Die Schnitterin von Gustav Falke

War einst ein Knecht, einer Witwe Sohn,
Der hatte sich schwer vergangen.
Da sprach sein Herr: "Du bekommst deinen Lohn,
Morgen musst du hangen."
 
Als das seiner Mutter kund getan,
Auf die Erde fiel sie mit Schreien:
"O, lieber Herr Graf, und hört mich an,
Er ist der letzte von dreien.
 
Den ersten schluckte die schwarze See,
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Seinen Vater schon musste sie haben,
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Dem andern haben in Schonens Schnee
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Eure schwedischen Feinde begraben.
 
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Und lasst ihr mir den letzten nicht
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Und hat er sich vergangen,
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Lasst meines Alters Trost und Licht
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Nicht schmählich am Galgen hangen!"
 
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Die Sonne hell im Mittag stand,
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Der Graf sass hoch zu Pferde,
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Das jammernde Weib hielt sein Gewand
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Und schrie vor ihm auf der Erde.
 
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Da rief er: "Gut, eh die Sonne geht,
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Kannst du drei Aecker mir schneiden,
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Drei Aecker Gerste, dein Sohn besteht,
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Den Tod soll er nicht leiden."
 
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So trieb er Spott, hart gelaunt,
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Und ist seines Weges geritten.
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Am Abend aber, der Strenge staunt,
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Drei Aecker waren geschnitten.
 
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Was stolz im Halm stand über Tag,
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Sank hin, er musst es schon glauben.
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Und dort, was war's, was am Feldrain lag?
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Sein Schimmel stieg mit Schnauben.
 
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Drei Aecker Gerste, ums Abendrot,
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Lagen in breiten Schwaden,
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Daneben die Mutter, und die war tot.
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So kam der Knecht zu Gnaden.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.4 KB)

Details zum Gedicht „Die Schnitterin“

Autor
Gustav Falke
Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
217
Entstehungsjahr
1853 - 1916
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Schnitterin“ wurde von Gustav Falke geschrieben, einem deutschen Schriftsteller und Lyriker, der zwischen 1853 und 1916 lebte. Das genaue Entstehungsdatum des Gedichts ist nicht bekannt, man kann es jedoch, allein aufgrund des Todesjahres des Autors, dem späten 19. bzw. frühen 20. Jahrhundert zuordnen.

Das Gedicht erzählt eine tragische, aber auch eindrucksvolle Geschichte einer Mutter, die ihr eigenes Leben dafür einsetzt, um das ihres Sohnes zu retten. Der Sohn, ein Knecht und Sohn einer Witwe, wird vom Graf zum Tod verurteilt und soll gehängt werden. Die verzweifelte Mutter bittet den Graf um Gnade für ihren Sohn, der der letzte ihrer drei Söhne ist, nachdem einer im Meer und der andere im Schnee Schwedens gestorben ist. Der hartherzige Graf stellt jedoch eine unmögliche Aufgabe: Sie soll drei Äcker Gerste vor Sonnenuntergang schneiden, um das Leben ihres Sohnes zu bewahren.

Die Mutter ist trotz der Aussichtslosigkeit bereit, diese Aufgabe anzunehmen und schafft das Unmögliche: Bis zum Abend hat sie die drei Äcker geschnitten, stirbt aber vor Erschöpfung. Der Graf zeigt sich überrascht, und durch das Opfer der Mutter kommt der Knecht zu Gnaden.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht wie eine mittelalterliche Ballade, die eine dramatische Geschichte erzählt, doch beim Hinterfragen offenbart es grundlegende menschliche Themen wie Verzweiflung, Mut, Liebe und Selbstaufgabe.

Das Gedicht hat eine sehr strenge Form: Es besteht aus neun vierzeiligen Strophen, was der Geschichte eine gewisse Struktur und einen festen Rahmen gibt. Die verwendete Sprache ist eher einfach und geradlinig, was die Schrecken und die Dramatik der Handlung eher unterstreicht. Das lyrische Ich scheint ein allwissender Erzähler zu sein, der die Geschehnisse schildert.

Die Worte der Figuren sind direkt und bildlich, was die charakterlichen Eigenschaften und Emotionen (wie die Verzweiflung der Mutter oder die Härte des Grafen) gut zum Ausdruck bringt. Trotz seiner scheinbaren Schlichtheit hat das Gedicht eine große emotionale Wirkung auf den Leser. Es regt zum Nachdenken über Werte wie Mitgefühl, Gerechtigkeit und Opferbereitschaft an.

Das Gedicht „Die Schnitterin“ von Gustav Falke ist ein Beispiel für die bewegende Macht der Lyrik, die trotz oder gerade wegen ihrer formalen Strenge tiefe Emotionen ausdrücken kann. Es ist zugleich eine erschütternde Geschichte über Mut und Opferbereitschaft und ein eindrückliches Porträt der harten Lebensbedingungen zum Zeitpunkt der Entstehung des Gedichts.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Schnitterin“ ist Gustav Falke. Im Jahr 1853 wurde Falke in Lübeck geboren. Im Zeitraum zwischen 1869 und 1916 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus oder Avantgarde / Dadaismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 217 Wörter. Es baut sich aus 9 Strophen auf und besteht aus 36 Versen. Die Gedichte „Stranddistel“, „Daß der Tod uns heiter finde“ und „Märchen“ sind weitere Werke des Autors Gustav Falke. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Schnitterin“ weitere 191 Gedichte vor.

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