An S von Clemens Brentano

Wie war dein Leben
So voller Glanz,
Wie war dein Morgen
So kindlich Lächlen,
Wie haben sich alle
Um dich geliebt,
Wie kam dein Abend
So betend zu dir,
Und alle beteten
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An deinem Abend.
 
11 
Wie bist du verstummt
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In freundlichen Worten,
13 
Und wie dein Aug' brach
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In sehnenden Tränen,
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Ach da schwiegen alle Worte
16 
Und alle Tränen
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Gingen mit ihr.
 
18 
Wohl ging ich einsam,
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Wie ich jetzt gehe,
20 
Und dachte deiner,
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Mit Liebe und Treue
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Da warst du noch da
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Und sprachst lächlend:
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Sehne dich nimmer nach mir,
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Da der Lenz noch so freudig ist
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Und die Sonne noch scheint
 
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Am stillen Abend,
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Wenn die Rosen nicht mehr glühen
29 
Und die Töne stumm werden,
30 
Will ich bei dir sein
31 
In traulicher Liebe,
32 
Und dir sagen,
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Wie mir am Tage war.
 
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Aber mich schmerzte tief,
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Daß ich so einsam sei,
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Und vieles im Herzen.
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O warum bist du nicht bei mir!
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Sprach ich, und siehst mich
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Und liebst mich,
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Denn mich haben manche verschmäht,
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Und ich vergesse nimmer,
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Wie sie falsch waren
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Und ich so treu und ein Kind.
 
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Da lächeltest du des Kindes
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Im einsamen Wege,
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Und sprachst: harre zum Abend,
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Da bist du ruhig
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Und ich bei dir in Ruhe.
 
49 
Dein Herz wie war es da,
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Daß du nicht trautest,
51 
Viel Schmerzen waren in dir,
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Aber du warest größer als Schmerzen,
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Wie die Liebe, die süßer ist,
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Als all ihr Schmerz.
 
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Und die Armut, der du gabst,
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War all dein Trost,
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Und die Liebe, die du freundlich
58 
Anderen pflegtest,
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War all deine Liebe.
 
60 
Einsam ging ich nicht mehr,
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Du warst mir begegnet
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Und blicktest mich an
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Scherzend war dein Aug'
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Und deine Lippe so tröstend
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Dein Herz lag gereift
66 
In der liebenden Brust.
 
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Freundlich sprachst du:
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Nun ist bald Abend,
69 
Gehe, vollende,
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Daß wir dann ruhen,
71 
Und sprechen vom Tage.
 
72 
Wie ich mich wendete
73 
Ach der Weg war so schwer!
74 
Langsam schritt ich,
75 
Und jeder Schritt wollte wurzeln,
76 
Ich wollte werden wie ein Baum,
77 
All meine Arme,
78 
Blüten und Blätter,
79 
Sehnend dir neigen.
 
80 
Oft blickte ich rückwärts
81 
Hin, wo du warst,
82 
Da lagen noch Strahlen,
83 
Da war noch Sonne
84 
Und die hohen Bäume glänzten
85 
Im ernsten Garten,
86 
Wo du gingst.
 
87 
Ach der Abend wird nicht kommen
88 
Und die Ruhe nicht,
89 
Auf Erden ist keine Ruhe.
 
90 
Nun ist es Abend,
91 
Aber wo bist du?
92 
Daß ich dir sage,
93 
Wie der Tag war.
 
94 
Warum hörtest du mich nicht,
95 
Als du noch da warst?
96 
Nun bin ich einsam,
97 
Und denke deiner
98 
Liebend und treu.
 
99 
Die Sonne scheint nicht,
100 
Und die Rosen glühen nicht,
101 
Stumm sind die Töne
102 
O! warum kömmst du nicht,
103 
Willst du nicht halten,
104 
Was du versprachst?
105 
Willst du nicht hören,
106 
Soll ich nicht hören,
107 
Wie der Tag war?
 
108 
Wie war dein Leben,
109 
So voller Glanz,
110 
Wie war dein Morgen
111 
So kindlich Lächlen,
112 
Wie habe ich immer
113 
Um dich mich geliebt,
114 
Wie kömmt dein Abend
115 
So betend zu mir,
116 
Und wie bete ich
117 
An deinem Abend.
 
118 
Am Tage hörtest du mich nicht,
119 
Denn du warst der Tag,
120 
Du kamst nicht am Abend,
121 
Denn du bist der Abend geworden.
 
122 
Wie ist der Tag verstummt
123 
In freundlichen Worten,
124 
Wie ist sein Aug' gebrochen
125 
In sehnenden Tränen,
126 
Ach da schweigen alle meine Worte,
127 
Und meine Sehnsucht zieht mit dir.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (33.1 KB)

Details zum Gedicht „An S“

Anzahl Strophen
19
Anzahl Verse
127
Anzahl Wörter
537
Entstehungsjahr
1778 - 1842
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An S“ stammt von Clemens Brentano, einem deutschen Dichter und Schriftsteller, der zwischen 1778 und 1842 lebte. Brentano wird oft mit der Epoche der Romantik in Verbindung gebracht, was sich auch in der Emotionalität und der Hinwendung zu Naturmotiven in diesem Gedicht widerspiegelt.

Bereits beim ersten Lesen bekommt man den Eindruck, dass das lyrische Ich in diesem Gedicht vermutlich eine enge und emotive Beziehung zur Adresse S unterhält. Das Gedicht ist voller Gefühl und Sehnsucht und es wird deutlich, dass das lyrische Ich eine tiefe Traurigkeit über die Abwesenheit des Gegenübers empfindet.

Inhaltlich geht es in diesem Gedicht darum, dass das lyrische Ich über eine geliebte Person reflektiert, welche sich offenbar in irgendeiner Form entfernt hat oder verstorben ist. Es handelt von der Liebe und Verehrung des lyrischen Ichs gegenüber der Person, genannt S, der Ehrfurcht vor deren Leben, ihrer Art und Charakter, und der tiefen Traurigkeit und Einsamkeit, die das lyrische Ich in deren Abwesenheit empfindet.

Formal betrachtet, besteht das Gedicht aus mehreren Strophen unterschiedlicher Länge mit Versen, die überwiegend aus kurzen, einfachen Sätzen bestehen. Die Art und Weise, wie die Verse organisiert sind, gibt dem Gedicht einen rhythmischen Fluss, der seinen emotionalen Gehalt unterstreicht.

Die Sprache des Gedichts ist einfach und direkt, was dazu beiträgt, die tiefen Emotionen des lyrischen Ichs zu vermitteln. Es verwendet bildhafte Ausdrücke wie „Wie war dein Leben, So voller Glanz,“ und „Wie kam dein Abend, So betend zu dir“ um die Präsenz und den Einfluss von S zu offenbaren. Auch Elemente der Natur, wie der Morgen, der Abend, die Sonne, die Rosen und der Tag, werden als Metaphern benutzt um die Emotionen des lyrischen Ichs zu repräsentieren.

Alles in allem ist es ein tief emotionaler und persönlicher Ausdruck von Trauer, Liebe und Verehrung, mit einer deutlichen Note von romantischer Empfindsamkeit, wie diese für die Zeit von Brentano typisch war.

Weitere Informationen

Das Gedicht „An S“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Clemens Brentano. Im Jahr 1778 wurde Brentano in Ehrenbreitstein (Koblenz) geboren. In der Zeit von 1794 bis 1842 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Romantik zuordnen. Der Schriftsteller Brentano ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Als Romantik wird die Epoche der Kunstgeschichte bezeichnet, deren Ausprägungen sich sowohl in der Literatur, Kunst und Musik als auch in der Philosophie niederschlugen. Die Epoche der Romantik lässt sich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins späte 19. Jahrhundert verorten. Die literarische Romantik kann darauf aufbauend etwa auf die Jahre 1795 bis 1848 zeitlich eingeordnet werden. Bis in das Jahr 1804 hinein spricht man in der Literatur von der Frühromantik, bis 1815 von der Hochromantik und bis 1848 von der Spätromantik. Die Zeit der Romantik war für die Menschen in Europa von bedeutenden Umbrüchen geprägt. Die Französische Revolution (beginnend im Jahr 1789) zog weitreichende Folgen für ganz Europa nach sich. Auch der Fortschritt in Technik und Wissenschaft, der den Beginn des industriellen Zeitalters einläutete, verunsicherte die Menschen und prägte die Gesellschaft. Die zentralen Motive der Romantik sind das Schaurige, Leidenschaftliche, Unterbewusste, Fantastische, Individuelle, Gefühlvolle und Abenteuerliche, welche die Grenzen des Verstandes sprengen und erweitern sollen und sich gegen das bloße Nützlichkeitsdenken sowie die Industrialisierung richten. Die Schriftsteller der Romantik sehnen sich nach der Einheit von Natur und Geist. Ein Hinwenden zum Mittelalter ist erkennbar. So werden Kunst und Architektur dieser vergangenen Zeit geschätzt. Die Missstände dieser Zeit bleiben jedoch unerwähnt. Strebte die Klassik nach harmonischer Vollendung und Klarheit der Gedanken, so ist die Romantik von einer an den Barock erinnernden Maß- und Regellosigkeit geprägt. Die Romantik begreift die schöpferische Phantasie des Künstlers als unbegrenzt. Dabei baut sie zwar auf die Errungenschaften der Klassik auf. Deren Ziele und Regeln möchte sie aber hinter sich lassen.

Das 537 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 127 Versen mit insgesamt 19 Strophen. Clemens Brentano ist auch der Autor für Gedichte wie „Zu Koblenz auf der Brücken“, „Ihr himmlischen Fernen“ und „Brautgesang“. Zum Autor des Gedichtes „An S“ haben wir auf abi-pur.de weitere 298 Gedichte veröffentlicht.

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