»Guide« und Fernrohr unter’m Arm von Marie Eugenie Delle Grazie

»Guide« und Fernrohr unter’m Arm
Schreitet er mit hagern Beinen
Durch des Volkes lauten Schwarm –
Englands’ Sohn – ich will es meinen!
 
Bleibt an jeder Ecke steh’n,
Um getreulich nachzulesen,
Und notirt im Weitergeh’n
Pünktlich: „Ich bin dagewesen!“
 
Daß ein Raphael gemalt,
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Nimmt er würdevoll zur Kenntnis,
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Denn des Genius Kunst bezahlt
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Er mit seinem Kunst – „Verständnis“!
 
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Hoch vom Palatin aus späht
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Stolz er, wie einst Cäsar nieder
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Und als Purpur wallt der – Plaid
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Feierlich um seine Glieder....
 
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Im Museo kokettirt
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Er mit jedem Marmorreste
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Und sein Rücken ignorirt
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Höflichst all’ die andern Gäste;
 
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Steif betritt er Saal um Saal,
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Um noch steifer fortzugehen –
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Ach! und international
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Denkt er nur von fremden – Zehen!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25 KB)

Details zum Gedicht „»Guide« und Fernrohr unter’m Arm“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
115
Entstehungsjahr
1892
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Guide und Fernrohr unter'm Arm“ wurde von Marie Eugenie Delle Grazie verfasst, einer österreichischen Dichterin, die von 1864 bis 1931 lebte. Sie war eine prominente Schriftstellerin der Weltliteratur in der späteren Hälfte des 19. Jahrhunderts und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.

Nach einer ersten Begegnung mit dem Gedicht fällt auf, dass Delle Grazie eine Beobachtung der britischen Touristen, insbesondere der akademischen und wohlhabenden Schichten, schildert. Sie greift Klischees auf und kritisiert spielerisch die englischen Touristen und ihre Art und Weise, Kultur und Kunst zu konsumieren.

Das Gedicht beschreibt einen britischen Touristen, erkennbar an den Bezeichnungen „Englands' Sohn“ und der Bezug zu Cäsar in der vierten Strophe. Dieser Tourist ist sehr diszipliniert und nimmt unterwegs Notizen, um markieren zu können, wo er schon war („Ich bin dagewesen!“). Er betrachtet Kunstwerke mit Respekt, nicht aufgrund ihres künstlerischen Wertes, sondern wegen seines Verständnisses für Kunst. Er stellt sich dabei vor, er sei ein Teil der Geschichte, indem er sich Cäsar ähnlich fühlt, während er die Umgebung aus hoher Position betrachtet.

Insgesamt wird das lyrische Ich von der Dichterin genutzt, um eine humorvolle und kritische Sicht auf den Touristen und seine Oberflächlichkeit zu offenbaren. Trotzdem gibt es einen Universellen Bezug, da das lyrische Ich auch auf den eigenen Voyeurismus und die eigene Oberflächlichkeit in der Betrachtung anderer hinweist.

Formal gesehen handelt es sich um ein Gedicht mit sechs Strophen, jede bestehend aus vier Versen. Die Dichterin setzt Sprache und Rhythmus ein, um eine satirische Darstellung des typischen Bildes eines Touristen zu erzeugen. Die Formulierungen wie „Ich bin dagewesen“, „Kunst – „Verständnis““ oder „fremden – Zehen!“ erzeugen eine ironische Distanz und betonen die Oberflächlichkeit des beschriebenen Touristen. Die Metapher des „Purpur [der] wallt der – Plaid“ unterstreicht die Selbstüberschätzung des Touristen, sich wie ein Cäsar zu fühlen. Die Wortwahl und die leichte Ironie verleihen dem Gedicht einen humorigen Ton und machen die Kritik an der touristischen Konsumhaltung deutlich. Insgesamt liegt ein Vers, der sowohl inhaltlich als auch formal eine feine Ironie zum Ausdruck bringt, die die damalige Sicht auf britische Touristen karikiert.

Weitere Informationen

Das Gedicht „»Guide« und Fernrohr unter’m Arm“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Marie Eugenie Delle Grazie. Im Jahr 1864 wurde Delle Grazie in Weißkirchen (Bela Crkva) geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1892. Erschienen ist der Text in Leipzig. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Realismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Die Schriftstellerin Delle Grazie ist eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das 115 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Weitere bekannte Gedichte der Autorin Marie Eugenie Delle Grazie sind „Beatrice Cenci“, „Campo Santo“ und „Capri, Capri, könnt’ ich je vergessen“. Zur Autorin des Gedichtes „»Guide« und Fernrohr unter’m Arm“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 71 Gedichte vor.

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