O sprecht hier nicht! von Marie Eugenie Delle Grazie

O sprecht hier nicht! Was sollen Menschenworte,
Wo Tod und Leben schweigend sich vermählt?
Geweihte Herzen giebt’s und heil’ge Orte
Und eine Ruh’, die grauenhaft erzählt!
 
Seht dies und das, betastet alle Reste
Und prunkt mit eurer magern Wissenschaft,
Ihr wichtigen, ihr tragi-komischen Gäste,
Im Wohlgefühle froher Lebenskraft;
 
Nur wähnt nicht, daß Natur und Tod hienieden
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So klein und zahm geworden, wie ihr Sohn –
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Blickt zum Vesuv – noch spricht er eurem Frieden
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Voll Majestät – so heut’ wie damals Hohn!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.1 KB)

Details zum Gedicht „O sprecht hier nicht!“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
12
Anzahl Wörter
81
Entstehungsjahr
1892
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „O sprecht hier nicht!“ wurde von der österreichisch-böhmischen Dichterin Marie Eugenie Delle Grazie geschrieben, die zwischen 1864 und 1931 lebte. Das Gedicht fällt daher zeitlich in die Epoche des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, was sich sowohl in Form als auch in Sprache bemerkbar macht.

Beim ersten Lesen fällt eine allgemeine Melancholie und eine gewisse Art von Säkularisierung auf, die das gesamte Gedicht durchzieht. Es handelt sich um einen leidenschaftlichen Appell gegen das Reden und die Worte der Menschen, wo das Schweigen des Todes und das Leben verschmelzen. Es bezieht sich auf heilige Orte und geweihte Herzen mit einer „Ruhe“, die auf grauenvolle Weise erzählt.

In Bezug auf den Inhalt scheint das lyrische Ich eine Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Leben zu führen, und es prangert die Vermessenheit der Menschen an, die sich mit ihren geringen wissenschaftlichen Kenntnissen brüsten. Es beleidigt sie als „wichtige, tragi-komische Gäste“, die in dem wohligen Gefühl ihrer Lebenskraft schwelgen. Darüber hinaus warnt das lyrische Ich die Menschen davor, zu glauben, dass Natur und Tod so zahnlos geworden sind wie ihre Kinder. Der Vesuv dient als Metapher und Sprachbild für die Macht der Natur und dem ständigen Kreislauf von Leben und Tod.

Was die Form betrifft, ist das Gedicht in vier dreizeilige Strophen mit einem regelmäßigen Reimschema unterteilt. Der gebräuchliche Stil, kombiniert mit den kräftigen, oft fast harten sprachlichen Bildern, lässt ein Gefühl der Unterdrückung und doch faszinierenden, aber schrecklichen Ausstrahlung entstehen. Sprachlich zeichnet sich das Gedicht weiterhin durch den Gebrauch von starken, bildhaften Ausdrücken und Metaphern aus, welche die Botschaft der Dichterin verdeutlichen und ihrem Appell Nachdruck verleihen.

Abschließend lässt sich sagen, dass das Gedicht eine kraftvolle Auseinandersetzung mit den Themen des Lebens, des Todes und der menschlichen Hybris darstellt. Es prangert die Selbstüberschätzung der Menschen an und erinnert an die natürlichen Kräfte, gegen die der Mensch nichts ausrichten kann. Es erinnert daran, dass Naturgewalten wie der Vesuv noch immer ihre Fähigkeit besitzen, unseren Frieden zu stören und uns auf unsere wahre Position in der Welt hinzuweisen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „O sprecht hier nicht!“ der Autorin Marie Eugenie Delle Grazie. Geboren wurde Delle Grazie im Jahr 1864 in Weißkirchen (Bela Crkva). Im Jahr 1892 ist das Gedicht entstanden. Leipzig ist der Erscheinungsort des Textes. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her lässt sich das Gedicht der Epoche Realismus zuordnen. Die Schriftstellerin Delle Grazie ist eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 12 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 81 Worte. Die Dichterin Marie Eugenie Delle Grazie ist auch die Autorin für Gedichte wie „Atlantis“, „Beatrice Cenci“ und „Campo Santo“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „O sprecht hier nicht!“ weitere 71 Gedichte vor.

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