Wir müssen’s glauben, doch ist’s schwer zu fassen von Rudolf Lavant

Wir müssen’s glauben, doch ist’s schwer zu fassen
Daß in des einen kurzen Jahres Frist
Der Vierte schon von uns geschieden ist,
Der Vierte schon auf immer uns verlassen;
Am Schwersten aber wird es, zu verstehen,
Am Schwersten aber geht’s dem Herzen ein,
Daß grade Dich im Weihnachtskerzenschein
Zum letzten Male lebend wir gesehen.
 
Erschüttert standen wir an Deiner Leiche
10 
Und manches Freundes Blut gerann zu Eis;
11 
Du warst ja immer für den Freundeskreis,
12 
Was für den grünen deutschen Wald die Eiche.
13 
Um eines Hauptes Länge hat der Starke,
14 
An den sich auch der Kühnste nicht gewagt,
15 
Die starken Freunde Alle überragt,
16 
Gesund und fest, so schien’s, im tiefsten Marke.
 
17 
So oft von unsern Eichen wir gesungen,
18 
Den Eichen „frei und unerschütterlich“,
19 
Sah auch ein Jeder frohen Blicks auf Dich
20 
Und hat bewundernd mit Dir angeklungen.
21 
Wer, wenn nicht Du, bracht’ es zu hohen Jahren?
22 
Doch daß kein Blick im Buch der Zukunft las
23 
Und alle Kraft vergänglich wie das Gras,
24 
Wir haben schmerzlich es an dir erfahren.
 
25 
Ein Blitzstrahl warf die Eiche zu den Toten.
26 
Wir sahn den Sturm, der ihre Krone bog,
27 
Und als das schwere Wetter sich verzog,
28 
Lag sie entwurzelt und gefällt am Boden.
29 
Es konnte Nichts aus Deiner Not Dich retten,
30 
Und was uns Thränen in die Augen treibt,
31 
Ist, daß nur Eins den Freunden übrig bleibt –
32 
Zu Deiner Mutter sorglich Dich zu betten.
 
33 
Ihr starkes Kind bringt man zu ihr getragen;
34 
Es liegt ein tiefer Sinn in diesem Wort,
35 
Denn eines Kindes Herz hat fort und fort
36 
In dieses Riesen breiter Brust geschlagen.
37 
Er ist sich gleich von Jugend auf geblieben,
38 
So gut und treu und harmlos wie ein Kind,
39 
Wie es die Stärksten noch am Ersten sind,
40 
Und die ihn kannten, mußten ihn auch lieben.
 
41 
Es ist vorbei. Wir nagen mit den Zähnen
42 
Die Lippen wund in unterdrücktem Schmerz;
43 
Es wird uns allen winterlich ums Herz
44 
Und heiß im Auge brennen uns die Thränen.
45 
Ich kann nicht mehr. Das Wort stockt in der Kehle,
46 
Wenn man in solcher Stunde überdenkt,
47 
Wie Viele wir nun schon hinabgesenkt ...
48 
Schlaf wohl, Du Riese mit der Kinderseele!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.9 KB)

Details zum Gedicht „Wir müssen’s glauben, doch ist’s schwer zu fassen“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
354
Entstehungsjahr
1901
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Wir müssen’s glauben, doch ist’s schwer zu fassen“ ist ein Werk von Rudolf Lavant, einem Dichter, der im 19. und frühen 20. Jahrhundert lebte. Das gesamte Poem ist von einer tiefen Wehmut und Traurigkeit geprägt, die vom Verlust eines geliebten Menschen herrührt.

Auf den ersten Blick ist das Gedicht eine verzweifelte Klage über den Tod eines nahestehenden Freundes, der innerhalb kurzer Zeit der vierte ist, den das lyrische Ich verliert. Dem Verstorbenen wird dabei eine besondere Symbolik zugeschrieben: Er wird häufig mit einer Eiche verglichen, was seine Festigkeit, Stärke und Zuverlässigkeit hervorhebt. Das lyrische Ich kann kaum fassen, dass dieser Freund nun im Tod schied. Das letzte Bild, das das lyrische Ich vom Verstorbenen hat, ist, wie er im Weihnachtskerzenschein zum letzten Mal lebend gesehen wurde.

Die Form und Sprache des Gedichts sind klar und beinhalten poetische Bilder und Metaphern. Sie erzeugen ein Gefühl von Erhabenheit und gleichzeitig von Traurigkeit und Verlust. Das Versmaß ist durchgängig, was eine gewisse Strenge und Ordnung in das Chaos der Gefühle bringt. Metaphern wie die des Verstorbenen als Eiche verleihen dem Text Tiefe und symbolische Bedeutung, die das Bild eines starken, standhaften Freundes erzeugt, der plötzlich gefällt wurde.

Eindrücklich ist die realistische Darstellung des Schmerzes: Wunden, die aufgerissenen Lippen, die versiegenen Worte und die brennenden Tränen. Zudem ist das Gedicht von wechselnden Haltungen geprägt, die vom Unglauben über die Bestürzung bis zur Akzeptanz und Respekt dem Verstorbenen gegenüber reichen. Stets wird der Verstorbene als eine Art tragischer Held dargestellt – ein gewaltiger, stark und gesund scheinender Mann, der plötzlich und unerwartet gestorben ist.

Das Ende des Gedichts kommt mit einer berührenden Wendung, in der dem Verstorbenen eine zarte Kindlichkeit zugesprochen wird. Er wird als „Riese mit der Kinderseele“ bezeichnet, was auf seine Reinheit und Unschuld hinweist. Der abschließende Wunsch, er möge gut schlafen, bringt eine gewisse Ruhe und Akzeptanz in die Atmosphäre des Gedichts, obwohl der tiefe Schmerz nach wie vor präsent ist.

Insgesamt ist Rudolf Lavants Gedicht „Wir müssen’s glauben, doch ist’s schwer zu fassen“ eine intensive Betrachtung von Tod und Verlust. Der Dichter nutzt wirkungsvolle Bilder und eine starke Sprache, um seine tiefen Emotionen zu teilen und ein nachhaltiges Porträt eines geliebten Freundes zu erstellen. Diese Form der Trauerdichtung ist typisch für die literarische Epoche im 19. Jahrhundert.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Wir müssen’s glauben, doch ist’s schwer zu fassen“ ist Rudolf Lavant. 1844 wurde Lavant in Leipzig geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1901 zurück. Leipzig-Eutritzsch ist der Erscheinungsort des Textes. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 354 Worte. Rudolf Lavant ist auch der Autor für Gedichte wie „Agrarisches Manifest“, „An Herrn Crispi“ und „An das Jahr“. Zum Autor des Gedichtes „Wir müssen’s glauben, doch ist’s schwer zu fassen“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 96 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Rudolf Lavant (Infos zum Autor)

Zum Autor Rudolf Lavant sind auf abi-pur.de 96 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.