Erlanger Baby - Schwangerschaft trotz Hirntod (Fallanalyse)

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Probleme am Lebensanfang, Marion Ploch, Referat, Hausaufgabe, Erlanger Baby - Schwangerschaft trotz Hirntod (Fallanalyse)
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Referat

Probleme am Lebensanfang (Fallanalyse)

Hintergrund
Am 5.10.92 erlitt die 19jährige Marion Ploch bei einem PKW-Unfall schwerste Schädel-Hirn-Verletzungen. Die schwangere Frau wird per Hubschrauber in die Universitätsklinik Erlangen geflogen. Drei Tage später stellen die Ärzte ihren Hirntod fest. Inzwischen war bei der Toten die Schwangerschaft durch die Ärzte festgestellt worden, die trotz des Unfalls vollkommen intakt war und zum Zeitpunkt der Hirntodfeststellung etwa der 15. Schwangerschaftswoche entsprach. Die Eltern von Marion Ploch wollen die lebenserhaltenden Maschinen ausschalten lassen. Doch Ärzte und Juristen der Erlanger Klinik entscheiden, dass der 15 Wochen alte Fötus im Leib seiner verstorbenen Mutter ausgetragen werden soll.


1. Einleitung
Anhand dieses Falles möchte ich aufzeigen, dass man nicht nur als Mediziner, Theologe oder Philosoph in Gewissenskonflikte ohne wirklichen Ausweg geraten kann, sondern auch als normaler Bürger, denn diese Situationen eröffnen sich schneller als allgemein angenommen. Nicht nur Sonderfälle wie der des „Erlanger Babys“ verlangen ein Abwägen zwischen moralischen Normen, Gesetzen und eigener Intuition, sondern auch Abtreibungen oder Behinderungen ungeborener Kinder.

Solche Probleme am Lebensanfang, die nicht immer, aber sehr häufig auftreten, gehen jeden einzelnen von uns an, denn die Geburt steht schließlich am Beginn jedes Lebens.
Außerdem lässt sich neben der speziellen Thematik aller Fälle zumindest eine Gemeinsamkeit erkennen, nämlich die, dass es keinen vorgeschriebenen Weg gibt, den man nehmen kann. Es gibt einige Bereiche in unserem Verständnis von Werten, die nicht eindeutig definiert, also gewissermaßen Grauzonen sind. Um dieses Problem der Begriffsdefinition darzulegen und Beispiele vorzuführen, habe ich mich für die Analyse des „Erlanger Baby“- Falles entschieden, da er in extremer Weise Argumentationslücken darstellt und sie in die Spitze treibt.


2. Einführung in den Fall
Am 5.10.1992 wurde die neunzehnjährige Marion Ploch aufgrund schwerer Schädel-Hirn-Verletzungen durch einen Autounfall in die Erlanger Universitätsklinik gebracht. In der Abteilung für Neurochirurgie wurden nach Durchführung einer craniellen Computertomographie eine massive maligne (bösartige) Hirnschwellung, keine intracranielle (innerhalb des Schädels) Blutung, aber eine Schädel-Basis-Fraktur diagnostiziert, was eine sehr infauste Prognose bedeutet. Drei Tage nach ihrer Einlieferung, am 8.10.92, wurden bei der Verletzten alle Anzeichen eines dissoziierten Hirntodes festgestellt. Durch ein isoelektrisches EEG und den Nachweis eines cerebralen Durchblutungsstillstandes in der transcraniellen Dopplersonographie wurde der klinische Befund bestätigt.

Da sich Marion Ploch zu Lebzeiten ablehnend gegenüber Organentnahme geäußert hatte, wurde dieser Eingriff nicht in Betracht gezogen. Inzwischen war bei der Toten allerdings eine Schwangerschaft festgestellt worden, die nach Ultraschalluntersuchungen trotz des Unfalls vollkommen intakt war und zum Zeitpunkt des diagnostizierten Hirntodes etwa der 15. Schwangerschaftswoche entsprach. Damit handelt es sich nach der medizinischen Definition bereits um einen Fötus (ab der 12. SSW mit Abschluss der embryonalen Organentwicklung), welcher aber außerhalb des Mutterleibes überhaupt nicht lebensfähig ist (mit Möglichkeiten der Perinatalmedizin können Frühgeborene ab der 26. SSW mit einer etwa 50%igen Wahrscheinlichkeit überleben.)


3. Die Entscheidungssituation

3.1. Die Handlungsmöglichkeiten und ihre absehbaren Folgen
Da ein Abstellen des Beatmungsgerätes also unweigerlich zum Tod des ungeborenen Kindes im Mutterleib führen würde, muss eine schnelle Entscheidung getroffen werden. Es besteht die Möglichkeit, die Körperfunktionen der hirntoten Frau bis zu dem Zeitpunkt künstlich aufrechtzuerhalten, zu dem sie von dem Säugling entbunden werden kann oder das Abstellen der lebenserhaltenden Maschinen einzuleiten und somit die Versorgung des Fötus abzubrechen.

Im Falle einer Weiterführung der Schwangerschaft muss man bedenken, dass die späteren Folgen für das Kind nicht vorauszusehen sind. Man weiß nicht, ob die Tatsache, dass die Mutter tot ist, irgendeinen Einfluss auf die mentale Entwicklung des Kindes im Mutterleib nimmt oder wie das Kind nach seiner Geburt mit diesem außergewöhnlichen Fakt umzugehen weiß. Andererseits hätte man bei einem Abbruch der Schwangerschaft auch keine Möglichkeit dies herauszufinden. Die Entscheidungsgewalt liegt hier in den Händen der behandelnden Ärzte, die aber Rücksprache mit den Familienangehörigen halten und sich nach der Ethikkommission richten müssen.

„Die Landesärztekammer errichtet eine Ethikkommission als unselbständige Einrichtung. Die Ethikkommission berät die Kammermitglieder über ethische und rechtliche Fragestellungen. Sie gibt bei Forschungsvorhaben, insbesondere in den gesetzlich bestimmten Fällen, schriftliche Stellungnahmen ab. Die Berufsordnung kann vorsehen, dass die Kammermitglieder die Ethikkommission zu beteiligen haben.“ (§5a,Kammerwesen, „Heilberufsgesetz“,12.10.1999)


3.2. Rechtliche Grundlagen

3.2.1. Das Hirntodkriterium
„Der Hirntod ist der Tod des Menschen. Eine Person kann daher schon für tot erklärt werden, wenn während angemessener Beobachtungszeit und gegebenenfalls mit apparativer Zusatzdiagnostik die nachfolgend aufgeführten Kriterien des Hirntodes nachgewiesen worden sind: [...]

  • irreversibler Verlust der Großhirn- und Hirnstammfunktionen, wobei das Vorliegen einer definierten Symptomatik nachgewiesen sein muss, zu der unter anderem Koma, Ausfall der Spontanatmung, Lichtstarre beider Pupillen, Fehlen verschiedener Reflexe sowie von Reaktionen auf bestimmte Schmerzreize gehören.[...]
  • das EEG zeigt über einen Zeitraum von mindestens 30 Minuten eine hirnelektrische Stille (Null-Linien-EEG).
  • eine beidseitig durchgeführte Angiographie (Darstellung der Blutgefäße im Gehirn) ergibt, dass das Gehirn nicht mehr durchblutet wird. [...]

Der Hirntod ist der vollständige und irreversible Zusammenbruch der Gesamtfunktionen des Gehirns bei noch aufrechterhaltener Kreislauffunktion im übrigen Körper.“

Alle hier aufgeführten Kriterien des Hirntodes konnten bei Marion Ploch in der Universitätsklinik eindeutig nachgewiesen werden, die Patientin wurde somit für tot erklärt. Ein Punkt, der gegen das Weiterführen der Schwangerschaft im Leib der toten Mutter spricht, denn ein durch die moderne Apparatemedizin erhaltener Organismus kann zwar nahezu alle Anzeichen eines lebendigen Menschen wahrnehmen, man darf aber die Tatsache nicht vergessen, dass dieses Bild nicht existent ist, sobald man die intensivmedizinischen Geräte abschaltet.

Hinzu kommt, dass keine modernen Apparaturen integrative Bewusstseins- und damit gehirnabhängige Leistungen wie Kommunikationsfähigkeit, Emotionalität und menschliche Wärme ersetzen können.


3.2.2. Behandlungsgrundsätze und Verhaltensregeln
„(1) Jede medizinische Behandlung hat unter Wahrung der Menschenwürde und unter Achtung der Persönlichkeit , des Willens und der Rechte des Patienten [...] zu erfolgen.“

Mit dem Grundsatz, dass die Individualität eines Menschen auch nach seinem Tode nicht erlischt, geht einher, dass auch seine Würde nach dem Ableben bewahrt werden muss. Nun gibt es keine eindeutige Definition eines würdigen Todes, aber eine Degradierung zu einer temporären Nährlösung fällt bestimmt nicht darunter. Daher hat die Patientin den Anspruch auf eine angemessene Behandlung ihres toten Körpers.


3.2.3. Erhaltung des ungeborenen Lebens
„Der Arzt ist grundsätzlich verpflichtet, das ungeborene Leben zu erhalten.[...]“ Aus rein rechtlicher Sicht gibt es nach diesem Gesetz keine andere Perspektive, als die Mutter künstlich am Leben zu erhalten um das Überleben des Fötus zu gewährleisten


3.2.4 .Schwangerenberatung
Der Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs ist straffrei, wenn

„1. Die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung [...] nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen,[...]
3. seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.“

Beide Aspekte sind in dem Fall von Marion Ploch in keiner Weise erfüllt, denn weder hatte sie den Wunsch geäußert eine Abtreibung vornehmen zu lassen, noch hatte sie die Gelegenheit ein Beratungsgespräch zu führen. Hier kommt noch hinzu, dass sie sich zum Zeitpunkt ihres Unfalls bereits in der 15. SSW befand und es sich bei dem Embryo bereits um einen Fötus handelte. Unter Betrachtung dieser Gesetzgebung würde das Abstellen der lebenserhaltenden Maschinen einer Straftat gleichkommen, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden muss.


3.2.5. Schwangerschaftsabbruch
„Der Schwangerschaftsabbruch unterliegt den gesetzlichen Bestimmungen. Der Arzt kann nicht gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen oder ihn zu unterlassen.“

Dieser Artikel der Berufsordnung für Ärzte kann von den Medizinern in der vorliegenden Entscheidungssituation als Pro wie auch als Kontra gegenüber dem Einstellen der Behandlung aufgefasst werden. Einerseits kann der behandelnde Arzt sich weigern, die Lebenserhaltungsmaßnahmen zu beenden, er hat aber auch gleichzeitig eine Begründung, wenn er die Schwangerschaft abbrechen will. Es liegt also folglich in seinem Ermessen.


3.2.6. Das Recht auf Leben
„Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“

Da die Leibesfrucht ab der 12. SSW als Fötus zählt und dieser somit als Person, besitzt er das Recht auf Leben und die Schwangerschaft muss weitergeführt werden.


3.3. Ethische Grundlagen

3.3.1 Personizismus
„ Die Auffassung, die bloße Zugehörigkeit zu unserer Spezies, ...], sei von entscheidender Bedeutung für die Verwerflichkeit des Tötens, ist eine Erbe religiöser Lehren, [...].
Wir können den Fötus nun als das betrachten, was er ist – die wirklichen Eigenschaften, die er besitzt -, und können sein Leben nach demselben Maßstab bewerten wie das Leben von Wesen, die ähnliche Eigenschaften haben, aber nicht zu unserer Spezies gehören.[...]
Denn bei jedem fairen Vergleich moralisch relevanter Eigenschaften wie Rationalität, Selbstbewusstsein, Bewusstsein, Autonomie, Lust – und Schmerzempfinden und so weiter haben das Kalb, das Schwein und das [...] Huhn einen guten Vorsprung vor dem Fötus in jedem Stadium der Schwangerschaft [...].
Ich schlage daher vor, dem Leben eines Fötus keinen größeren Wert zuzubilligen als dem Leben eines nicht menschlichen Lebewesens. [...] Da kein Fötus eine Person ist, hat kein Fötus denselben Anspruch auf Leben wie eine Person. [...] Wenn das so ist, dann beendet eine Abtreibung eine Existenz die überhaupt keinen Wert an sich hat.“

Aus Sicht der Personizisten steht dem Fötus nicht das ihm durch die Menschenrechte zugesprochene Recht auf Leben zu, weil er nicht die Merkmale des menschlichen Lebens zeigt; er besitzt weder Denkvermögen, noch Emotionalität und kann somit auch nicht als Person gewertet werden. Die hieraus resultierende Schlussfolgerung beinhaltet, dass die Rechte eines Wesens, das noch nicht mit menschlichen Maßstäben gemessen werden kann, nicht über den Rechten einer Person stehen können.


3.3.2. Speziesismus
Im direkten Gegensatz zum Personizismus stehen die Thesen des Speziesismus. Nach diesen wird die Bedeutung des Wortes „menschlich“ mit dem Begriff „Mitglied der Spezies Homo Sapiens“ gleichgesetzt. Unabhängig von der Existenz oder dem Fehlen moralischer Eigenschaften, zählt jedes menschliche Leben als vollwertige Person, die vollen Anspruch auf seine Rechte hat. Damit wird dem Fötus wiederum das Recht auf Leben zugesprochen.


3.3.3. Feminismus
Eine Schwangerschaft bedeutet für eine Frau, dass sie ihren Körper (in den meisten Fällen freiwillig) für neun Monate einem anderen menschlichen Wesen zur Verfügung stellt. Es gibt keine moralischen Verpflichtungen, aus denen man einem anderen Lebewesen die Benutzung seines Körpers gestatten muss. Es ist vielmehr großzügig und freundlich wenn man es tut, aber diese Aussage ist vollkommen verschieden von der, dass man unrecht handeln würde, wenn man es nicht tut. Aus dieser Sicht geht es nicht darum dem Fötus ein Recht auf Leben abzusprechen, im Gegenteil, Feministinnen gestehen es ihm zu, aber genau dieses Recht auf Leben beinhaltet nicht das Recht, den Körper eines anderen zu benutzen, selbst wenn man ohne diese Benutzung sterben würde.


4. Probleme die zum Entscheidungskonflikt führen
Das schwerwiegendste Problem liegt mit Sicherheit in der Tatsache, dass Marion Ploch keine Möglichkeit dazu hatte, ihre Wünsche und Meinung zu äußern. Weder war bekannt, wie sie zum Thema Abtreibung stand noch zu lebenserhaltenden Maßnahmen. Vielleicht hätte sie gewollt, dass ihrem Kind eine Chance auf Leben gewährt wird, auch ohne die Mutter oder sie wäre möglicherweise dagegen gewesen, als Tote ein Kind auszutragen, um ihre eigene Würde und die ihres Kindes zu wahren. Zusätzlich erschwert wird die Entscheidung durch das Fehlen einer eindeutigen Gesetzgebung. Weder im Grundgesetz, im Strafgesetzbuch, in den Menschenrechten oder in der Berufsordnung für Ärzte gibt es Vorschriften, die ein bestimmtes Verfahren für solche Fälle vorsehen. Bevor sich der Fall des „Erlanger Babys“ entwickelte, wurden sieben weitere Fälle, ohne vergleichbares Medieninteresse, einer Weiterführung der Schwangerschaft einer hirntoten Mutter bis zur Entbindung von einem völlig gesunden Kind beschrieben. Aber dies bewirkte keine Veränderung in der Gesetzgebung.

Die zuvor aufgelisteten rechtlichen und ethischen Grundlagen sehen alle den Fall einer lebenden Patientin vor und sind deswegen auch nur beschränkt wirksam. Diese Ausnahmesituation bildet gewissermaßen eine Gesetzeslücke, die auch nach ihrem Ausgang nicht geschlossen wurde. Auch ist auffällig, dass sich rechtliche und ethische Aspekte klar in Pro und Kontra spalten lassen, die Gesetzgebung spricht eindeutig für das Fortführen der Schwangerschaft, die moralischen dagegen. Es gilt also zwischen Moral und Gesetz abzuwiegen und zu entscheiden, welches das stärkere Gewicht hat, aber ein eindeutiges Ergebnis ist durch diesen Widerspruch nicht möglich. Ein anderes Problem ist, dass es keine klare Abgrenzung von Leben und Tod gibt, denn die hirntote Patientin weist durch die intensivmedizinischen Apparate alle nötigen Lebensfunktionen auf. Ist sie dann noch tot? Oder kann man dies lebendig nennen?

In Bezug auf diese Grenzsituation haben es weder die Philosophie noch die Theologie vermocht schlüssige einheitliche Definitionen von Begriffen wie `Person ´, `Leib ´ oder `Geist ´ zu schaffen. Wie kann das auch möglich sein, wenn schon bei der Auffassung von dem Wort Mensch die Meinungen auseinanderstreben?

Letzten Endes ist vielleicht gar keine einheitliche Beurteilung dieses Falles möglich, weil es immer auf den persönlichen Standpunkt ankommt, geprägt durch Glauben, Erziehung und Erfahrung. So können sich neutrale Betrachter in einem ganz anderem Beurteilungsmodus bewegen als zum Beispiel die Angehörigen von Marion Ploch. Diese werden vielleicht daran denken, dass in dem Kind ein Stück der Verstorbenen weiterleben wird und dass sie das Kind ja austragen wollte. In keinem Falle werden sie die gesetzlichen und moralischen Vorstellungen gegeneinander abwägen und dem Gewichtigeren den Vorzug gewähren, anstelle dessen werden sie eher intuitiv und emotional entscheiden. Der behandelnde Arzt kann in dieser Situation leicht in einen Gewissenskonflikt geraten, da er einerseits geschworen hat ungeborenes Leben zu schützen, andererseits aber auch, die Würde der Patientin zu wahren.


5. Meinungsbilder

5.1. Gespräch mit einer Pastorin
„Aufgrund meiner Ausbildung, würde ich immer dazu tendieren, das Leben zu erhalten, dem Kind die Chance zu geben geboren zu werden. Das könnte unter besonderen Umständen eventuell anders aussehen, aber solange nichts Gegenteiliges auftritt, hat man dem Kind generell die Chance zum Leben zu geben und ich denke, man tut der Mutter kein Unrecht, wenn man ihre Vitalfunktionen aufrecht erhält. Die Kirche als Institution hat in so einem Falle keine konkreten Beurteilungsrichtlinien, aber ich denke dass dies die überwiegende Meinung ist, nämlich die, das Leben zu erhalten. Man differenziert aber von Fall zu Fall, hier wäre ein Gegenargument gefunden, wenn die Verwandten die Behandlung als sehr pietätlos empfinden würden, was aber nun nicht so war. Im Normalfall ist die Sachlage eigentlich eindeutig. Auch aus der Sicht einer Mutter würde ich so argumentieren. Wenn es meine Tochter wäre, würde ich auch dafür kämpfen, dass wenigstens das Enkelkind eine Chance zum leben bekommt.

Es wäre problematischer, wenn es darum ginge, das Kind auf Kosten der Mutter am Leben zu erhalten, dem einen das Leben für das Leben des anderen wegzunehmen. Dies ist sehr viel schwieriger, denn da sagt man im Großen und Ganzen, die Mutter kommt vor dem Kind.“ Pastorin Christina Cremer, Evangelische Kirchengemeinde Altenbochum


5.2. Meine persönliche Meinung
Unter Berücksichtigung aller aufgeführten Entscheidungsgrundlagen, meiner Position als objektive Betrachterin und vielleicht auch als weibliche Person bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich das Beatmungsgerät abgestellt hätte. Dies mag angesichts der Tatsache, dass fast alle rechtlichen Argumente gegen diese Entscheidung sprechen, unbegründet klingen, bekommt aber dadurch, dass die moralischen Thesen hingegen diesen Entschluss befürworten, ein anderes Gewicht. Ich habe für mich selber Gesetz und Moral gegeneinander abgewogen und fand die ethischen Grundsätze treffender und auch nachvollziehbarer. Der Körper einer Frau ist gerade nach ihrem Tod kein Platz, um etwas auszuprobieren, kein Forschungsobjekt, was er aber durch die große öffentliche Präsenz zu werden schien. Der Fall des „Erlanger Babys“ hat für mich zu sehr den Beigeschmack eines Experimentes, einer öffentlichen Diskussion, als eine persönliche Angelegenheit der Familie dieser Frau. Nun bin ich selber nicht betroffen und kann mir auch nur schwer vorstellen, es jemals zu sein, weil die Wahrscheinlichkeit einfach zu gering ist, aber wäre ich es, ist es sehr wohl möglich, dass ich anders entscheiden würde. Ich verurteile die Weiterführung der Schwangerschaft nicht, ich habe lediglich eine andere Auffassung, bin aber auch in der Lage, die Argumente für das Aufrechterhalten der Vitalfunktionen der Mutter nachzuvollziehen und zu akzeptieren.


6. Entwicklung des Falles

6.1. Die getroffene Entscheidung
Nach eingehender Beratung und unter der Berufung auf das Lebensrecht des ungeborenen Kindes entschlossen sich die Ärzte der Erlanger Universitätsklinik, die Schwangerschaft durch Fortführung der intensivmedizinischen Behandlung im hirntoten Leichnam der Marion Ploch aufrecht zu erhalten. Für die Weiterführung ist keine komplexe Hormonregulation mit intakter Funktion der Hypophyse oder anderer übergeordneter Zentren im Hirn der Schwangeren erforderlich. Der heranwachsende Fötus kann sich und auch die tote Mutter über die Placentaschranke durch eine autarke (sich selbst versorgende) Hormonregulation versorgen. Im Falle des „Erlanger Babys“ wurde lediglich eine unterstützende Substitution mit Schilddrüsen- und Nebennierenhormonen durchgeführt. Um den Verlust des `Dialoges ´ zwischen Mutter und Kind wieder wett zu machen, bemühte man sich, dem Fötus eine möglichst normale Entwicklung zu gewährleisten. Die Krankenschwestern machten mit der Patientin gymnastische Übungen, streichelten ihren Bauch, unterhielten sich laut im Krankenzimmer und spielten Musik, um dem Kind das Wahrnehmen von Geräuschen zu ermöglichen.


6.2. Ausgang der Behandlung
Die Behandlung der Mutter durch die Intensivmedizin verlief fünf Wochen komplikationslos, aber in der Nacht vom 15. zum 16. November 1992 kam es zu einem plötzlichen Fieberanstieg mit Anzeichen einer pneumonischen Infektion (Lungenentzündung), der zu einem Spontanabort führte. Zur Temperaturregelung im menschlichen Organismus stehen drei verschiedene Systeme zur Verfügung, welche im Hypothalamus, im Rückenmark sowie im autonomen sympathischen Nervensystem lokalisiert sind. So sind bei einem Ausfall der hypothalamischen Zentren im Hirntod die anderen beiden Systeme in der Lage, eine Grobregulation ohne zirkadiane ( einen biologischen 24-Stunden Rhythmus aufweisend ) Rhythmik aufrechtzuerhalten. Hirntote neigen daher zu Poikliothermie (Inkonstanz der Körpertemperatur infolge mangelhafter Wärmeregulation des Organismus). Der Fieberanstieg in diesem Fall lässt sich als Sollwertverstellung der spinalen Temperaturregelung infolge der Infektion erklären. Ebenso reagiert die Gebärmutter auf unterschiedliche chemische Umstände oder Stoffe, die eine Schädigung des Organismus hervorrufen mit einer Kontraktion der glatten Muskulatur. So kam es wahrscheinlich zum Abort, letztendlich ergab aber keine Diagnose absolute Gewissheit.


7. Öffentliche Stellungnahmen


7.1. Pro
Nach diesem unglücklichen Ausgang verstärkte sich das Medieninteresse noch und das Thema wurde auf Kosten aller betroffenen Personen ausgeweidet, da man nun ein gewichtiges Argument gegen die Entscheidung und Begründung der Ärzte und Verwandten gefunden hatte. Auch äußerten sich erstmals Experten aus verschiedenen Sachgebieten, wenn auch nur zögernd und mit Bedacht zu diesem ungewöhnlichen Fall. Der behandelnde Arzt, der sich im Brennpunkt der Kritik befand, da er letztendlich die Behandlung durchgeführt hatte, rechtfertigte sein Handeln mit der Äußerung, den Tod des Kindes durch den Abbruch einer Behandlung verhindert zu haben. Er bekam unter anderem Beistand vom Vorsitzenden der Ethik-Kommission der Universität Erlangen-Nürnberg, der mit seiner These, eine Schwangerschaft bedeute, dass die Mutter mit ihrem Körper für das Überleben des Kindes verantwortlich wäre, auf heftige Gegenstimmen, vor allem bei weiblichen Koryphäen. Auch ein Vertreter der evangelischen Kirche fand keine ausschlaggebenden Gegenargumente (vgl. 5.2.).


7.2. Kontra
Negative Kritiken wurden vor allen Dingen bei den Politikerinnen verschiedenster Parteien laut, die mit Begriffen wie „Perversion der Menschlichkeit“, „Mensch als Forschungsobjekt“, „Mutter als Nährlösung“ und „Zerstörung der kindlichen Seele“ die Verantwortlichen heftig angriffen und unter Druck setzten. Auch Philosophen interessierten sich stark für dieses Thema, wie Hans Jonas, der die Diskussion bis zu seinem Tode im Jahr 1993 entscheidend mitgestaltete: „[...] alles wurde überholt von der Nachricht der Totgeburt. Mit eben dieser- paradoxerweise- war die Leichnamsthese wirksamer widerlegt als durch alle Lebenszeichen zugunsten des Fötus und des Fortgangs der Schwangerschaft. [...] Im Lichte des wirklichen Todes des Kindes wurde der angebliche der Mutter zum Interpretationsprodukt. „

Seine Stellungnahme drückt wohl den überwiegenden Anteil der allgemeinen Kritik aus, denn es schien vielen sehr unglaubwürdig, dass es der Leib einer Toten war, der das Fieber entwickelte und daraufhin die Kontraktionen vollführte.


8. Grundproblematik des Falles
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ lautet der erste Satz unseres Grundgesetzes, das sie als höchsten Wertgipfel bezeichnet. „Die Würde des Menschen ist ein innerer und sozialer Anspruch auf Achtung und Wertschätzung, der jedem Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte zukommt.“ Aber wo beginnt und wo endet dieser Anspruch, wann ist seine Unantastbarkeit erloschen? Unantastbar bedeutet doch, dass es eine absolute Grenze des Eingriffs gibt, der Abstand, Respekt, Achtung vor dem Lebensraum, den Ideen und dem Verhalten eines anderen schafft. Die Entwicklungen in vielen Wissenschaften hat zu einer riesengroßen Ausdehnung dessen geführt, was für den Menschen machbar ist, zum Beispiel in der Medizin, wo die Lebensfunktionen hirntoter Patienten für lange Zeit aufrecht erhalten werden können.

Und je größer diese Möglichkeiten, umso mehr drängt sich die Frage auf: Wo liegen unsere Grenzen, was muss nun wirklich unantastbar bleiben? Hier geht es besonders um das Problem, ob ein Mensch in seiner Würde auch nach dem Tod nicht angegriffen werden darf und ob dies ein etablierter Wert in unserer Gesellschaft ist und bleiben wird. Wann darf ein Mensch in Würde sterben? All diese moralischen Vorstellungen wurden in Erlangen außer Kraft gesetzt, durch andere wegdiskutiert, aber nicht widerlegt. Mit der Machbarkeit wächst die Verantwortung. Die Menschen werden nicht alles machen dürfen, was sie können, zumindest vorerst nicht. Und die Grenze dieser Möglichkeiten ist die „Würde“ des Menschen, die Ehrfurcht vor dem Leben. Nun bleibt nur zu beantworten, wo genau das Leben aufhört und der Tod anfängt, denn erst dann ist auch unsere Auffassung von Würde in allen Problemsituationen eindeutig zu verwenden, denn solange diese beiden Begriffe nicht klar voneinander abzugrenzen zu sind, wird es immer wieder zu ungewollten oder unbewussten Verletzungen der menschlichen Wertvorstellungen kommen.


Literaturverzeichnis

  1. „Hirntote soll Baby austragen“, Frankfurter Rundschau,16.10.1992
  2. „Grundlagen der Krankheitslehre“, G.Münch/J.Reitz, Nikol, 1996,S.308ff.
  3. Menschenrechtsübereinkommen zu Biomedizin, Kap.II, Art.6, §3, 2000
  4. Heilberufsgesetz, Kammerwesen, §5a, 12.10.1999
  5. „Kriterien des Hirntodes“, Bundesärztekammer, 1988, S.138ff.
  6. Berufsordnung für Ärzte (s. Anhang), §7,14, 8.12.1997
  7. Strafgesetzbuch, §218a, o.J.
  8. Menschenrechte, Art.3, 1948
  9. „Abtreibung- utilitaristisch gesehen“, Peter Singer, o.J.
  10. „A defense of arbotion“, J.J.Thompson, 1971, S.47ff.
  11. „Das Erlanger Baby“, (s. Anhang), www.uni-duisburg.de
  12. „Wann ist der Mensch tot?“, Hans Jonas, 1994, S.7ff. 

 

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