Napoleon von Franz Grillparzer

So stehst du still, du unruhvolles Herz,
Und bist gegangen zu der stillen Erde?
Was fünfzig Jahr, voll Hoheit und Beschwerde,
Voll Heldenlust nicht gab und Heldenschmerz,
Ist dir geworden in der stillen Erde,
Ein Sohn des Schicksals stiegest du hinab,
Verhüllt wie deine Mutter, sei dein Grab.
 
Das Fieber warst du einer kranken Zeit,
Bestimmt vielleicht, des Übels Sitz zu heben,
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So flammtest du durchs aufgeregte Leben;
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Doch wie des Krankenlagers Ängstlichkeit
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Dem Fieber pflegt der Krankheit Schuld zu geben,
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Schienst du der Feind allein auch aller Ruh
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Und trugst die Schuld, die früher war, als du.
 
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Was sie gesündiget ohn Unterlaß,
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Was sie gefrevelt seit den frühsten Tagen,
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Ward all zusammen auf dein Haupt getragen,
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Du duldetest für alle aller Haß,
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Dich ließen sie nach jenem Schimmer jagen,
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In dem sich jeder selber gern gesonnt,
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Wie du, gewollt, nur nicht, wie du, gekonnt.
 
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Denn, seit du fort, fließt nun nicht mehr das Blut,
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In dem vor dir schon alle Felder rannen?
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Ward Lohn den wider dich vereinten Mannen?
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Ist heilig das von dir bedrohte Gut?
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Ward Tyrannei entfernt mit dem Tyrannen?
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Ist auf der freien Erde, seit du fort,
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Nun wieder frei Gedanke, Meinung, Wort?
 
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Dich lieben kann ich nicht, dein hartes Amt
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War, eine Geißel Gottes sein hienieden,
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Das Schwert hast du gebracht und nicht den Frieden,
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Genug hat dich die Welt darob verdammt;
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Doch jetzt sei Urteil vom Gefühl geschieden!
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Das Leben liebt und haßt, der Toten Ruhm
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Ist der Geschichte heilig Eigentum.
 
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Zum mindsten wardst du strahlend hingestellt,
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Zu kleiden unsrer Nacktheit ekle Blöße,
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Zu zeigen, daß noch Ganzheit, Hoheit, Größe
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Gedenkbar sei in unsrer Stückelwelt,
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Die sonst wohl selbst im eignen Nichts zerflösse,
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Daß noch die Gattung da, die starker Hand
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Bei Cannä schlug, bei Thermopylä stand.
 
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Und so tritt hin denn zu der Helden Zahl,
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Die annoch lebet auf der Nachwelt Zungen,
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Zum Alexander, der die Welt bezwungen,
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Zum Cäsar, der mit tadelnswertrer Wahl
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Am Rubicon der Herrschaft vorgedrungen,
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Zum - Stellt kein Held sich mehr zum Gleichnis ein?
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Und ist man streng, da wo die Wahl so klein?
 
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Geh hin und sag es an: der Zeiten Schoß,
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Er bring uns fürder Mäkler, Schreiber, Pfaffen,
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Die Welt hat nichts mit Großem mehr zu schaffen;
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Denn ringt sich auch einmal ein Löwe los,
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Er wird zum Tiger unter so viel Affen.
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Wie soll er schonen, was hält länger Stich,
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Wenn niemand sonst er achten kann als sich?
 
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Schlaf wohl! und Ruhe sei mit deinem Tod,
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Ob du die Ruhe gleich der Welt gebrochen;
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Hat doch ein Höherer bereits gesprochen:
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Von Anderm lebt der Mensch als nur von Brot,
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Das Große hast am Kleinen du gerochen,
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Und sühnend steh auf deinem Leichenstein:
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Er war zu groß, weil seine Zeit zu klein!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.6 KB)

Details zum Gedicht „Napoleon“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
63
Anzahl Wörter
456
Entstehungsjahr
1821
Epoche
Biedermeier,
Realismus

Gedicht-Analyse

Franz Grillparzer ist der Autor des Gedichtes „Napoleon“. 1791 wurde Grillparzer in Wien geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1821 zurück. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Biedermeier oder Realismus zugeordnet werden. Grillparzer ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das Gedicht besteht aus 63 Versen mit insgesamt 9 Strophen und umfasst dabei 456 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Franz Grillparzer sind „An einen Freund“, „Beethoven“ und „Der Wunderbrunnen“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Napoleon“ weitere 300 Gedichte vor.

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