Neujahrspredigt von Otto Julius Bierbaum
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Laßt uns, Freunde, ins neue Jahr |
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Eingehn wie in ein schönes, gesichertes Haus, |
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In dem die Liebe und der Friede wohnt |
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Und Schönheit überall heimisch ist. |
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Und laßt uns, Freunde, heiter gelassenen Sinns, |
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Mit keinem Haß belastet, ohne Neid, |
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Heil, liebe Freunde, im starken Herzen, laßt uns |
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In dieses neue Haus einziehn, und lachend. |
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Wir sind wohl keiner wundenlos, unversehrt, |
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Und jeder spürte, daß Niederträchtigkeit |
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Sehnenkräftige Bogen und giftige Pfeile hat, |
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Und daß der Dummheit Kartaunen nicht bloß brüllen, |
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Sondern auch vieles zerstören können, das |
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Mit Mühe und Kunst errichtet ward, – und, ach, |
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Des Schlimmsten wurden wir uns wohl auch bewußt, |
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Daß Schwachheit unser Teil ist und irgendwo |
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Jeder, wie fest er gefügt sich dünke, |
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Locker und undicht ist im Baue. |
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Das aber, Freunde, fechte uns nicht an! |
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Wir wollen tapfer sein und, gilts Gefecht, |
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Mit Lachen in den Feind gehn, da wir ja |
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Als Edle kämpfen und dem Troß voran |
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Als Wissende: Es ist die Kraft in uns, |
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Allein zu stehn, gemeiner Art entrückt. |
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Wenn aber Dumpfheit alles niederschlägt |
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Und Kampf nicht lohnt und Widerwillen uns |
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Erfassen will, so wollen wir, Freunde, nicht |
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Mit Trübsal abziehn, sondern heiter |
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Das Schwert der Scheide schenken und mit Gesang |
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Den Schritt wegwenden in die Einsamkeit. |
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Dies, liebe Freunde, ist nach meinem Sinn, |
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Vielleicht das Beste, das das Jahr bescheren mag: |
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Verborgenheit und Ruhe in uns selbst. |
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Wohl dem, der dies erfährt, doch selig der |
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(Wie selig, weiß ich, der es nun erfuhr) |
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Der nicht allein in dieses schöne Haus |
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Gelassener Beschaulichkeit zu gehen braucht. |
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In Einsamkeit vereint, das ist mein Spruch, |
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Und dies mein Wunsch, daß jeder, der es wert, |
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Voll aus, bis auf den Grund ausfühlen möge, welch ein Glück |
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Dies Wort umschließt: In Einsamkeit vereint. |
Details zum Gedicht „Neujahrspredigt“
Otto Julius Bierbaum
5
41
285
1906
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Neujahrspredigt“ wurde von Otto Julius Bierbaum geschrieben, einem deutschen Dichter, der zwischen 1865 und 1910 lebte. Der Text kann somit dem Fin de Siècle zugeordnet werden, einer Epoche, die von kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen geprägt und als Übergangsphase zwischen zwei Jahrhunderten zu sehen ist.
Auf den ersten Blick scheint das Gedicht mit seinem Titel eine Art Tradition fortzusetzen – die von Neujahrspredigten, die immer wieder zu Veränderungen und neuen Perspektiven anregen. Die sanfte, einladende Rhetorik, die Bierbaum verwendet, erzeugt das Bild einer harmonischen, erwartungsreichen Gemeinschaft, die bereit ist, das neue Jahr zu begrüßen.
Inhaltlich lädt das lyrische Ich die Freunde ein, das neue Jahr zu betreten „wie in ein schönes, gesichertes Haus“, gefüllt mit positiven Eigenschaften wie Liebe, Frieden und Schönheit (Verse 1-4). Allerdings weist das lyrische Ich auf die Wunden und Unvollkommenheiten eines jeden hin und beschwört dennoch dazu auf, tapfer zu sein und mit fröhlichem Herz - egal was kommt - allen Herausforderungen zu begegnen (Verse 9-18). In den folgenden Versen ruft das lyrische Ich dazu auf, den Mut nicht zu verlieren, selbst wenn der „Kampf nicht lohnt“ und der „Widerwillen“ zu groß wird. In solchen Momenten riet das lyrische Ich dazu, „heiter“ zu bleiben und friedlich in die Einsamkeit zu ziehen - ein Ort der inneren Ruhe und Stille (Verse 19-33). Abschließend betont das lyrische Ich im letzten Teil, welch ein Glück es sei, die Einsamkeit als Bereicherung und nicht als Fluch zu sehen – in Kommunion mit sich selbst und gleichzeitig verbunden mit anderen (Verse 34-41).
In Bezug auf die Form fällt das Gedicht durch seine uneinheitliche Länge der Strophen und die Freiheit in der Verslänge auf, die von vier bis zu fünfzehn Versen reicht. In den Versen findet sich kein konsequentes Reimschema, was auf einen freien Vers hindeutet.
Die Sprache des Gedichts ist gekennzeichnet durch formelle und feierliche Wendungen, die den seriösen Kontext von Neujahrsreden widerspiegeln. Sie wirkt aber auch sehr persönlich, als würde der Dichter direkt mit seinen Freunden sprechen. Im Gegensatz dazu stehen die komplexen und metaphorischen Verweise auf Kämpfe, Wunden und Einsamkeit, die ein Bild der komplexen menschlichen Erfahrung zeichnen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Bierbaums „Neujahrspredigt“ ein poetischer Aufruf ist, das neue Jahr mit Offenheit, Mut und Akzeptanz zu begrüßen und trotz aller Wunden und Kämpfe die innere Ruhe und Einsamkeit als Stärke zu sehen. Dabei schöpft der Dichter aus der metaphorischen Sprache, um Gefühle der Erwartung, der Stärke und der Gemeinschaft zu erzeugen und fordert die Leser auf, diese Werte im neuen Jahr aufzugreifen.
Weitere Informationen
Otto Julius Bierbaum ist der Autor des Gedichtes „Neujahrspredigt“. Geboren wurde Bierbaum im Jahr 1865 in Grünberg in Niederschlesien. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1906. Leipzig ist der Erscheinungsort des Textes. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das 285 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 41 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Der Dichter Otto Julius Bierbaum ist auch der Autor für Gedichte wie „Und immer mehr erkenn ich dies“, „Pro domo“ und „Egomet quidem“. Zum Autor des Gedichtes „Neujahrspredigt“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 354 Gedichte vor.
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Zum Autor Otto Julius Bierbaum sind auf abi-pur.de 354 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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