Geiger, Arno - Unter der Drachenwand (Romanauszug Kapitel 22, S. 304 - 308)

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Referat

Arno Geiger - „Unter der Drachenwand“ (Romanauszug Kapitel 22, S. 304 - 308)

Verhältnis Onkel und Veit - Analyse Romanauszug

Der vorliegende Romanauszug stammt aus dem 2018 erschienenen Roman „Unter der Drachenwand" von Arno Geiger und steht dort auf den Seiten 304 - 308.

Der Roman als Ganzes thematisiert verschiedene Lebensrealitäten, Beziehungen und Konflikte während des Zweiten Weltkriegs, mit dem traumatisierten Soldaten Veit im Mittelpunkt.

Der Auszug thematisiert dabei die Entfremdung zwischen Veit und seinem Onkel. Letzterer ist Postkommandant (Polizist) in Mondsee, dem Haupthandlungsort im Roman. Veit ist, nachdem er auf dem Russlandfeldzug 1943 verwundet wurde, zur Erholung dorthin gezogen, da sein Onkel ihm ein Zimmer verschaffen konnte. Das Verhältnis der beiden ist von Anfang an eher distanziert, allerdings hilft sein Onkel Veit etwas dabei, sich in Mondsee zurechtzufinden. Gleichzeitig kritisiert er Veits Beziehung mit Margot, die der Onkel nur als „Reichsdeutsche“ (Z. 60) bezeichnet und dem Brasilianer, der aufgrund seiner systemkritischen Aussagen zwischenzeitlich vom Onkel verhaftet wurde. Veit wird währenddessen zunehmend kritischer und selbstbewusster gegenüber dem Onkel und seinen Eltern.

Inhaltlich lässt sich der Auszug in fünf Sinnabschnitte einteilen. Die Begegnung zwischen Veit und dem Onkel beginnt auf der Straße vor dem Posten des Onkels. Dort putz dieser seine Uniform und beobachtet dabei die Dorfbewohner, außerdem unterhält er sich kurz mit einem Mann aus dem Dort (vgl. Z. 1 - 12). Danach betreten Veit und sein Onkel dessen Büro, der Onkel putzt weiterhin seine Kleidung und fragt Veit nach einer Zigarette. Veit liest währenddessen aus den Akten des Onkels vor, eine wirkliche Kommunikation der beiden kommt jedoch nicht zustande, auch nicht, als der Onkel beginnt, über seinen schlechten Gesundheitszustand zu sprechen (vgl. Z. 13 - 32). Der Onkel beklagt sich ausführlich bei Veit über seine Situation und seine anstrengende Arbeit sowie darüber, dass er nicht genug Zigaretten bekomme. Veit, der in diesem Abschnitt keinen Redeanteil hat, soll ihm daher Tabak beschaffen (vgl. Z. 32 - 55). Da er davon ausgeht, dass der Onkel ihn ausnutzen möchte, lehnt er jedoch mit Berufung auf seine Angstzustände ab. Daraufhin berichtet der Onkel von seinen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg und dass er ähnliche Probleme gehabt habe, jedoch hätten diese aufgehört, weshalb sich auch Veit keine Sorgen machen solle, da er ohnehin eine komfortable Situation habe (vgl. Z. 55 - 72). Im letzten Abschnitt wechselt der Onkel das Thema auf den Brasilianer, wodurch auch wieder ein Dialog der beiden entsteht. Der Onkel möchte die Zigarren des Brasilianers haben und sagt Veit, der Brasilianer werde weiterhin beobachtet, was Veit Sorgen macht und ihn den Onkel wieder ignorieren lässt (vgl. Z. 73 - 89).

Da der Text als Tagebucheintrag Veits zu verstehen ist, tritt ein personaler, wertender Erzähler auf, der aus der Ich-Perspektive Veits Wahrnehmung der Situation schildert.

Insbesondere im zweiten Sinnabschnitt erkennt man die Abstoßung, die Veit zunehmend gegenüber seinem Onkel empfindet. So bezeichnet er dessen Füße als „wie Leichenfüße“ (Z. 24) und eine „triefäugige[…] Art“ (Z. 30). Veit erkennt, dass eine ehemalige Respekt- und Autoritätsperson durch das Alter und die angeschlagene Gesundheit an Kraft verloren hat, weshalb er sich traut, dem Onkel gegenüber selbstbewusster aufzutreten. Ein Beispiel dafür findet sich in Zeile 83f., als Veit den Plänen seines Onkels an die Zigarren des Brasilianers zu kommen, ironisch entgegentritt.

Außerdem ist auffällig, dass Veit auf die offensichtlich schlechte Verfassung des Onkels („apathisch“ (Z. 24), „als erlaube er sich nicht, in Tränen auszubrechen“ (Z. 30f.)) nicht wirklich reagiert oder sich besorgt zeigt. Obwohl er wahrnimmt, dass der Onkel „wirklich getroffen“ (Z. 39) ist, unternimmt er keine Versuche, ihn zu trösten oder ihm mehr als mit den zwei Zigaretten am Anfang zu helfen (vgl. Z. 15f.). Weitere sechs Zigaretten gibt Veit nur noch im Tausch gegen eine Tafel Schokolade ab (vgl. Z. 73), die Bitte, Tabak für den Onkel zu besorgen, lehnt er ganz ab (vgl. Z. 52 - 58). Hier erwähnt Veit gegenüber dem Leser auch, dass er sich vom Onkel „ausgenutzt“ (Z. 56) fühle.

Der Onkel nimmt im Gespräch der beiden den mit Abstand größten Redeanteil ein, allerdings ist auffällig, dass Veit fast alle seine Aussagen als indirekte Rede im Konjunktiv wiedergibt. Hierdurch wird einerseits eine Distanz zwischen Leser und Onkel aufgebaut, sodass auch der Leser kein wirkliches Mitleid empfindet, gleichzeitig wird auch die Ablehnung Veits weiter deutlich. Er zweifelt die Aussagen des Onkels für sich selbst an und zieht sie etwas ins Lächerliche, insbesondere in den Abschnitten drei und vier. Hier kann man davon ausgehen, dass Veit sich und seine Probleme vom Onkel auf mehrere Arten nicht ernst genommen sieht: Erstens, da der Onkel sich ausführlich über seine Tätigkeit und Mondsee beschwert und darüber, dass man ihm nicht genügend Zigaretten beschaffe. Er bezeichnet sich selbst als „größte[n] Trottel im ganzen Reich“ (Z. 40) dem man „jede Freude“ (Z. 40) nehme. Man kann sich vorstellen, dass Veit sich an dieser Stelle übergangen fühlt, da der Onkel sich aus Veits Sicht in einer guten, sicheren Lage befindet. Währenddessen muss Veit selbst jederzeit damit rechnen, wieder für den Krieg eingezogen zu werden und hat auch in Mondsee wegen seiner Panikattacken oft Probleme, den Alltag zu bewältigen. Auch die Formulierung, dass der Onkel seinen „Frust hemmungslos ab[geladen]“ (Z. 40) habe impliziert, dass Veit vom Onkel genervt ist.

Der Onkel selbst scheint Veits abweisendes Verhalten indes nicht wirklich wahrzunehmen beziehungsweise führt dieses nicht auf sein eigenes Verhalten zurück. Indem er Veits Emotionen und Angstzustände herunterspielt (vgl. Z. 59 - 62) verstärkt er jedoch in Veit eher das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Das Eingeständnis, ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben (vgl. Z. 62 - 71) gibt Veit weiterhin im Konjunktiv wieder und impliziert damit vor dem Leser, dass er sich nicht vorstellen kann, dass die Erlebnisse des Onkels so schlimm wie die eigenen gewesen sein könnten. Die Tatsache, dass sein Onkel ihm vermutlich gerade sein Innerstes offenbart und sich ungewöhnlich verletzlich gezeigt hat (vgl. Z. 71), scheint Veit weiterhin kaltzulassen. Indem er den Onkel anschaut, bis dieser den Blick senkt (vgl. Z. 72) hebt Veit zwischenzeitlich in eine Position, in der er über dem Onkel steht.

Somit ist auch diese Szene Teil des im Roman thematisierten Generationskonfliktes der jungen Erwachsenen, die sich mit ihren Kriegserlebnissen von der Elterngeneration nicht verstanden fühlen. Dass Veit sich zwischenzeitlich vom Onkel an seinen Vater, mit dem er aus diesem Grund ebenfalls in Konflikt steht, erinnert fühlt (vgl. Z. 25) ist ein weiteres Zeichen dafür, dass er sich in der Gegenwart des Onkels zunehmend unwohl fühlt.

Er bemerkt nicht, oder will nicht bemerken, dass die emotionalen Offenbarungen seines Onkels ebenfalls dessen Einsamkeit verkörpern und dass der Onkel sich in Veit eine emotionale Unterstützung erhofft.

Der einzige Einfluss, den der Onkel noch auf Veit ausübt, sind seine Einblicke in den Rechtsapparat und die Angelegenheiten um den Brasilianer, um den Veit sich Sorgen macht. So schafft es der Onkel durch dessen Erwähnung, Veits Abwesenheit zu beenden und in ihm eine Gefühlsregung hervorzurufen (vgl. Z. 75). Hier wechselt Veits Darstellungsform von der indirekten in die direkte Rede, indem die Konversation der beiden zeitdeckend wiedergegeben wird. Der Leser wird aus der Distanz zurück ins Geschehen geholt, wobei Veit auch hier weiter negativ gegenüber dem Onkel eingestellt ist (vgl. Z. 85f.). Sobald der Onkel sich leicht negativ gegenüber dem Brasilianer äußert, begibt sich Veit dementsprechend wieder in eine Abwehrhaltung und „starrt[…] gegen die Wand“ (Z. 86f.), somit bekundet er erneut offen sein Desinteresse zum Onkel.

Auf die gesamte Szene bezogen gewinnt die offene Ablehnung Veits weiter an Aussagekraft, wenn man bedenkt, dass die beiden sich im Büro des Onkels, und somit eigentlich in dessen vertrautem Gebiet befinden. Indem Veit hier sowohl verbal (vgl. Z. 83f, Z. 19) als auch körperlich, indem er die Füße auf den Tisch legen will (vgl. Z. 15), dominant auftritt, drückt er diese Abneigung verstärkt aus.

Das Verhältnis zwischen Veit und seinem Onkel ist in diesem Auszug besonders durch die Ablehnung Veits und daraus resultierende gegenseitige Entfremdung gekennzeichnet. Während der Onkel bei Veit auf emotionale Unterstützung hofft, verspürt dieser zunehmend Abneigung und Distanz, was sich insbesondere in der Wiedergabe als indirekte Rede äußert. Diese demonstriert er zunehmend offen durch Ignorieren und Wiedersprechen, was im Verlauf der Handlung wichtig für die Entwicklung seiner Selbstständigkeit, das Ausbrechen aus den Regeln der älteren Generation und die Konfrontation seines Vaters ist. Außerdem deutet die Art, dass er den Brasilianer vor dem Onkel verteidigt, schon darauf hin, dass Veit seinen Onkel schließlich erschießen wird, um den Brasilianer vor ihm zu retten.

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