Nieder- Gemünden
Kubismus (1907- etwa 1925)Die Herausforderung
Cezannes an die herkömmliche Kunstauffassung spornt einige junge Maler zu
Beginn dieses Jahrhunderts zu weiterem Experimentieren an: Sie finden, dass auch
Cezanne den Raum nicht vollständig erfaßt, da er den darzustellenden
Gegenstand nach wie vor von einem festen Standpunkt aus beobachtet. Erst die
Standortveränderung des Malers erfaßt den Raum vollständig und
zeigt einen Gegenstand in der Gesamtheit seiner möglichen Aussichten und
damit in seiner körperhaften Eigenschaft.
Picasso umschreitet den
Gegenstand, nimmt so die Körperhaftigkeit des Modells genauer wahr und
faßt die verschiedenen Ansichten als erster in einer einzigen Darstellung
zusammen. Manchen Betrachter verwirren diese verschiedenen Ansichten, da seine
Sehgewohnheit darauf nicht eingestellt ist. Dennoch arbeitet Picasso ganz
gegenstandsnah. Er verbindet das Wissen über den Gegenstand mit dem Sehen
des Gegenstandes.
Charakteristik:
In der frühen, der sog.
analytischen Phase des Kubismus, hat die Auseinandersetzung mit Formproblemen
gegenüber der Farbgebung Vorrang. Der Maler scheint mehrere Lichtquellen zu
benutzen, um die geometrisch vereinfachten Gegenstände heranzumodellieren,
die in überwiegend braun-grauen-Tonstufen dargestellt sind. Durch
Außer-acht-lassen eins festen Betrachtstandpunktes gelingt das
Zusammenfassen verschiedener Ansichten in einer einzigen Darstellung, wodurch
der herkömmliche Bildraum aufgelöst wird. Die verschiedenen Ansichten
sind in einem prismenartigen Liniengerüst zusammengefaßt, das
einerseits die Körperform auflöst, sie aber andererseits intensiv mit
der Bildfläche verbindet. Die Zerlegung der Körper in die
verschiedensten Ansichten hat zur Folge, daß die gegenständlichen
Aussage zu Gunsten der Gesamthomoponisation fast preisgegeben wird.
Schließlich wird die perspektivische Konstruktion so weit
vernachlässigt, dass Figur und Grund nicht mehr zu unterscheiden sind. Es
gibt keine Schwerpunktbildung mehr; rhythmische Bewegung beherrscht die
Bildfläche.
Der später, sogenannte synthetische Kubismus will
mit leicht erkennbaren, gegenständlichen Motiven das fast
ungegenständliche Bild wieder lesbar machen. Neben gemalten
Gegenständen, wie Gitarre, Pfeife, Noten, bedient sich der Maler direkt ins
Bild geklebter Gegenstände, wie Zeitungs- und Tapetenausschnitte,
Spielkarten. Wo das original nicht zur Hand ist wird es täuschend
ähnlich in das Bild kopiert. Durch die Zusammenfügung (Synthese)
dieser gegenständlichen Motive verstärkt sich wieder die Beziehung zum
Naturvorbild.