Berufung von Louise Otto-Peters

Wie schön war meine Kinderzeit verflossen,
Wie hab’ ich da im trauten Vaterhaus
Der Elternliebe Segen ganz genossen.
 
Wie spielt ich froh mit Vögeln und mit Blüten
Im Garten und im Weinberg frei umher,
Und lernte gern sie pflegen und behüten.
 
Wie war es schön mit jenen auch zu singen,
Ganz leis, daß es kein fremdes Ohr gehört,
Und in das Reich der Dichtung mich zu schwingen!
 
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Doch ach, es ging das süße Glück zu Ende:
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Bald raubte beide Eltern mir der Tod –
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Ob ihren Gräbern rang ich bang die Hände.
 
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Demütig beugt ich mich in Gottes Willen –
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Und fragte doch: warum er das gethan?
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Mit Liedern suchte ich den Schmerz zu stillen.
 
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In Liedern sucht ich selbst mich zu erheben
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Und fragte mich und fragte die Natur:
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Ward nicht von oben mir Gesang gegeben?!
 
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Und was ich Anfangs nur als Spiel erlesen:
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Ist’s nicht ein Ruf der mich von oben trifft,
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Füllt mit Begeisterung mein ganzes Wesen?
 
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So nah ich mich des Dichtertempels Stufen.
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Will einzig mich dem Dienst der Muse weihn,
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Ihr bleib ich treu, denn ich vernahm ihr Rufen!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.8 KB)

Details zum Gedicht „Berufung“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
183
Entstehungsjahr
1840-1850
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Berufung“ stammt von der deutschen Autorin Louise Otto-Peters, die von 1819 bis 1895 lebte. Otto-Peters zählt zur Epoche des Bürgerlichen Realismus, vor allem aber war sie als Frauenrechtlerin eine bedeutende Figur in der deutschen Geschichte.

Beim ersten Lesen des Gedichts wird ein melancholischer und nachdenklicher Ton spürbar. Das lyrische Ich erinnert sich sehnsüchtig an die Kindheit und die damit verbundene Unbekümmertheit und die freudigen Erlebnisse in der Natur. Mit dem Tod der Eltern kippt die Stimmung des Gedichts und bekommt eine traurigere Note. Doch das lyrische Ich findet Trost und Erfüllung in der Dichtkunst.

Inhaltlich greift Otto-Peters ihre eigene Biografie auf. Sie beschreibt zunächst die Idylle ihrer Kindheit im elterlichen Zuhause. Diese Idylle wird durch den Tod der Eltern zerstört. Auf den ersten Blick scheint das Ich den Verlust mit Fassung zu tragen („demütig beugt ich mich in Gottes Willen“), trotzdem stellt es Fragen nach dem Warum dieser Tragödie. Hier stellt das lyrische Ich seinen Schmerz mit Liedern, der Poesie, still. Die Verse erzählen dann davon, wie sie durch ihren Schmerz und ihre Trauerleistung zur Dichtkunst kommt („ward nicht von oben mir Gesang gegeben“).

Formal besteht das Gedicht aus acht Strophen zu je drei Versen. Es handelt sich dabei um einen sogenannten Versblock. Dieser ist gekennzeichnet durch eine strenge Symmetrie, bei der sich Formen und Inhalte jeweils spiegeln. Der Sprachstil ist bildreich und hochgestochen, eine für die Epoche typische Eigenschaft. Dabei greift Otto-Peters auf typische Motive der Naturlyrik zurück, wie den Garten und die Blüten, doch auch der Tod findet als wichtiges Motiv seinen Platz.

Zusammengefasst verdeutlicht das Gedicht „Berufung“ den Trost und die Kraft, die aus der Poesie und Kreativität gewonnen werden kann, in Zeiten von Verlust und Trauer, und stellt damit einen Appell an die Leser dar, sich ebenfalls kreativ zu betätigen und so schwierige Lebensphasen zu bewältigen. Otto-Peters' Gedicht kann zugleich als Spiegel ihrer eigenen Biographie gelesen werden.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Berufung“ der Autorin Louise Otto-Peters. Die Autorin Louise Otto-Peters wurde 1819 in Meißen geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1850. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten der Autorin lassen eine Zuordnung zur Epoche Realismus zu. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das vorliegende Gedicht umfasst 183 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Weitere bekannte Gedichte der Autorin Louise Otto-Peters sind „An Alfred Meißner“, „An August Peters“ und „An Byron“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Berufung“ weitere 106 Gedichte vor.

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