Am Kamin von Otto Julius Bierbaum
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Draußen bläst der Wind und fegt |
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Flocken an die Fensterscheiben, |
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Mürrisch patrouilliert der Mond |
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Hinter dicken Wolkenwällen. |
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Am Kamin sitz ich und stütze |
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Meine Füße auf das Gitter, |
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Und ich starre in die Gluten, |
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In das heiße, helle Sterben. |
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Wie die Flammenzungen zucken, |
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Diese roten Schlangenzungen; |
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Kleine blaue Flackerflämmchen |
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Beben wie erschrockene Seelen, |
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Und glutgoldene Flammenschwerter |
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Stoßen unablässig blitzend |
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In die leere Luft. |
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Hinter mir auf eichenem Tische |
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Singt der Samovar sein leises |
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Seufzerlied, auf dem Gesimse |
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Des Kamins tickt silbertönig |
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Die Pendüle; wie in Aengsten |
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Fegt die goldene Pendelscheibe |
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Hin und her. |
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Sinkt mir auf die Brust der Kopf, |
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Bebts im Herzen mir wie Traum: |
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»Mai und Blüten, Mai und Blüten, |
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Erster Sang der Nachtigallen, |
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Zwischen duftenden Syringen |
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Haben wir die Nacht durchküßt -« |
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Haben ... wir ... die Nacht ... durchküßt ... |
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Aus dem tiefsten Herzen tauchen |
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Mir die Verse wie ein Träumen, |
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Aber glaub ich diesem Traume? |
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War es denn, das warme Leben |
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Mit den heißen, nahen Lippen? |
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War es denn? |
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Es ist in mein Herz gefrostet, |
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Hartes Eis, hell wie Erfahrung, |
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Undurchdringlich starre Kruste, |
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Die kein Hoffen mehr durchbricht; |
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Schnee ist auf mein Haupt gefallen, |
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Schnee, den keine Sonne schmelzen, |
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Den kein Lenz verjagen wird. |
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Kalt und leer und stumm und farblos |
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Ist die ganze Welt mir worden, |
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Seit ich ihres Herzens Wärme |
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Nicht an meiner Brust mehr fühle, |
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Seit mir ihres Herzens Fülle |
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Nicht mehr lebt in tiefer Liebe, |
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Seit ihr Mund verstummt, |
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Der so innig sprach, |
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Seit ihr blaues Auge |
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Stier im Tode brach. |
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In den Flammen nur ist Leben, |
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Und dies Leben ist das heiße, |
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Jache, ungestüme Sterben. |
Details zum Gedicht „Am Kamin“
Otto Julius Bierbaum
10
55
261
1865 - 1910
Realismus,
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Am Kamin“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Otto Julius Bierbaum. Im Jahr 1865 wurde Bierbaum in Grünberg in Niederschlesien geboren. Zwischen den Jahren 1881 und 1910 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne oder Expressionismus zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 261 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 55 Versen mit insgesamt 10 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Otto Julius Bierbaum sind „Fortuna heißt mein Schiff“, „Meines Vaters Uhr“ und „Reimkarussell“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Am Kamin“ weitere 354 Gedichte vor.
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- Toskanisches Mädchenlied
- Angelika, die röselrote
Zum Autor Otto Julius Bierbaum sind auf abi-pur.de 354 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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