Zwischen Abend und Nacht von Otto Julius Bierbaum

Da zieht der Fluß und trägt das Abendgold,
Da stehn die Wolken wie ein Goldgebirg:
Der Abend giebt uns seine goldne Hand.
 
Wohl, wohl! Der Schlaf und was schön träumen macht
Zieht leis die Flöre über unsre Welt,
Und Viele sind jetzt glücklich, denn sie ruhn.
An manchem Bette sitzt die Liebe jetzt
Mit Wiegenliedern, und manch müdes Haupt
Hat seinen Schooß nun, daß es ruhen kann.
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Da liegt wohl eine weiche, weiße Hand
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Recht leicht und zärtlich, hütend, auf der Stirn
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Des Schlafenden, und seiden streicht das Haar
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Der guten Hegerin die Wangen ihm,
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Der seine Ruhe in der Liebe hat.
 
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Wie's in den Nestern still wird! Ab und an
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Zirpt so ein Meislein, das wohl träumen mag.
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Die Zeit der Nachtigallen ist vorbei.
 
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Einst hab ich halbe Nächte lang gelauscht,
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Wie unsrer Wälder vollste Kehle sang,
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Und mich ergriff der kleinen Kreatur
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Aufschluchzend Lied im Allerinnersten.
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Ich wußte wohl: auch mir ist seelenvoll
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So heiße Liebe schluchzend zugewandt,
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Und dankbar trat ich leise an ein Bett
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Und suchte eine kleine warme Hand
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Und küßte sie. - Da hatte ich mein Glück.
 
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Das ist vorbei. Es kam ein böser Wind
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Und riß mir meine Rose weg vom Stock
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Und trug sie in die Stadt. Da liegt sie nun
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Entblättert in der Gosse. Säh ich sie,
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Ich könnte sie nicht mehr erkennen. - Oh,
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So herben Schmerz hast du mir angethan,
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Einstmals Geliebte, daß mein Herz steinhart
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Von Narben wurde. Eher höbe ich
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Den Kot der Gasse, als die Rose auf.
 
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Der Fluß verlor sein Gold. Er geht in Grau.
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Grau stehn die Wolken wie ein Bleigebirg.
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Es winkt die Nacht mit ihrer grauen Hand.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Zwischen Abend und Nacht“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
38
Anzahl Wörter
275
Entstehungsjahr
1865 - 1910
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Otto Julius Bierbaum ist der Autor des Gedichtes „Zwischen Abend und Nacht“. Geboren wurde Bierbaum im Jahr 1865 in Grünberg in Niederschlesien. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1881 und 1910. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne oder Expressionismus zu. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 38 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 275 Worte. Weitere Werke des Dichters Otto Julius Bierbaum sind „Die Eulen schrein“, „Mondmüde“ und „Toskanisches Mädchenlied“. Zum Autor des Gedichtes „Zwischen Abend und Nacht“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 354 Gedichte vor.

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