Wir, Vater Schemseddin und seine Kinder von Georg Friedrich Daumer

Wir, Vater Schemseddin und seine Kinder,
Wir, Scheich Hafis und seine frommen Mönche,
Wir sind ein eignes, wunderliches Volk.
Von Gram gebeugt und ewiger Klage voll,
Ohn’ Unterlaß in unserem Trauerjoch
Des feuchten Auges heiße Perle streuend,
Und ewig hell und ewig heiter doch;
Der Kerze gleich hinschmelzend und vergehend,
Und doch, wie sie, in lichter Wonne lachend;
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Gemordet allezeit von Wimperdolchen,
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Von grausamen, die nur nach Blute dürsten,
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Und just hierinnen unseres Seins gewiß;
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Versunken in ein Meer von Schuld und Sünde,
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Ganz unbekannt mit dem Gefühl der Reue,
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Und fromm zugleich und frei von allem Argen,
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Des Lichtes Söhne, nicht der Finsterniß,
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Und so der Menge völlig unbegreiflich.
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Denn diese kennt nur dreierlei Naturen,
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Den Frömler erstlich, den Fanatiker,
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Den finsteren, blödsinnigen Barbaren,
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Den Wüstling ohne Geist und Herz sodann,
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Den selbstischen, unedelen, gemeinen,
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Den endlich in gewohnter Schranke dumpf
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Beharrenden; für Leute so, wie wir,
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Gebricht es ihr an Namen und Begriff.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Wir, Vater Schemseddin und seine Kinder“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
25
Anzahl Wörter
155
Entstehungsjahr
1846
Epoche
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Wir, Vater Schemseddin und seine Kinder“ wurde vom deutschen Dichter und Philosophen Georg Friedrich Daumer verfasst, der von 1800 bis 1875 lebte. Daumer gehörte zur Epoche der Spätromantik bis hin zum Biedermeier.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht wie eine Selbstdarstellung oder eine Identitätskundgebung einer speziellen Gemeinschaft. In der Schilderung scheint eine gewisse Melancholie und Geheimnisvolles durch.

Das lyrische Ich spricht sowohl für sich selbst als auch für die gesamte Gruppe, zu der es gehört, und beschreibt deren Eigenschaften und Lebensweise. Sie bezeichnen sich selbst als „ein eigenes, wunderliches Volk“, das immer in Trauer ist und Tränen vergießt, aber dennoch stets fröhlich erscheint. Obwohl sie ständig leiden, finden sie in ihrem Dasein Sicherheit. Sie scheinen in Schuld und Sünde getränkt zu sein, verspüren jedoch keine Reue und betrachten sich als unschuldig und fromm. Dem lyrischen Ich zufolge sind sie Kindern des Lichts und nicht der Dunkelheit, was auf eine innere Reinheit und möglicherweise spirituelle Erleuchtung hinweist. Die Gesellschaft kann sie jedoch nicht verstehen, weil sie nur Stereotypen und Festgelegtes akzeptiert.

Formal handelt es sich um ein unregelmäßiges Gedicht in Blankversen, das ohne Reim auskommt und sich durch die Fülle und Schwere des Ausdrucks auszeichnet. Die durch längere Verse geprägten, ausdrucksstarken Schilderungen zeugen von Daumers Stil. Die Sprache ist sowohl bildhaft als auch direkt und erfordert vom Leser eine intensive Auseinandersetzung mit dem Text, um die metaphysische Tiefe zu erfassen.

Die Sprache des Gedichts ist geprägt von starken Bildern und Metaphern, die bemerkenswerte Gegensätze und Paradoxien hervorbringen, wie etwa das ständige Leiden und die andauernde Freude, die Versunkenheit in Schuld und Sünde und die gleichzeitige Frömmigkeit und Unschuld. Ähnlich ist die Dichotomie Licht und Dunkelheit, was auf Dualismen wie Gut und Böse, Wissen und Unwissenheit anspielt.

Insgesamt beschreibt Daumer in diesem Gedicht eine Gruppe von Außenseitern, die sich in der Welt nicht verstanden fühlt, eine Welt, die sie gleichzeitig bedrängt und doch auch ihr zuhause ist. Die thematische Konzentration auf Kontraste und Paradoxien verleiht dem Gedicht eine faszinierende Komplexität, die zur Reflektion über die Themen Identität, Akzeptanz und das Zusammenleben in einer von Normen geprägten Gesellschaft anregt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Wir, Vater Schemseddin und seine Kinder“ des Autors Georg Friedrich Daumer. Geboren wurde Daumer im Jahr 1800 in Nürnberg. Im Jahr 1846 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Hamburg. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 25 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 155 Worte. Die Gedichte „Es ist ein Stern vom erhabenen Himmel gefallen“, „Es kam ein Hauch von oben“ und „Immerhin, so viel sie mag“ sind weitere Werke des Autors Georg Friedrich Daumer. Zum Autor des Gedichtes „Wir, Vater Schemseddin und seine Kinder“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 20 Gedichte vor.

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