Zweite Epistel von Johann Wolfgang von Goethe
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Würdiger Freund, du runzelst die Stirn; dir scheinen die Scherze |
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Nicht am rechten Orte zu sein; die Frage war ernsthaft, |
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Und besonnen verlangst du die Antwort; da weiß ich, beim Himmel! |
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Nicht, wie eben sich mir der Schalk im Busen bewegte. |
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Doch ich fahre bedächtiger fort. Du sagst mir: »So möchte |
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Meinetwegen die Menge sich halten im Leben und Lesen, |
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Wie sie könnte; doch denke dir nur die Töchter im Hause, |
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Die mir der kuppelnde Dichter mit allem Bösen bekannt macht.« |
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Dem ist leichter geholfen, versetz ich, als wohl ein andrer |
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Denken möchte. Die Mädchen sind gut und machen sich gerne |
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Was zu schaffen. Da gib nur dem einen die Schlüssel zum Keller |
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Daß es die Weine des Vaters besorge, sobald sie, vom Winzer |
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Oder vom Kaufmann geliefert, die weiten Gewölbe bereichern. |
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Manches zu schaffen hat ein Mädchen, die vielen Gefäße, |
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Leere Fässer und Flaschen in reinlicher Ordnung zu halten. |
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Dann betrachtet sie oft des schäumenden Mostes Bewegung, |
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Gießt das Fehlende zu, damit die wallenden Blasen |
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Leicht die Öffnung des Fasses erreichen, trinkbar und helle |
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Endlich der edelste Saft sich künftigen Jahren vollende. |
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Unermüdet ist sie alsdann, zu füllen, zu schöpfen, |
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Daß stets geistig der Trank und rein die Tafel belebe. |
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Laß der andern die Küche zum Reich; da gibt es, wahrhaftig! |
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Arbeit genug, das tägliche Mahl durch Sommer und Winter |
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Schmackhaft stets zu bereiten und ohne Beschwerde des Beutels. |
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Denn im Frühjahr sorget sie schon, im Hofe die Küchlein |
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Bald zu erziehen und bald die schnatternden Enten zu füttern. |
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Alles, was ihr die Jahrszeit gibt, das bringt sie beizeiten |
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Dir auf den Tisch und weiß mit jeglichem Tage die Speisen |
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Klug zu wechseln, und reift nur eben der Sommer die Früchte, |
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Denkt sie an Vorrat schon für den Winter. Im kühlen |
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Gewölbe Gärt ihr der kräftige Kohl und reifen in Essig die Gurken; |
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Aber die luftige Kammer bewahrt ihr die Gaben Pomonens. |
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Gerne nimmt sie das Lob vom Vater und allen Geschwistern, |
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Und mißlingt ihr etwas, dann ist's ein größeres Unglück, |
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Als wenn dir ein Schuldner entläuft und den Wechsel zurückläßt. |
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Immer ist so das Mädchen beschäftigt und reifet im stillen |
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Häuslicher Tugend entgegen, den klugen Mann zu beglücken. |
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Wünscht sie dann endlich zu lesen, so wählt sie gewißlich ein Kochbuch, |
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Deren Hunderte schon die eifrigen Pressen uns gaben. |
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Eine Schwester besorget den Garten, der schwerlich zur Wildnis, |
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Deine Wohnung romantisch und feucht zu umgeben, verdammt ist, |
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Sondern in zierliche Beete geteilt, als Vorhof der Küche, |
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Nützliche Kräuter ernährt und jugendbeglückende Früchte. |
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Patriarchalisch erzeuge so selbst dir ein kleines, gedrängtes |
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Königreich, und bevölkere dein Haus mit treuem Gesinde. |
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Hast du der Töchter noch mehr, die lieber sitzen und stille |
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Weibliche Arbeit verrichten, da ist's noch besser; die Nadel |
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Ruht im Jahre nicht leicht: denn noch so häuslich im Hause, |
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Mögen sie öffentlich gern als müßige Damen erscheinen. |
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Wie sich das Nähen und Flicken vermehrt, das Waschen und Biegen, |
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Hundertfältig, seitdem in weißer, arkadischer Hülle |
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Sich das Mädchen gefällt, mit langen Röcken und Schleppen |
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Gassen kehret und Gärten, und Staub erreget im Tanzsaal. |
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Wahrlich! wären mir nur der Mädchen ein Dutzend im Hause, |
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Niemals wär ich verlegen um Arbeit, sie machen sich Arbeit |
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Selber genug, es sollte kein Buch im Laufe des Jahres |
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Über die Schwelle mir kommen, vom Bücherverleiher gesendet. |
Details zum Gedicht „Zweite Epistel“
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1749 - 1832
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Zweite Epistel“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Wolfgang von Goethe. Der Autor Johann Wolfgang von Goethe wurde 1749 in Frankfurt am Main geboren. Im Zeitraum zwischen 1765 und 1832 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Goethe ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.
Zwischen den Literaturepochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren von 1765 bis 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Zeitgenössische Genieperiode oder Geniezeit sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. Die Epoche des Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System wendeten. Die Schriftsteller des Sturm und Drang waren zumeist junge Autoren, häufig unter 30 Jahre alt. Um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen, wurde im Besonderen darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die alten Werke vorheriger Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit seinen beiden bedeutenden Vertretern Schiller und Goethe entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.
Zeitlich lässt sich die Weimarer Klassik mit Goethes Italienreise 1786 und mit Goethes Tod im Jahr 1832 eingrenzen. Zwei gegensätzliche Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert beeinflusst. Die Aufklärung und die gefühlsbetonte Strömung Sturm und Drang. Die Weimarer Klassik ist eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Das Zentrum der Literatur der Weimarer Klassik lag in Weimar. Oft wird die Epoche auch nur als Klassik bezeichnet. Zu den essenziellen Motiven der Weimarer Klassik gehören unter anderem Menschlichkeit und Toleranz. In der Lyrik haben die Autoren auf Stil- und Gestaltungsmittel aus der Antike zurückgegriffen. So war beispielsweise die streng an formale Kriterien gebundene Ode besonders geschätzt. Des Weiteren verwendeten die Dichter eine gehobene, pathetische Sprache. Die wichtigsten Vertreter der Weimarer Klassik sind: Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried von Herder und Christoph Martin Wieland.
Das Gedicht besteht aus 57 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 541 Worte. Der Dichter Johann Wolfgang von Goethe ist auch der Autor für Gedichte wie „An die Entfernte“, „An die Günstigen“ und „An einen jungen Prahler“. Zum Autor des Gedichtes „Zweite Epistel“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 1617 Gedichte vor.
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