Ruhe von Franz Grillparzer

Jung war ich aus der Heimat fortgezogen,
Es lockte mich ein Bild, das, hell und reich,
Auf ferner Berge himmelnahen Bogen
Halb Sternbild glänzte und halb Menschen-gleich.
 
Entgegen schien es winkend selbst zu kommen,
Erreichbar schiens dem Kühnen, der mit Mut
Den Gipfel erst des Berges nur erklommen,
Und also zog ich fort in Gottes Hut.
 
Doch auf dem Gipfel angelangt der Höhen,
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Zerfloß das Bild wie leichter Heiderauch,
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In gleicher Ferne sah ichs wieder stehen,
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Auf Bergen thronend, so wie früher auch.
 
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War Täuschung nun die erstgeglaubte Nähe,
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So war doch Wahrheit Mut und Lust und Kraft,
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Auch schien ja wirklich, was ich deutlich sehe,
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Und also hatt ich neu mich aufgerafft.
 
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Doch wie ich eifrig klomm und wie ich strebte,
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Es blieb der Abstand immerdar sich gleich,
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Dasselbe Bild, das körperlos entschwebte,
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In Fernen glänzend, in der Nähe bleich.
 
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Da ward ich müd wie alle Staubgebornen,
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Auch war der Weg von Steinen rauh und scharf,
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Bis auf das Leben ritzten spitze Dornen
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Und alles fehlte, was der Mensch bedarf.
 
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Zugleich im Gegensatz des luftgen Bildes
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Kam mir ein andres vor den wachen Sinn:
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Erinnerung des heimischen Gefildes,
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In dem ich ward, was ich doch endlich bin;
 
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Wo mir des Vaters Grab zurückgeblieben,
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Wo die Genossen froh im nahen Glück,
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Der Atem weht von schwerverlaßnen Lieben;
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Und also kehrt ich wegerschöpft zurück.
 
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Nur ruhen wollt ich und dann neu beginnen.
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Doch sah ich kaum den heimatlichen Herd,
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Da ward als Frucht ich der Versäumung innen,
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Wie alles dort verfallen und verkehrt.
 
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Die Fenster blind, verquollen Tür und Schwelle,
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Sie öffnete dem Freundestritt sich nicht,
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Von dem Geräte nichts an seiner Stelle,
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Das Dach gab statt der Fenster Luft und Licht.
 
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Im kleinen Gärtchen, längst entwohnt der Pflege,
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Wuchs Unkraut, wo Gewächse sonst in Reihn,
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Mit wucherndem Gestrüpp bedeckt die Wege,
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Und nur im wilden Anflug schien Gedeihn.
 
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Da fiels mich an: die nötigste der Taten
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Sei doch, daß erst die Heimat wohl bestellt,
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Und also nahm ich Haue, Karst und Spaten
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Und reutete zuerst mein eignes Feld.
 
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Befriedigung, die ich nach außen träumte,
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Kam nun von innen selber in mein Dach;
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Das Leben rächt ja stets, was es versäumte:
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Ich hole meine Jugendjahre nach.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.7 KB)

Details zum Gedicht „Ruhe“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
52
Anzahl Wörter
365
Entstehungsjahr
1791 - 1872
Epoche
Biedermeier,
Realismus

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Ruhe“ des Autors Franz Grillparzer. Grillparzer wurde im Jahr 1791 in Wien geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1807 bis 1872 entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Biedermeier oder Realismus zu. Grillparzer ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das 365 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 52 Versen mit insgesamt 13 Strophen. Franz Grillparzer ist auch der Autor für Gedichte wie „Beethoven“, „Der Wunderbrunnen“ und „Entsagung“. Zum Autor des Gedichtes „Ruhe“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 300 Gedichte vor.

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