25. Juli 1969 an den Folgen von zwei Schlaganfällen im Alter von 77 Jahren. Bereits im jungen Alter von nur 23 Jahren, im Jahr 1914, wurde er - freiwillig - Frontsoldat in verschiedenen europäischen Ländern und war während des ganzen ersten Weltkrieges bis 1918 als Soldat tätig. Nach dem Ende des Krieges widmete er sich gänzlich der Kunst und studierte an der Dresdener Kunstakademie. Ab 1927 war er dort als Professor tätig, doch schon 1933 – als der Zweite Weltkrieg begann - wird er von seinem Amt durch die Nationalsozialisten enthoben. Da er seine Erfahrungen aus dem Krieg in seinen Bildern verarbeitet und der Krieg zum wichtigsten Bestandteil seiner Bilder wird, erregt er immer wieder Aufsehen und wird oftmals stark kritisiert. Daher kommt es auch zur Amtsenthebung und zu einem Ausstellungsverbot in Dresden. Fünf Jahre später werden sogar 260 seiner Bilder beschlagnahmt, ein Jahr später wird er von der Gestapo inhaftiert. Seine kritische Malerei schien die Nationalsozialisten zu provozieren; sie versuchten mit allen Mitteln Otto Dix vom Malen abzuhalten; wahrscheinlich, weil sie vermuteten, dass die Intention der Bilder die Bevölkerung und dessen politische Einstellung negativ beeinflusste, weil Dix mit seinen Bildern den Krieg und die Nazis kritisierte. Diese bezeichneten seine Malerei als „entartete Kunst“. Einige Jahre vor seinem Tod wurde Dix mehrfach mit wichtigen Auszeichnungen geehrt, beispielsweise mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Cornelius-Preis der Stadt Düsseldorf.

Bereits die biographischen Daten zeigen, dass Dix sich im Laufe seines Lebens mehrfach mit dem Thema Krieg auseinandersetzen musste. Dix war während des gesamten ersten Weltkrieges als Soldat aktiv am Geschehen beteiligt. Er war „hautnah“ dabei, als Kameraden starben oder verwundet wurden oder als Angriffe geplant und durchgeführt wurden. Viele seiner Kameraden kamen nie mehr aus dem Krieg zurück, und viele von denen, die zurückkamen, litten noch Jahre danach unter den Folgen - und zu diesen gehörte auch Otto Dix. Er hatte das große Glück, weder entstellt noch in irgendeiner Weise stark verwundet gewesen zu sein, aber die psychischen Folgen holten ihn im Laufe seines Lebens immer wieder ein. Schon während des Krieges erstellte er Zeichnungen von der „Brutalität des Krieges“ und von der Kriegssituation (es heißt, er zeichnete sogar im Schützengraben), weil er entschlossen war, der Außenwelt zu zeigen, dass ihre anfängliche Kriegsbegeisterung falsch und der Krieg nichts Gutes war. Er war bestrebt, allen zu beweisen, wie schlimm die Situation wirklich war.

Nach dem Krieg widmete er sich der Kunst und versuchte damit, das Erlebte zu verarbeiten. Er änderte seine Einstellung zum Krieg und war nun überzeugter Gegner des Krieges und jeglicher Gewalt. Jedoch verdeutlichte er, dass er seine Bilder als eine Art Reportage sah. Dix wollte den Betrachter nicht ängstigen, sondern er wollte über die Situation des Krieges aufklären. Das lässt sich auch aus folgendem Zitat ableiten: „[…] Man muss ihn [den Krieg] realistisch darstellen, damit er auch verstanden wird. […] Ich habe die wahrhaftige Reportage des Krieges gewählt; ich wollte die zerstörte Erde, die Leichen, die Wunden zeigen.“. Und das wollte er nicht nur im Kriegstriptychon: der Krieg wurde zum Grundgedanken seiner vielen Werke. Er thematisierte die Brutalität des Krieges und seine eigenen Erfahrungen in fast allen seiner Werke.

1924 veröffentlichte er 50 Radierungen mit dem schlichten Titel „Krieg“. Er malte Bilder, die alle Schützengräben zeigten, 1915-1917 der „Betonierte Schützengraben“, 1917 weitere Schützengrabenbilder. 1924 wurde das Bild „Der Schützengraben“ ausgestellt, welches viele Proteste hervorrief. Mittlerweile gilt es als verschollen. Man vermutet, dass es von den Nationalsozialisten verbrannt wurde. Dieses Bild nutzte er zudem für den Mitteilteil des Kriegstriptychons.

Daraus lässt sich folgendes schließen: der Krieg wurde zum Hauptthema seiner Malerei. Er setzte sich somit den ganzen Rest seines Lebens freiwillig damit auseinander, obwohl er, als er selbst als Soldat im Krieg tätig war, schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Ihm war sehr wichtig, dass ein solcher Krieg nicht noch einmal stattfand, daher klärte er die Menschen über den wahren Verlauf auf. Er kritisierte in seinen Bildern den Krieg und die Politik des damaligen Deutschlands. Er machte den Krieg zu einem Bestandteil seines Lebens, weil auch die Malerei ein großer, wenn nicht sogar der größte Bestandteil seines Lebens war, und man könnte meinen, es handele sich bei Dix um einen Kriegsfanatiker. Obwohl es bei den künstlerischen und malerischen Tätigkeiten kaum Grenzen gibt, d.h., Dix hätte sich allen Themen zuwenden können, widmete er sich dem Thema, womit er am meisten Aufmerksamkeit erregte: er verwendete die Thematik des 1. Weltkrieges in seinen Bildern. Dafür wurde er oftmals stark kritisiert:

Es heißt, es hätte heftige (verbale) Angriffe auf Dix gegeben, vor allem von den Nationalsozialisten. Diese bezeichneten sein Werk als „Zeugnis der Zersetzung des Wehrwillens des deutschen Volkes“. Dix stellte jedoch ausschließlich die Folgen dar, die der Krieg mit sich trug, und er wollte, dass den Menschen die „Lust auf den Krieg“ verging, genau so, wie sie ihm bereits vergangen war. Ein Kritiker und sogenannter Vertreter des Konzepts visueller Kommunikation, Heino Möller, schrieb 1970, dass der Betrachter gebannt auf das Bild schaue und sich seine Augen an den grausigen Details festsaugen würden, das heißt, diese direkte und vollkommen realitätsnahe Darstellung von Dix’ im Krieg gesammelten Erfahrungen sind für den Betrachter in erster Linie zwar furchtbar und abschreckend, aber daher auch in einer Art beinahe faszinierend. Das liegt wahrscheinlich daran, dass zuvor kaum ein Künstler mit solch einer Prägnanz die Zustände während des Krieges künstlerisch dargestellt hat - weil kaum einer so mutig war wie Otto Dix, der wahrscheinlich genau wusste, dass er dafür Strafen auf sich nehmen musste (in Form von Amtsenthebung, Ausstellungsverbot usw.). Möller bezeichnet Dix weiterhin als jemanden, der jemand zu sein scheint, der die Menschen vor „neuer Vernichtung“ warnen wollte, die er „selbst schon erlebt hat“ - also vor weiteren Kriegen in der Zukunft. Zusätzlich erwähnt er noch die Kritik der Betrachter: Ablehnung herrschte vor allem gegenüber der Malweise, des Themas allgemein und insbesondere gegenüber der Leichen, weil wahrscheinlich niemand dulden konnte, dass den - für das Vaterland - gefallenden Soldaten die Würde genommen wurde, weil sie völlig entstellt gemalt wurden. Des Weiteren wurde die Form kritisiert. Triptychons fand man zuvor eigentlich nur in den Kirchen als Altarbilder. Dafür wurden selbstverständlich religiöse Themen verwendet, hauptsächlich die Kreuzigung von Jesus Christus. Die Anordnung der Tafeln ermöglicht - auch durch die Größe - eine Heraushebung des Mittelteils. Das ist auch im Kriegstriptychon von Dix zu sehen. Der Mittelteil ist doppelt so breit wie die Seitentafeln und zudem auch noch quadratisch. Damit wird deutlich, dass der Mittelteil und die darauf abgebildete Szene insgesamt über eine spezielle Wichtigkeit für das Triptychon und dessen Intention verfügt. In der Regel sind die meisten Triptychons so aufgebaut, z.B. auch das Folgende: ein Beispiel für ein Triptychon, das eine religiöse Thematik behandelt, wäre der „Isenheimer Altar“, der um 1516 von Matthias Grünewald gemalt wurde. Wohlmöglich orientiere sich Dix sogar an diesem Altarbild. Auch zu diesem Triptychon gehört eine Predella, die eine sehr extreme Form hat und sehr schmal ist und daher die künstlerischen Möglichkeiten ebenso extrem eingeschränkt. Dix malte dort das Massengrab und die Leichen, so, wie Grünewald auch den toten Körper Jesu Christi malte. Das „religiöse Format Triptychon“ sozusagen Zweck zu entfremden für ein Bild, was den Leidensweg der Soldaten im Krieg behandelt, schien somit ein Skandal zu sein, weil sich beide Themenbereiche nicht zusammenführen ließen bzw. lassen. Dix nahm zur Orientierung verschiedene Mittel zur Hand. Er interessierte sich zum Beispiel für die altmeisterliche Schichtenmalerei um 1500 und für die deutsche Malerei der Renaissance - wozu auch der „Isenheimer Altar“ zählt. Des Weiteren inspirierte ihn der weltberühmte Roman „Im Westen nichts Neues“, der 1928 von Eirich Maria Remarques geschrieben wurde und die gleiche unverfälschte Brutalität des Krieges behandelt wie Dix in seinem Triptychon. In diesem Buch wird zum Beispiel beschrieben, dass die Soldaten die Beutel, in der sich ihr Brot befand, an den Decken befestigten, um sie vor Ratten zu schützen. Den Brotbeutel und die Ratten findet man auch in der Predella als Bildzitat wieder. Um ein weiteres Bildzitat handelt es sich bei den Soldaten des rechten Flügels. Dix porträtierte sich dort selbst, orientierte sich aber wahrscheinlich an der Pasquino-Statue, die dieselbe Szene in Troja darstellt. Oder er wurde durch Äneas inspiriert, der seinen Vater im Trojanischen Krieg aus den Trümmern befreit. Vielleicht wollte er sich selbst für sein Triptychon dieselbe Heldenrolle zuschreiben, weil er sich eventuell als eine Art Held fühlt – nicht, weil er die feindlichen Soldaten sinnlos erschossen hat, sondern, weil er gemerkt hat, dass der Krieg nicht gut für die Menschen ist und sich nun verpflichtet fühlt, das Volk davon zu überzeugen. Der aufgespießte Soldat erinnert an den Täufer Johannes, der auch im Isenheimer Altar zu finden ist und mit seinem Finger auf den gekreuzigten Jesus zeigt. Die Person im Kriegstriptychon zeigt auf die Person mit den durchlöcherten Beinen, die im Isenheimer Altarbild Jesus ist, nur umgekehrt. An den Beinen der jeweiligen Personen sind die Spuren des Leidens zu sehen. Auch die Hand, die etwas schräg unter der aufgespießten Leiche zu sehen ist, sieht aus wie die Hand Jesu am Kreuz des Altarbildes von Grünewald. Das Skelett verweist auffordernd auf den Tod, und so wie Jesus für das Volk starb, starb dieser Soldat, dessen Beine mehrfach durchlöchert sind, ebenso „heldenhaft“ für das Volk bzw. das Vaterland. Die Person mit der Gasmaske auf dem Kopf verweist darauf, dass es sich bei dem 1. Weltkrieg um den ersten Krieg handelt, bei dem Giftgas eingesetzt wurde. Auch die Darstellung des Himmels - sowohl im linken als auch im rechten Flügel - als Feuerball, Morgengrauen oder aufreißender Wolkenwand erinnern an die Bilder, die um 1500 gemalt wurden und chiliastische Themen beinhalteten; oder auch das Ölgemälde „Alexanderschlacht“, das 1529 von Albrecht Altdorfer gemalt wurde und in dem ein ähnlicher feuerroter Himmel zu sehen ist. Dix überträgt somit die dort herrschende Stimmung in sein Gemälde. Das Rad im linken Flügel verweist auf den Märtyrertod der heiligen Katharina. Diese sollte durch das Rädern sterben. Vielleicht handelt es sich hierbei um eine Anspielung auf das bevorstehende Leid der Soldaten, die an dem Rad vorbei in den Krieg ziehen.

Es besteht eine Übereinstimmung zur mittelalterlichen Sakralmalerei, die sich hauptsächlich mit religiösen Themen auseinandersetzte. Dix orientierte sich zum größten Teil an Werken, die ebenfalls das Thema Krieg beinhalteten oder bei denen es um den christlichen Glauben ging. Auffällig viele seiner Bildzitate stammen aus dem Isenheimer Altarbild, obwohl das auf den ersten Blick inhaltlich nichts mit der Kriegsthematik zutun hat, mit der sich Dix in seinem Triptychon auseinandersetzt. Verbunden werden beide nur durch den dargestellten Tod (Predella) und den Leidensweg Jesu Christi bzw. der Soldaten. Der christliche Glaube lässt sich zudem auch auf das Format übertragen, wenn man das Kriegstriptychon mit der Kreuzigung Jesu vergleicht: der linke Flügel als Kreuztragung, die Mitteltafel als der Kreuzigungsprozess, der rechte Flügel als Kreuzabnahme und die Predella als Grablege. Bezüge zum Christentum sind somit unübersehbar.

Abschließend kann man sagen, dass es einen klaren Bezug zwischen Bild und der Biographie von Dix gibt. Hätte Dix im Krieg nicht so einschneidene Erfahrungen gemacht, hätte es auch niemals diese Bilder von ihm gegeben. Aus diesen Erfahrungen heraus sind die Bilder erst entstanden. Vielleicht hätte er sich sonst einer ganz anderen Gattung gewidmet. An der Vielzahl seiner den Krieg behandelnden Zeichnungen, Radierungen und Gemälde sieht man, dass ihn das Thema sehr beschäftigt hat. Eventuell war das Malen von seinen Erlebnissen wie eine Therapie für ihn, so ähnlich wie Tagebuchschreiben für andere malte er das, was ihm täglich im Krieg wiederfuhr und was er sah und erlebte, und das waren eben Tote, Verletzte, entstellte Körper, Blut und der Gestank nach Verwesung; Trümmer, Verwüstung, Trauer und Leid – jeden Tag. Es heißt, dass er freiwillig in den Krieg zog. Wahrscheinlich hat auch er sich anfänglich von der Kriegsbegeisterung anstecken lassen. Dix musste danach mit den Ausmaßen und den psychischen Folgen leben, und ich kann mir vorstellen, dass er den Rest seines Lebens von den Erinnerungen heimgesucht wurde, vor allem, weil er auch ständig damit konfrontiert wurde: er wurde wegen seiner realitätsnahen Darstellungen kritisiert, erlebte den Zweiten Weltkrieg mit, wurde inhaftiert und der Beteiligung an einem Attentat beschuldigt und kam – nach dem Zweiten Weltkrieg – in Kriegsgefangenschaft. Im Laufe seines Lebens konnte er dem Krieg wohl nie ganz aus dem Weg gehen, aber es scheint so, als wollte er das auch gar nicht, weil er freiwillig Bilder über Gewalt und Krieg malte. Erst viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurde seine Arbeit richtig anerkannt, weil er dort die ersten Auszeichnungen erhielt. Wahrscheinlich hatten das Volk und auch alle Kritiker dann erst eingesehen, dass Dix nichts mehr malte als die Realität, und dafür kann ihn keiner kritisieren, denn er malte nur das was er sah. Das ließ Otto Dix zu einem Realist werden, der aus seinen Lebenserfahrungen lernen und andere damit warnen wollte.

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