Wiegenlied für meinen Jungen von Richard Dehmel

Schlaf, mein Küken – Racker, schlafe!
Kuck: im Spiegel stehn zwei Schafe,
bläkt ein großes, mäkt ein kleines,
und das kleine, das ist meines!
Bengel, Bengel, brülle nicht,
du verdammter Strampelwicht.
 
Still, mein süßes Engelsfüllen:
morgen schneet es Zuckerpillen,
übermorgen blanke Dreier,
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nächste Woche goldne Eier,
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und der liebe Gott, der lacht,
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daß der ganze Himmel kracht.
 
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Und du kommst und nimmst die Spenden,
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säst sie aus mit Sonntagshänden,
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und die Erde blüht von Farben,
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und die Menschen thun’s in Garben –
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Herrr, den Bengel kümmert nischt,
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was man auch für Lügen drischt!
 
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Warte nur, du Satansrachen:
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heute Nacht, du kleiner Drachen,
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durch den roten Höllenbogen
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kommt ein Schmetterling geflogen,
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huscht dir auf die Nase, hu,
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deckt dir beide Augen zu;
 
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deckt die Flügel sacht zusammen,
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daß du träumst von stillen Flammen,
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von zwei Flammen, die sich fanden,
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Hölle Himmel still verbanden – –
29 
so, nu schläft er; es gelang;
30 
Himmel Hölle, Gott sei Dank!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.9 KB)

Details zum Gedicht „Wiegenlied für meinen Jungen“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
152
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorgelegte Gedicht ist „Wiegenlied für meinen Jungen“ von Richard Dehmel, einem deutschen Dichter, der von 1863 bis 1920 lebte. Dieser Zeitraum umfasst das Ende des 19. und den Beginn des 20. Jahrhunderts, eine Epoche, die oft als „Fin de siècle“ bezeichnet wird und in der sich tiefgreifende gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen vollzogen.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht humorvoll und liebevoll – vielleicht sogar etwas schelmisch. Es ist klar, dass es sich um ein Wiegenlied handelt, das von einem Elternteil (wahrscheinlich dem Vater, angesichts des Autors) für ein junges Kind gesungen wird. Die liebevolle und doch etwas resignierte Art, wie der lyrische Sprecher das Kind anspricht, deutet auf die Herausforderungen der Elternschaft hin.

Das lyrische Ich schildert die liebende und manchmal frustrierter Beziehung zu seinem Sohn. Es verwendet humorvolle und leicht unflätige Begriffe wie „Bengel“, „Strampelwicht“ und „Satansrachen“ sowie liebevollen Bezeichnungen wie „mein süßes Engelsfüllen“ und „mein Küken“. All das zeugt von tief empfundener Liebe und einer gewissen Familiarität und Nähe.

Das Gedicht besteht aus fünf sechszeiligen Strophen und setzt sich aus zwei und vierhebigen Jamben zusammen. Es folgt keinem strengen Reimschema, was eine gewisse Lockerheit und Spontanität vermittelt.

In Bezug auf die Sprache des Gedichts ist auffällig, dass Dehmel in ganz alltäglicher, umgangssprachlicher Weise spricht. Das gibt dem Gedicht einen authentischen Charakter und betont das natürliche, ehrliche Verhältnis zwischen dem lyrischen Ich und dem Kind.

Zudem spielen religiöse Motive eine Rolle. Es wird auf den „lieben Gott“ und die „Hölle“ Bezug genommen, was das alltägliche Leben und Schicksal in einen größeren kosmischen oder göttlichen Kontext stellt. Doch auch hier spielt der Autor mit der Sprache und den Bildern – zwischen Ernst und Scherz, zwischen liebevoller Wahrheit und schelmischen Lügen.

Ungeachtet des manchmal rauen Tonfalls ist das Gedicht letzten Endes doch ein Ausdruck der Liebe und Zuneigung - ein gelungenes Porträt der manchmal herausfordernden, aber letztlich doch erfüllenden Rolle als Elternteil.

Weitere Informationen

Richard Dehmel ist der Autor des Gedichtes „Wiegenlied für meinen Jungen“. Im Jahr 1863 wurde Dehmel in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1893 entstanden. Der Erscheinungsort ist München. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Bei Dehmel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 152 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 30 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Die Gedichte „Antwort“, „Auf der Reise“ und „Aufblick“ sind weitere Werke des Autors Richard Dehmel. Zum Autor des Gedichtes „Wiegenlied für meinen Jungen“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 522 Gedichte vor.

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