Einem Soldaten von Franz Grillparzer

Hoch und erhaben steht des Lebens Baum
Und breitet in den Luftkreis seine Äste,
In Grün und Gold erglänzt der breite Raum,
Und singend freun sich ungebetne Gäste.
 
Von Blüt und Frucht sind seine Zweige schwer,
Er läßt den Überfluß zu Boden fallen,
Und alles lagert froh sich um ihn her,
Daß er Genuß und reiche Labung allen.
 
Doch nur die eine Hälfte glänzt im Licht,
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Und gilt daher als Baum in jedem Munde,
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Die zweite Hälfte sieht dein Auge nicht,
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Weil sie sich birgt in tiefsten Bodens Grunde.
 
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Dort saugt sie ein den erdgebornen Saft
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Und treibt ihn in die lichte, bunte Höhe,
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Sie gibt den Halt, des Widerstandes Kraft,
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Damit dem Sturm das Laubdach widerstehe.
 
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So schließt sich in sich selbst der stolze Bau,
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Nach oben Fortschritt, Wechsel und das Neue,
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Die Wurzel stätig, fest und altergrau,
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Dasselbe, was beim Menschen heißt: die Treue.
 
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Treu jedem Wort, das Mann dem Manne gab,
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Treu jener Wahrheit, die mit uns geboren,
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Dem Lande treu, das Wiege uns und Grab,
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Dem Fürsten treu, dem wir den Eid geschworen.
 
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Uns hat der Sturm geschüttelt letztes Jahr
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Und abgestreift die Blüten und die Früchte,
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An denen nichts als unser Dünkel wahr,
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Nach kurzer Frist, so ging der Baum zunichte.
 
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Allein die Wurzel hielt. Was Worte leer
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Geraubt den weisheitstrunknen andern Ständen,
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Das hielt ein einzger fest. Es war das Heer,
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Im Herzen treu und stark in seinen Händen.
 
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Sie riß nicht der Versuchung Stimme fort,
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Die Pflicht entgegen setzten sie dem Wahne,
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Sie hörten nur des Führers ernstes Wort
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Und sahen nur die unbefleckte Fahne.
 
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So steht der Baum in neuverjüngtem Saft,
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Den sturmgebeugten Wipfel hoch erhoben,
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Und halten wird ihn auch der Wurzel Kraft,
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Beliebts dem Sturm, von anderwärts zu toben.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27 KB)

Details zum Gedicht „Einem Soldaten“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
289
Entstehungsjahr
1791 - 1872
Epoche
Biedermeier,
Realismus

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Einem Soldaten“ ist Franz Grillparzer. Geboren wurde Grillparzer im Jahr 1791 in Wien. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1807 und 1872. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Biedermeier oder Realismus zuordnen. Bei dem Schriftsteller Grillparzer handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das vorliegende Gedicht umfasst 289 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 40 Versen. Weitere Werke des Dichters Franz Grillparzer sind „Abschied“, „Abschied von Gastein“ und „Am Hügel“. Zum Autor des Gedichtes „Einem Soldaten“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 300 Gedichte vor.

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