Die Türkin von Louise Franziska Aston

Leise Abendwinde necken
Buhlerisch den Myrthenhain,
Bergen sich in Lorbeerhecken,
Wiegen dort die Blüthen ein;
Flattern weiter dann zum Meere,
Das in einer wilden Nacht
Gott als eine Liebeszähre
Einst der Erde gleichgemacht.
 
Mild umgaukeln bunte Lichter
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Schon des Abends goldnes Thor;
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Schweigend aus dem Dorf der Richter
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Tritt ein stolzes Weib hervor:
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Und auf öder Felsenklippe,
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Welche nach den Wogen faßt,
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Hält sie - Seufzer auf der Lippe
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Eine kurze Sclavenrast.
 
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»Lass' die Liebe schnell erblassen,
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Die Du, Frankensohn genährt!
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Morgen muß ich Dich verlassen,
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Weil der Sultan mein begehrt.«
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Also tönen Ihre Worte
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Wund hervor aus wunder Brust;
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Denn der Herr der hohen Pforte
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Kennt nur schnöde Sinnenlust.
 
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Sieh! da bricht durch Wolkenschleier
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Hell des Mondes Silberlicht,
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Und Stambul in stummer Feier
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Zeigt sich ihrem Angesicht.
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Weh! im Vordergrunde schimmert
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Das Serail, von Park umringt
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Hörst Du, wie das Meer jetzt wimmert,
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Das ein edles Weib verschlingt?
 
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Willst Du ihren Tod beklagen,
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Mußt Du trauern allerwärts;
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Denn wo immer Herzen schlagen,
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Foltert sie derselbe Schmerz,
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Ist das Heiligste geächtet,
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Wird der Satzung nur gefröhnt;
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Jeder Pulsschlag ist geknechtet,
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Jedes freie Weib gehöhnt!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Die Türkin“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
184
Entstehungsjahr
1814 - 1871
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Der Autorin des zu interpretierenden Gedichts „Die Türkin“ ist Louise Franziska Aston, eine deutsche Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, die von 1814 bis 1871 lebte. Somit lässt sich das Gedicht zeitlich der Epoche des Biedermeier und des beginnenden Realismus zuordnen.

Das Gedicht hinterlässt einen bemerkenswerten ersten Eindruck. Es zeigt die feinfühlige Verbindung Aston's zu Natur und Individuum und zeigt gleichzeitig ihre sozialkritische und empörte Perspektive.

In einfachen Worten erzählt das Gedicht die Geschichte einer stolzen Türkin, die ihrer Freiheit und Liebe beraubt wird, da sie an einen Sultan verheiratet werden soll, der sie nur als Objekt seiner Lust sieht. Sie muss ihren geliebten Frankensohn verlassen und sieht sich in einer Machtstruktur gefangen, gegen die sie sich nicht wehren kann.

Die lyrische Erzählerin scheint vor allem den tragischen Verlust individueller Freiheit und weiblicher Würde gegenüber einer patriarchalischen und autokratischen Gesellschaftsordnung darzustellen. Die Sklavenschaft, in der sich die Türkin befindet, ist metaphorisch für die allgemeine Unterdrückung von Frauen in dieser Zeit.

Formal lässt sich das Gedicht in fünf Strophen mit jeweils acht Versen gliedern. Sprachlich fällt die bildhafte und metaphorische Ausdrucksweise auf. Naturerscheinungen wie „Abendwinde“, „Myrthenhain“, „Lorbeerhecken“ und das „Meer“ werden benutzt, um Stimmungen und Gefühlslagen zu vermitteln. Ebenso verwendet Aston Antithesen wie „stolzes Weib“ und „kurze Sklavenrast“, um ihre Kritik zu unterstreichen. Mit dem metaphernreichen Sprachstil entsteht ein intensiver Eindruck vom emotionalen Zustand der Türkin und vom Leid, das ihr angetan wird.

Zusammenfassend besteht das Hauptanliegen des Gedichts darin, mit poetischen und auffälligen Bildern die Unterdrückung und Ungerechtigkeit, die Frauen in bestimmten Gesellschaftsstrukturen erfahren, anzuprangern und zu kritisieren. Louise Aston nutzt die Metapher des Sultans und der Sklavin, um die allgemeine Unterdrückung von Frauen und ihren Kampf um Freiheit und Gleichberechtigung zu symbolisieren. Das lyrische Ich ruft dazu auf, sich gegen diese Ungerechtigkeit zu stellen und Mitgefühl für das Leid dieser Frauen zu empfinden.

Weitere Informationen

Die Autorin des Gedichtes „Die Türkin“ ist Louise Franziska Aston. 1814 wurde Aston in Gröningen geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1830 bis 1871 entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin kann der Text den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz oder Realismus zugeordnet werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 5 Strophen und umfasst dabei 184 Worte. Louise Franziska Aston ist auch die Autorin für das Gedicht „Lebensmotto“, „An George Sand“ und „Dithyrambe“. Zur Autorin des Gedichtes „Die Türkin“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 23 Gedichte vor.

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