Wünsche von Kurt Tucholsky

Die gnädige Frau ist hell und blond,
von sommerlichem Licht durchsonnt –
sie scheint sich schlechtgeraten.
Braun will sie sein, das dumme Kind,
braun, wie Zigeunerweiber sind –
und läßt am Strand sich braten.
 
Jung-Deutschlands Dichter gehn zur Zeit
in Fritz von Schillers Schülerkleid –
(der war nicht so behende).
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Vom Recken wird man noch nicht groß;
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bleibt ruhig noch auf Mutterns Schoß:
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sie hat die klügern Hände.
 
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Alt-Deutschland macht in Politik
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Und zieht Bilanz aus diesem Krieg:
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Indien muß badisch werden!
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Ägypten her! Die Ostsee auch!
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Wir treten alle vor den Bauch
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mit sieghaften Gebärden!
 
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Und so hat jeder was zu schrein.
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Der Neger will ein Weißer sein,
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der Fußfantrist ein Reiter …
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Wir wollen aufrecht stehn, mein Kind,
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und bleiben, was wir selber sind!
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Ich glaub, das ist gescheiter.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.6 KB)

Details zum Gedicht „Wünsche“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
127
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Wünsche“ wurde von Kurt Tucholsky verfasst, einem bedeutenden Journalisten und Schriftsteller des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Tucholsky schrieb im Kontext der Weimarer Republik und der aufsteigenden Nationalsozialisten, zwischen 1919 und 1935.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht humorvoll und ironisch, mit einem gewissen sarkastischen Unterton. Es wird eine Gesellschaft vorgeführt, welche sich ständig selbst umzuformen sucht, und dabei ihre Authentizität verliert.

Im Gedicht werden unterschiedliche Charaktere porträtiert, die alle unzufrieden sind und versuchen, sich selbst zu verändern oder neu zu erfinden.

Die erste Strophe handelt von einer gnädigen Frau, die sich am Strand bräunt, obwohl sie hell und blond ist. Die zweite Strophe bezieht sich auf junge Dichter, die den berühmten Poeten Friedrich von Schiller nachahmen. In der dritten Strophe wird Alt-Deutschland und seine politischen Ambitionen kommentiert. Abschließend wird im letzten Vers auf dieses universelle Phänomen der Unzufriedenheit Bezug genommen, indem der Autor feststellt, dass jeder etwas anderes sein will.

Das lyrische Ich hält es für klüger, „aufrecht zu stehen“ und zu akzeptieren, wer man ist, statt sich ständig verändern zu wollen. Dies deutet auf eine gesellschaftskritische Haltung des Autors hin, der die Oberflächlichkeit und Falschheit sozialer Konstrukte und Identitäten entlarvt.

Die Form des Gedichts ist regelmäßig, jede Strophe besteht aus sechs Versen mit einem festen Reimschema (AABCCB). Die Sprache ist einfach und direkte, bereichert durch ironische Wendungen und Anspielungen auf historische und kulturelle Kontexte, die dem Leser ein gewisses Hintergrundwissen abverlangen. Es bringt eine Mischung aus Humor, Gesellschaftskritik und aufklärender Botschaft.

Zusammenfassend handelt es sich bei Tucholskys „Wünsche“ um eine beißende Kritik an falschen gesellschaftlichen Idealen und dem ziellosen Streben nach einer veränderten Identität. Es ist ein Plädoyer für Authentizität und Selbstakzeptanz.

Weitere Informationen

Kurt Tucholsky ist der Autor des Gedichtes „Wünsche“. Geboren wurde Tucholsky im Jahr 1890 in Berlin. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1919 zurück. Der Erscheinungsort ist Charlottenburg. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Der Schriftsteller Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Wichtigen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik nahmen der Erste Weltkrieg und die daraufhin folgende Entstehung der Weimarer Republik. Das wohl bedeutendste Merkmal der Literatur in der Weimarer Republik ist die Neue Sachlichkeit, die so heißt, da sie schlicht, klar, sachlich und hoch politisch ist. Die Literatur dieser Zeit war nüchtern und realistisch. Ebenso stellt sie die moderne Gesellschaft kühl distanziert, beobachtend, dokumentarisch und exakt dar. Die Schriftsteller der Literaturepoche wollten so viele Menschen wie möglich mit ihren Texten erreichen, deshalb wurde eine einfache und nüchterne Alltagssprache verwendet. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung von Walter Rathenau das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. In der Praxis wurde dieses Gesetz allerdings nur gegen linke Autoren angewandt. Aber gerade die rechts gerichteten Schriftsteller waren es häufig, die in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Die Grenzen der Zensur wurden im Jahr 1926 durch das sogenannte Schund- und Schmutzgesetz nochmals verstärkt. Die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen wurden durch die Pressenotverordnung im Jahr 1931 ermöglicht.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Schriftsteller ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung im Jahr 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. Daraufhin flohen zahlreiche Schriftsteller aus Deutschland ins Ausland. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland sind typisch für diese Epoche der Literatur. Anders als andere Epochen der Literatur, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Expressionismus, Realismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das vorliegende Gedicht umfasst 127 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Weitere Werke des Dichters Kurt Tucholsky sind „An einen garnisondienstfähigen Dichter“, „An ihren Papa“ und „Apage, Josephine, apage–!“. Zum Autor des Gedichtes „Wünsche“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

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