Dürrenmatt, Friedrich - Die Physiker (Analyse S. 61 - 77)

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Kapitulation vor der Wirklichkeit, Möbius, Newton, Einstein, Inhaltsangabe, Referat, Hausaufgabe, Dürrenmatt, Friedrich - Die Physiker (Analyse S. 61 - 77)
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Referat

Die Physiker: „Kapitulation vor der Wirklichkeit“

Zitat Möbius: "Es gibt für uns Physiker nur noch die Kapitulation vor der Wirklichkeit."

das gesamte Werk, Einordnung und Inhaltsangabe
Die Physiker sind ein satirisches Drama des Schweizer Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt aus dem Jahr 1961. Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs und der vielen Fortschritte in Wissenschaft und Nukleartechnik beschäftigt sich das Stück mit Fragen der Wissenschaftsethik und der Fähigkeit der Menschheit, ihre intellektuelle Verantwortung wahrzunehmen. Es wird oft als sein eindrucksvollstes und doch am leichtesten verständliches Werk angesehen.

Das Stück wurde 1962 in Zürich uraufgeführt und im selben Jahr von der Verlags AG "Die Arche" veröffentlicht. Es wurde von James Kirkup ins Englische übersetzt und 1964 in den USA von Grove Press unter dem Namen Evergreen veröffentlicht.

Die Geschichte spielt im Aufenthaltsraum des Sanatoriums Les Cerisiers, einem idyllischen Heim für psychisch Kranke, das von der berühmten Psychiaterin Mathilde von Zahnd geleitet wird. Dieser Salon verbindet sich mit drei Räumen, die jeweils von einem psychisch kranken Patienten bewohnt werden. Diese drei Männer, alle Physiker von Beruf, dürfen den Salon benutzen, wo sie von den Krankenschwestern, die mit ihrer Pflege beauftragt sind, regelmäßig überwacht werden. Der erste Patient ist Herbert Georg Beutler, und er glaubt, dass er Sir Isaac Newton ist. Der zweite Patient ist Ernst Heinrich Ernesti, der sich für Albert Einstein hält. Der dritte Patient ist Johann Wilhelm Möbius, und er glaubt, dass er regelmäßig vom biblischen König Salomo besucht wird. Als das Stück beginnt, hat "Einstein" gerade eine seiner Krankenschwestern getötet, und die Polizei untersucht die Tat. Die Diskussion zeigt, dass es sich um die zweite Tötung einer Krankenschwester durch einen dieser drei Patienten innerhalb von nur drei Monaten handelt, wobei der erste von "Newton" begangen wurde.

Das Motiv hinter diesen beiden Morden wird im zweiten Akt des Stücks deutlich, als sich mit verblüffender Plötzlichkeit zeigt, dass keiner der drei Patienten verrückt ist. Sie alle täuschen nur Wahnsinn vor. Möbius ist eigentlich ein unglaublich brillanter Physiker, dessen Entdeckungen so berühmte Ergebnisse wie die Lösung des Problems der Gravitation, eine "Einheitstheorie der Elementarteilchen" und das "Prinzip der universellen Entdeckung" beinhalten. Aus Angst, was die Menschheit mit diesen mächtigen Entdeckungen anfangen könnte, entschied sich Möbius, sein Werk nicht zu enthüllen. Stattdessen täuschte er den Wahnsinn vor, dass er in ein Sanatorium eingewiesen und so mit seinem Wissen geschützt werden könnte. Möbius konnte sich der Aufmerksamkeit jedoch nicht entziehen. "Einstein" und "Newton" sind beide Spione, Vertreter zweier verschiedener Länder, und sie sind in Les Cerisiers eingedrungen, um Möbius' Dokumente und, wenn möglich, den Mann selbst zu sichern. Jeder Spion ermordete eine Krankenschwester, um seine Geheimnisse zu schützen und seine Simulation des Wahnsinns zu verstärken.

In der gipfelnden Szene des Stücks enthüllen alle drei Männer ihre Geheimnisse, und jeder Spion versucht Möbius zu überzeugen, mit ihm zu kommen. Es ist ihm jedoch gelungen, sie davon zu überzeugen, dass die Geheimnisse, die er entdeckt hat, für den Menschen zu schrecklich sind, um sie zu kennen, und er versichert ihnen, dass ihre Bemühungen vergeblich sind, weil er kürzlich alle Papiere verbrannt hat, die er während seiner Zeit im Sanatorium entwickelt hat. Nach vielen Diskussionen sind sich die drei Männer endlich einig, dass sie sich damit begnügen, die Menschheit zu schützen, indem sie den Rest ihres Lebens in Gefangenschaft verbringen, während sie die Physik fördern und ihr dienen.

Diese edlen Pläne werden jedoch durch die letzte Handlung des Stücks vereitelt. Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd, Leiterin von Les Cerisiers, betritt den Aufenthaltsraum und verrät den drei Männern, dass sie ihr ganzes Gespräch belauscht hat. Außerdem kennt sie Möbius seit Jahren und kopiert heimlich seine Dokumente und nutzt seine wissenschaftlichen Entdeckungen zum Aufbau eines internationalen Imperiums. Sie glaubt, dass König Salomo zu ihr spricht, und sie glaubt, dass sie mit seiner Führung und Möbius Entdeckungen die mächtigste Frau auf Erden werden kann.

Die Geschichte endet mit einem Gefühl des drohenden Untergangs. Möbius, "Newton" und "Einstein" wurden überlistet und gefangen, und das Stück endet damit, dass jeder der drei Männer direkt und bedauernswert zum Publikum spricht und ihre Not und die Not der ganzen Menschheit betont.


Analyse des Textabschnittes Seite 61-77
In dem vorliegenden Ausschnitt ist ein Gespräch der drei Physiker im Wohnzimmer dargestellt. Es spielt kurz nach der Einführung der Pfleger und neuer Maßnahmen. Zunächst Newton, der eigentlich Kilton heißt, später aber auch Einstein (Eisler) eröffnen Möbius, dass sie gar nicht verrückt seien und sich nur im Irrenhaus befänden, um hinter den Grund des Verrücktseins Möbius' zu kommen. Nun versuchen sie jeweils Möbius davon zu überzeugen seine wissenschaftlichen Erkenntnisse im Sinne ihres Geheimdienstes zu veröffentlichen. Hierbei tritt Newton zunächst sehr selbstsicher und erhaben auf („Ich habe mit Ihnen zu reden, Möbius“ S.62). Er erläutert neben der Tatsache, dass er gar nicht verrückt sei, dass er durch die neue Maßnahme von Frl.v. Zahnd, Pfleger einzustellen und die Fenster zu vergittern, gezwungen sei zu handen(s.62). Der Mord an der Krankenschwester Dorothea Moser sei aus dem Grund geschehen, dass sie ihn nicht mehr für verrückt hielt und um seinen „Wahnsinn durch einen Mord endgültig zu beweisen“(S.63).


Möbius wirkt trotz der vielen Neuigkeiten nicht sonderlich geschockt und sehr ruhig. Die Erläuterung, Newton habe wegen eines Befehls gehandelt und die Reaktion darauf Möbius verlaufen im Staccato-Ton. Genau der gleiche Gesprächsverlauf und gleiche Gesprächsart ist bei dem „Geständnis“ Einsteins zu erkennen. Dieser erklärt wenig später Möbius aus den gleichen Gründen wie Newton gehandelt haben zu müssen.

Auch Einstein wirkt zunächst sehr selbstsicher. Dieses Selbstbewusstsein verschwindet bei beiden jedoch recht schnell, als sie erkennen, dass sie beide das gleiche Ziel verfolgen (Möbius zu ihrem Geheimdienst zu bringen) und somit sie selbst nicht mehr Möbius unter Kontrolle haben, sondern Möbius nun die Entscheidungen treffen kann (S.71). Es findet also eine neue Rollenverteilung statt. Die neue Unsicherheit lässt sich auch auf Seite 69 erkennen, wo beide Physiker sich den Schweiß abwischen müssen.

Im Folgenden versuchen sie beide Möbius zu überreden sich ihren Geheimdienst auszusuchen. Dieser hingegen ist bemüht beide davon zu überzeugen, dass es im Sinne der Menschheit besser wäre, die „Weltformel“ überhaupt nicht zu veröffentlichen, vernünftig zu handeln und so zu entscheiden ihr künftiges Leben im Irrenhaus zu verbringen. Die beiden Physiker stimmen zu. Als Argument für die „Kapitulation vor der Wirklichkeit“, also weiterhin im Irrenhaus zu bleiben und die Formel nicht zu veröffentlichen, führt Möbius auf, dass die Menschheit noch nicht bereit sei und die Erfindung somit gefährlich und die Erkenntnis tödlich sei (S.74). Weiter erklärt er, dass wer vernünftig sei, erkennen müsse, dass die Nichtveröffentlichung die einzige Lösung sei. Da die Wirklichkeit die Wahrheit bzw. die neue Erkenntnis noch nicht verkrafte, müsse die Erkenntnis versteckt bleiben.

Die drei Physiker geben also die Welt außerhalb des Irrenhauses auf, um die Menschheit zu schützen, opfern sich also für die Wirklichkeit auf und kapitulieren. Dagegen spricht aber, dass eine Aufopferung nicht unbedingt eine Kapitulation sein muss, da dies einer Schutzmaßnahme gleicht und kapitulieren aufgeben bedeuten würde, was die drei Physiker nicht tun. Vor allem Möbius hat die möglichen Folgen der Veröffentlichung studiert, was die Pflicht eines Physikers sei(S.69), zeigt sich also verantwortungsbewusst und kapituliert somit nicht.

Dies sieht die Person Möbius jedoch anders, da sie es selbst als Kapitulation ansieht (S.74), vermutlich, weil er es nicht geschafft hat die Menschheit darauf vorzubereiten, sodass die Formel verschweigt werden muss. Er sieht es als Kapitulation an, da er die Welt außerhalb des Irrenhauses aufgeben muss („Nur im Irrenhaus sind wir noch frei“s.75). Es sei die Pflicht eines Genies, verkannt zu bleiben (s.75), um die Welt zu retten. Denn nach Möbius gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Physiker bleiben in dem Irrenhaus und die Formel bleibt unveröffentlicht, oder die Entdeckung wird veröffentlicht und die Welt wird zu einem Irrenhaus.

Wenn sie im Irrenhaus bleiben, löschen sie sich zwar aus dem Gedächtnis der Menschen aus, verhindern jedoch, dass diese aus der Entdeckung schreckliches machen (S.76). Das Paradoxe zum Schluss des Gesprächs „Gefangen, aber frei“ (S.77) macht deutlich, dass die Physiker zwar gefangen sind im Irrenhaus, jedoch in dem Sinne frei sind, als dass sie frei denken können ohne das etwas Schreckliches passiert, wie wenn die Entdeckung an die Öffentlichkeit gelangt. Dies lässt sich auch auf die Kapitulation übertragen. Einerseits kapituliert er, da er für immer im Irrenhaus bleibt, um die Entdeckung zu schützen. Doch gerade diese freie Entscheidung sich aufzuopfern und so die Menschheit zu schützen spricht gegen den Begriff Kapitulation im
Sinne von aufgeben.

Insgesamt lässt sich also sagen, dass Möbius im Sinne des Schützens der Menschheit kapituliert, jedoch nicht im Sinne des Aufgebens, sondern dies eben die einzige Möglichkeit ist, die Menschheit vor falschem Benutzen der wissenschaftlichen Entdeckungen zu schützen.

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