Goethe, Johann Wolfgang von - Mahomets Gesang u. Mächtiges Überraschen (Analyse)

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Johann Wolfgang von Goethe, Analyse, Gedichtinterpretation, vergleichende Gedichtinterpretation, Referat, Hausaufgabe, Goethe, Johann Wolfgang von - Mahomets Gesang u. Mächtiges Überraschen (Analyse)
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Referat

Vergleichende Analyse „Mahomets Gesang“ und „Mächtiges Überraschen“ (Goethe)

Analyse der zwei Gedichte von Johann Wolfgang Goethe: „Mahomets Gesang“ und „Mächtiges Überraschen“

Mahomets Gesang
von Johann Wolfgang von Goethe

Seht den Felsenquell,
Freudehell,
Wie ein Sternenblick
Über Wolken,
Nährten seine Jugend
Gute Geister
Zwischen Klippen im Gebüsch.
 
Jünglingfrisch
Tanzt er aus der Wolke
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Auf die Marmorfelsen nieder,
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Jauchzet wieder
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Nach dem Himmel.
 
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Durch die Gipfelgänge
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Jagt er bunten Kieseln nach,
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Und mit frühem Führertritt
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Reißt er seine Bruderquellen
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Mit sich fort.
 
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Drunten werden in dem Thal
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Unter seinem Fußtritt Blumen,
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Und die Wiese
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Lebt von seinem Hauch.
 
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Doch ihn hält kein Schattenthal,
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Keine Blumen,
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Die ihm seine Knie umschlingen,
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Ihm mit Liebesaugen schmeicheln:
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Nach der Ebne dringt sein Lauf
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Schlangenwandelnd.
 
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Bäche schmiegen
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Sich gesellig an. Nun tritt er
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In die Ebne silberprangend,
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Und die Ebne prangt mit ihm,
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Und die Flüsse von der Ebne,
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Und die Bäche von den Bergen,
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Jauchzen ihm und rufen: Bruder!
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Bruder, nimm die Brüder mit.
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Mit zu deinem alten Vater,
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Zu dem ew’gen Ocean,
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Der mit ausgespannten Armen
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Unser wartet,
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Die sich ach! vergebens öffnen,
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Seine Sehnenden zu fassen;
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Denn uns frißt in öder Wüste
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Gier’ger Sand, die Sonne droben
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Saugt an unserm Blut, ein Hügel
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Hemmet uns zum Teiche! Bruder,
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Nimm die Brüder von der Ebne,
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Nimm die Brüder von den Bergen
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Mit, zu deinem Vater mit!
 
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Kommt ihr alle! –
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Und nun schwillt er
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Herrlicher, ein ganz Geschlechte
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Trägt den Fürsten hoch empor!
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Und im rollenden Triumphe
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Gibt er Ländern Namen, Städte
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Werden unter seinem Fuß.
 
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Unaufhaltsam rauscht er weiter,
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Läßt der Thürme Flammengipfel,
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Marmorhäuser, eine Schöpfung
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Seiner Fülle, hinter sich.
 
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Zedernhäuser trägt der Atlas
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Auf den Riesenschultern; sausend
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Wehen über seinem Haupte
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Tausend Flaggen durch die Lüfte,
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Zeugen seiner Herrlichkeit.
 
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Und so trägt er seine Brüder,
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Seine Schätze, seine Kinder,
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Dem erwartenden Erzeuger
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Freudebrausend an das Herz.

(„Mahomets Gesang“ von Johann Wolfgang von Goethe ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (28.9 KB) zur Unterstützung an.)

Mächtiges Überraschen
von Johann Wolfgang von Goethe

Ein Strom entrauscht umwölktem Felsensaale
Dem Ozean sich eilig zu verbinden;
Was auch sich spiegeln mag von Grund zu Gründen,
Es wandelt unaufhaltsam fort zu Tale.
 
Dämonisch aber stürzt mit einem Male –
Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden –
Sich Oreas, Behagen dort zu finden.
Und hemmt den Lauf, begrenzt die weite Schale.
 
Die Welle sprüht, und staut zurück und weichet,
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Und schwillt bergan, sich immer selbst zu trinken;
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Gehemmt ist nun zum Vater hin das Streben.
 
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Sie schwankt und ruht, zum See zurückgedeichet;
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Gestirne, spiegelnd sich, beschaun das Blinken
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Des Wellenschlags am Fels, ein neues Leben.

(„Mächtiges Überraschen“ von Johann Wolfgang von Goethe ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (24.3 KB) zur Unterstützung an.)

Vergleich beider Gedichte

Die beiden Gedichte „Mahomets Gesang“, entstanden in den Jahren 1772/73, und „Mächtiges Überraschen“, verfasst in den Jahren 1807/08, von Johann Wolfgang Goethe thematisieren das Bild des Stromes und deren Verlauf in Bezug auf das jeweilige Welt- und Lebensverständnis.

Das Gedicht „Mahomets Gesang“ weist keine eindeutige, regelmäßige Struktur auf. Es besteht aus 10 Strophen, die jeweils aus 7, 6, 5 oder 4 Versen bestehen. Eine Strophe jedoch sticht durch seine 25 Verse stark hervor. Ebenfalls gleicht das Reimschema der Struktur; auch hier finden wir wenig Regelmäßigkeit.

Das Gedicht ist also ziemlich offen und frei gestaltet. Inhaltlich sticht die Beschreibung des Wasserlaufes hervor, es wird quasi eine Geschichte davon erzählt, wie das Wasser von seinem Ursprung aus sein eigentliches Ziel erreicht. Dabei ist alles immer vorwärtstreibend.

Es beginnt mit einem kleinen Strom, der aus Regen besteht. Dieser bekommt dann mehr Zuflüsse, wird also größer und fließt hinunter ins Tal, wo es zur Bewässerung kommt. Dann beschreibt Goethe eine Ebene, die von der Natur geprägt ist. Schließlich kommen noch mehr Zuflüsse, sodass aus dem kleinen Strom ein großer, breiter und gehäbiger Fluss wird. Der Seeweg setzt sich weiter fort und nun gibt er anderen Ländern und Städten Namen und fließt schließlich in den Ozean. Somit hat der kleine Strom sein großes Ziel erreicht.

Die Uferregionen werden unter anderem durch Blumen sehr schöpferisch beschrieben. Dadurch wird dem Gedicht eine sehr drängende, schöpferische und schaffende Atmosphäre verliehen.

Diese Auffassung von der Natur spiegelt die Auffassung der Natur im Sturm und Drang wider. Denn im Sturm und Drang wird die Natur mit gottgleicher Potenz verglichen, die unendlich schöpferisch ist. Die prägende Kraft ist das Gefühl. Alles ist vom Gefühl geleitet, auch in diesem Gedicht ist alles sehr gefühlvoll beschrieben und sentimental geprägt (vgl. Vers 24 f.). Goethe möchte dem Leser hier vermitteln, dass sich der Mensch nicht an die Ordnung halten soll, sondern sich von Gefühlen leiten lassen soll. Der Mensch soll sich wie der Regen verhalten. Zunächst ist er klein und wird nicht bemerkt, doch dann entwickelt sich durch einen schöpferischen Trieb etwas was von allen bemerkt hat. Auch der Mensch soll dieses schaffende Bestreben haben, um nachher als großer Teil zu glänzen. Dabei muss man viele Hindernisse in Kauf nehmen und Probleme beseitigen, so wie sich das Wasser unaufhaltsam fortbewegt, soll auch der Mensch nicht aufhören sich zu bewegen, ständig in Bewegung bleiben und immer höheres bestreben.

Formal ist dieses Gedicht von Goethe vor allem von Neologismen, Personifikationen und Metaphern geprägt. In der zweiten Strophe ist das erste Wort „Jünglingsfrisch“ (Vers 8), was nicht nur ein Neologismus ist, sondern auch ein Pleonasmus. Denn alles, was jung ist, bedeutet auch, dass es frisch ist. Mit dieser Wortneuschöpfung möchte er nicht nur das Schöpfende im Menschen, was er selber mit diesem Wort verkörpert, sondern auch verstärkt die Bedeutung und den Sinn dieses Wortes betonen. „Und die Wiese Lebt von seinem Hauch“ ist eine Metapher, die verdeutlicht, dass die Wiese von diesem kleinen Strom abhängig ist. Auf die Menschheit bezogen soll das heißen, dass der Mensch auch von anderen Menschen abhängig ist, auch wenn die Menschen zunächst unwichtig scheinen und vielleicht nicht das wichtigste sind. Wie bereits erwähnt, kommen auch die Personifikationen nicht zu kurz. „Die Bäche schmiegen Sich gesellig an“ (Vers 28f.) zeigt dies. Die Bäche werden als etwas dargestellt, was sich gesellig anschmiegen kann. Wie ein Mensch sich an einen anderen anschmiegt, oder gar sich an die Gesellschaft anpasst, um sein Ziel zu erreichen.
Auch eine Alliteration findet man in diesem Vers. „Nimm die Brüder […]“ (Vers 50f.) wird hier wiederholt, damit es sich besser einprägt. Das soll bedeuten, dass dieser Mensch auf seinem Weg zum Ziel bereit ist, Opfer zu bringen und den angeblichen Rückschlag als kleinen Umweg zu betrachten.

Am Ende des Gedichts wird deutlich, dass sich alle Mühen am Ende rentieren und zeigen, dass es sich lohnt für sein Ziel zu kämpfen, sein Weg zu verfolgen, indem man sich an seinen Gefühlen orientiert. Indem man Dinge schafft, wird der Mensch glücklich, das wird vor allem durch die letzten zwei Verse deutlich „Dem erwartenden Erzeuger Freudebrausend an das Herz“ (Vers 71f.).

Bei dem Gedicht „Mächtiges Überaschen“ handelt es sich um ein Sonett, denn es besteht aus vier Strophen, wobei die ersten zwei Strophen aus vier Versen und die letzten zwei Strophen aus drei Strophen bestehen. In den ersten zwei Strophen handelt es sich um einen umarmenden Reim, also abba cddc. Die letzten zwei Strophen bestehen aus einer dreifachen Reimreihe abc abc. Im Gegensatz zu Goethes jüngerem Gedicht ist dieses Gedicht sowohl in der Struktur als auch in den Reimschemata klar strukturiert und zeigt somit Elemente der Klassik.

Auch hier sticht inhaltlich die Beschreibung des Stromes hervor. Doch hier beginnt der Lauf des Stromes in einem Gebirge, der dann zu einem Flusslauf wird und durch einen Wasserfall ins Tal hinabstürzt. Dort angekommen wird der Strom von Bergen gehemmt; es entsteht ein ruhiger See, der einem Stausee gleicht. Dieses Gedicht hat eine beruhigende Atmosphäre und Goethe versucht hier Form und Inhalt in Einklang zu bringen. Der Strom sieht sein Ziel, ebenso wie in „Mahomets Gesang“ darin, den Ozean zu erreichen, doch hier wird dieses Ziel nicht erreicht, aber trotzdem finden wir Zufriedenheit und Harmonie.

Hier wird nun nicht mehr so sehr auf die Beschreibung der Umgebung wert gelegt, sondern eher auf den Verlauf des Flusses. Durch die Beschreibung des Stausees wird deutlich, dass der Mensch nun Teil der Natur ist und sich in das Geschehen einbringt. Doch der Aspekt der Schöpfung spiegelt sich auch in diesem Gedicht wider. Man findet sowohl Elemente des Sturm und Drang als auch neue Elemente der Klassik. Auch hier spielen Gefühle eine große Rolle, es geht aber nicht nur darum seinen Gefühlen also seinen Trieben zu folgen, in diesem Fall das Erreichen des Ozeans, sondern auch vielmehr darum, durch den Verstand, durch die Vernunft diese Gefühlswelt zu kontrollieren und sich mit Alternativen abzufinden (vgl. V. 2, V. 14). Es entsteht vielleicht etwas völlig anderes als man erwartet hat, aber es muss nichts Schlechtes bedeuten. In diesem Gedicht wird diese Alternative sogar als „Neues Leben“ (Vers 14) bezeichnet.

Auch in diesem Gedicht zeichnen sich einige Personifikationen und Metaphern ab. „Die Welle sprüht und staunt zurück […]“ (Vers 9); die Welle wird in diesem Fall durch das Wort „staunt“ personifiziert. Dadurch werden ihr menschliche Eigenschaften verliehen, die dem Leser ein Gefühl der Identifikation geben. Metaphern findet man sofort in dem ersten Vers der ersten Strophe. “Umwölktem Felsensaale“ ist somit nur ein Beispiel für eine Vielzahl von Metaphern.

Auch hier ist die Natur ein Ebenbild der Menschheit. Man soll seinen Weg gehen, unaufhaltsam und ohne sich von Dingen täuschen zu lassen. Dabei sollte man sich sowohl auf Gefühle wie auch auf seinen Verstand verlassen; denn beides ist wichtig um sein individuelles Ziel zu erreichen. In der letzten Strophe beschreibt Goethe das Ziel, als etwas Vollkommenes bestehend aus Schönheit. Darin zeichnet sich auch ein weiterer Aspekt der Klassik ab, der vor allem in der Literatur und Kunst eine große Rolle spielt, nämlich zum einen das Schöne und zum anderen die Veranschaulichung des Wahren und Guten.

Bei diesen beiden Gedichten ist also nicht nur auffällig, dass sich Form und Struktur stark unterscheiden, sondern auch, dass es inhaltlich das gleiche Thema gibt, aber es jeweils mit verschiedenen Auffassungen dargestellt und dementsprechend vertreten wird. Das jüngere Gedicht ist kaum strukturiert und zeigt keine einheitliche Form, wohingegen das ältere Gedicht in einer wohl strukturierten Form, nämlich dem Sonett verfasst ist und außerdem ein regelmäßiges Reimschema vorweisen kann. Außerdem findet man in diesem Gedicht kaum Neologismen, da diese primär die Auffassung des Sturm und Drang widerspiegeln. Denn im Sturm und Drang geht es darum zu erschaffen und schöpferisch zu sein. Wenn also ein Autor Neologismen verwendet, erschafft er ebenfalls etwas Neues. Doch beide Gedichte beherbergen eine Vielzahl von Metaphern.

Inhaltlich besitzen beide Gedichte wie bereits erwähnt das gleiche Thema, doch das Ende ist unterschiedlich genauso wie die Darstellung. In dem ersten Gedicht gibt es ein Ziel, man lässt sich von Gefühlen leiten und dann erreicht man sein Ziel. Dabei muss man aber neue Dinge erschaffen und sich anpassen. Im zweiten Gedicht geht es eher darum durch eine Vereinigung von Gefühlen und Verstand einen Mittelweg zu finden, auch wenn man sein eigentliches Ziel nicht erreicht. Denn es ist vielleicht nicht das Ziel, das man versucht hat zu erreichen, aber es könnte dennoch mindestens genauso, wenn nicht sogar schöner sein als das, was man ursprünglich suchte.

Das jüngere Gedicht von Goethe spiegelt vor allem also die Auffassung des Sturm und Drang wider, denn es geht primär um das Schöpferische und Erschaffende im Menschen, was ausschließlich von der Welt der Gefühle geleitet wird. Der Strom gibt diese Auffassung wieder, da er selbst Dinge erschafft und alles sehr schöpferisch umschrieben wird.

In dem älteren Gedicht von Goethe wird vielmehr die Auffassung des Sturm und Drang mit Elementen der Klassik vermischt und wiedergegeben. Es geht zwar darum zu erschaffen, aber auch darum sich den Gesetzen der Natur zu unterwerfen. Eine weitere Rolle spielt das Eingreifen des Menschen in diese Gesetze. Außerdem soll diese Auffassung nicht nur von Gefühlen, sondern auch von Gedanken geleitet werden. Der Strom zeigt diese Auffassung sehr deutlich, da er zwar erschafft, sich aber an die von den Menschen gegebenen Gesetze der Natur halten muss und somit in Einklang mit seinem primären Wunsch und dessen Vereinbarung mit der Welt der Vernunft.

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