Zum ewigen Frieden von Karl Kraus

Nie las ein Blick, von Thränen übermannt,
ein Wort wie dieses von Immanuel Kant.
 
Bei Gott, kein Trost des Himmels übertrifft
die heilige Hoffnung dieser Grabesschrift.
 
Dies Grab ist ein erhabener Verzicht:
»Mir wird es finster, und es werde Licht!«
 
Für alles Werden, das am Menschsein krankt,
stirbt der Unsterbliche. Er glaubt und dankt.
 
Ihm hellt den Abschied von dem dunklen Tag,
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daß dir noch einst die Sonne scheinen mag.
 
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Durchs Höllentor des Heute und Hienieden
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vertrauend träumt er hin zum ewigen Frieden.
 
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Er sagt es, und die Welt ist wieder wahr,
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und Gottes Herz erschließt sich mit »und zwar«.
 
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Urkundlich wird es; nimmt der Glaube Teil,
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so widerfährt euch das verheißne Heil.
 
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O rettet aus dem Unheil euch zum Geist,
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der euch aus euch die guten Wege weist!
 
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Welch eine Menschheit! Welch ein hehrer Hirt!
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Weh dem, den der Entsager nicht beirrt!
 
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Weh, wenn im deutschen Wahn die Welt verschlief
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das letzte deutsche Wunder, das sie rief!
 
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Bis an die Sterne reichte einst ein Zwerg.
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Sein irdisch Reich war nur ein Königsberg.
 
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Doch über jedes Königs Burg und Wahn
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schritt eines Weltalls treuer Untertan.
 
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Sein Wort gebietet über Schwert und Macht
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und seine Bürgschaft löst aus Schuld und Nacht.
 
29 
Und seines Herzens heiliger Morgenröte
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Blutschande weicht: daß Mensch den Menschen töte.
 
31 
Im Weltbrand bleibt das Wort ihr eingebrannt:
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Zum ewigen Frieden von Immanuel Kant!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.6 KB)

Details zum Gedicht „Zum ewigen Frieden“

Autor
Karl Kraus
Anzahl Strophen
16
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
225
Entstehungsjahr
1920
Epoche
Moderne,
Expressionismus,
Avantgarde / Dadaismus

Gedicht-Analyse

Das vorgelegte Gedicht „Zum ewigen Frieden“ stammt von dem österreichischen Schriftsteller Karl Kraus, einem wesentlichen Protagonisten der Wiener Moderne um 1900. Kraus ist bekannt für seine scharfen Beobachtungen und Kritiken an der Gesellschaft seiner Zeit, insbesondere an den Auswirkungen des Ersten Weltkriegs. In diesem Gedicht spricht er offen den Philosophen Immanuel Kant an und bezieht sich direkt auf dessen Friedensidee.

Auf den ersten Blick überzeugt das Gedicht durch seine klare Struktur. Es besteht aus 16 Strophen, jede besteht aus zwei Versen. Diese Reimform bietet Lesern einen leserlichen Rhythmus und eine feste Struktur. Das Thema des Dichters wird unerschütterlich und mit jedem Vers beleuchtet.

Inhaltlich evoziert dieses Gedicht die Idee eines ewigen Friedens, einer Vision, die von Immanuel Kant vorgeschlagen wurde. Es vermittelt eine Stimmung der Verzweiflung und der Hoffnung zugleich. Das lyrische Ich scheint das Leid der Welt zu beklagen, sucht aber gleichzeitig nach einem Ausweg aus diesem Leid in der Philosophie Kants. Es hebt hervor, dass Hoffnung über Niedergeschlagenheit herrscht und dass Glaube die Möglichkeit eines ewigen Friedens mit sich bringt.

Die Sprache ist formal und erhaben, ein Merkmal der meisten Gedichte von Kraus. Der Dichter nutzt viele metaphorische Ausdrücke, um seine Ideen zu vermitteln, wie z.B. „ein hehrer Hirt“ oder „ein Königsberg“. Königsberg ist hier ein direkter Bezug auf Kant, der in Königsberg lebte und arbeitete. Der Gebrauch dieser Metaphern gibt dem Gedicht eine zusätzliche Tiefe und erlaubt es ihm, mehrere Bedeutungsebenen zu erzeugen.

Insgesamt ist dieses Gedicht eine Hommage an Kant und seine Vision von ewigem Frieden. Es vermittelt einen starken Glauben an die Möglichkeit des Friedens und ruft die Leser dazu auf, ihre eigenen guten Wege (Verse 18) zu finden und zu beschreiten. Des Weiteren drückt das Gedicht die Furcht des Dichters vor dem Verlust des deutschen Geistes durch den Wahnsinn des Krieges aus, und hebt die Bedeutung von Vernunft und Frieden in Zeiten großer Turbulenzen hervor. Es ist ein Aufruf zur Menschlichkeit und zur Bewahrung des Gutes in uns, trotz aller Widrigkeiten.

Weitere Informationen

Karl Kraus ist der Autor des Gedichtes „Zum ewigen Frieden“. Der Autor Karl Kraus wurde 1874 in Jičín (WP), Böhmen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1920 zurück. In München ist der Text erschienen. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zu. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 225 Wörter. Es baut sich aus 16 Strophen auf und besteht aus 32 Versen. Der Dichter Karl Kraus ist auch der Autor für Gedichte wie „Absage“, „Abschied und Wiederkehr“ und „Alle Vögel sind schon da“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Zum ewigen Frieden“ weitere 61 Gedichte vor.

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