Wirkung in die Ferne von Johann Wolfgang von Goethe

Die Königin steht im hohen Saal,
Da brennen der Kerzen so viele;
Sie spricht zum Pagen: »Du läufst einmal
Und holst mir den Beutel zum Spiele.
Er liegt zur Hand
Auf meines Tisches Rand.«
Der Knabe, der eilt so behende,
War bald an Schlosses Ende.
 
Und neben der Königin schlürft zur Stund
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Sorbet die schönste der Frauen.
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Da brach ihr die Tasse so hart an dem Mund,
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Es war ein Greuel zu schauen.
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Verlegenheit! Scham!
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Ums Prachtkleid ist's getan!
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Sie eilt und fliegt so behende
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Entgegen des Schlosses Ende.
 
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Der Knabe zurück zu laufen kam
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Entgegen der Schönen in Schmerzen,
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Es wußt es niemand, doch beide zusamm',
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Sie hegten einander im Herzen;
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Und o des Glücks,
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Des günst'gen Geschicks!
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Sie warfen mit Brust sich zu Brüsten
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Und herzten und küßten nach Lüsten.
 
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Doch endlich beide sich reißen los;
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Sie eilt in ihre Gemächer;
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Der Page drängt sich zur Königin groß
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Durch alle die Degen und Fächer.
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Die Fürstin entdeckt
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Das Westchen befleckt:
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Für sie war nichts unerreichbar,
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Der Königin von Saba vergleichbar.
 
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Und sie die Hofmeisterin rufen läßt:
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»Wir kamen doch neulich zu Streite,
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Und Ihr behauptetet steif und fest,
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Nicht reiche der Geist in die Weite;
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Die Gegenwart nur,
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Die lasse wohl Spur;
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Doch niemand wirk in die Ferne,
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Sogar nicht die himmlischen Sterne.
 
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Nun seht! Soeben ward mir zur Seit
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Der geistige Süßtrank verschüttet,
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Und gleich darauf hat er dort hinten so weit
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Dem Knaben die Weste zerrüttet.
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Besorg dir sie neu!
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Und weil ich mich freu,
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Daß sie mir zum Beweise gegolten,
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Ich zahl sie! sonst wirst du gescholten.«
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.3 KB)

Details zum Gedicht „Wirkung in die Ferne“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
262
Entstehungsjahr
1749 - 1832
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Wirkung in die Ferne“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Wolfgang von Goethe. 1749 wurde Goethe in Frankfurt am Main geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1765 und 1832. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Bei dem Schriftsteller Goethe handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das literarische und philosophische Denken im deutschen Sprachraum. Der Sturm und Drang „stürmte“ und „drängte“ als Jugend- und Protestbewegung gegen diese aufklärerischen Ideale. Ein wesentliches Merkmal des Sturm und Drang ist somit ein Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung. Die Vertreter waren zumeist Schriftsteller jüngeren Alters, meistens nicht älter als 30 Jahre. Die Schriftsteller versuchten in den Gedichten eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Die Weimarer Klassik ist eine Epoche der deutschen Literaturgeschichte, die von zwei bedeutenden Dichtern geprägt wurde: Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Die Literaturepoche beginnt 1786 mit Goethes Italienreise und endet 1832 mit dem Tod Goethes. Es gibt aber auch Definitionen, die das gemeinsame Schaffen der beiden befreundeten Dichter Goethe und Schiller von 1794 bis zu Schillers Tod 1805 als Weimarer Klassik zeitlich festlegen. Sowohl die Bezeichnung Klassik als auch die Bezeichnung Weimarer Klassik sind gebräuchlich. Das literarische Zentrum dieser Epoche lag in Weimar. Humanität, Güte, Gerechtigkeit, Toleranz, Gewaltlosigkeit und Harmonie sind die essenziellen Themen. Die Klassik orientiert sich am antiken Kunstideal. Ein hohes Sprachniveau ist für die Werke der Klassik charakteristisch. Während man im Sturm und Drang die natürliche Sprache wiedergeben wollte, stößt man in der Klassik auf eine reglementierte Sprache. Goethe, Schiller, Herder und Wieland können als die Hauptvertreter der Weimarer Klassik angesehen werden. Aber nur Schiller und Goethe inspirierten und motivierten einander durch eine intensive Zusammenarbeit und wechselseitige Kritik.

Das 262 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Die Gedichte „An Lida“, „An den Mond“ und „An den Schlaf“ sind weitere Werke des Autors Johann Wolfgang von Goethe. Zum Autor des Gedichtes „Wirkung in die Ferne“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 1617 Gedichte vor.

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