An Schinkel von Clemens Brentano

Du selbst wohl magst in heitrer Festlichkeit
Der Frucht und Blumen Schnur mit Band umschlingen,
Und so vom Turme hin zum Turme schwingen
Den himmelfrohen Blicken zum Geleit,
Wenn des Momentes kühne Heiterkeit
Von Gipfeln hin zu Gipfeln möchte springen,
Und nach der Vögel Lied in Blumenringen
Sich schaukeln schwebend überm Erdenstreit.
 
So sei hinüber dann zu Dir gekreist
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Mein Liederband von einem Gipfel ab,
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Dess' Lavastrom die Rinde überm Grab
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Erstarrter Mitwelt oft Dir aufgeeist.
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Sei treu begrüßt Du nie erschöpfter Geist,
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Dem das Verhältnis seinen Meisterstab,
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Das Unermeßliche zu messen, gab,
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Daß Ew'ges sich in Grenzen schön erweist.
 
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Indessen ein Philister stolz verblüfft
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Durch aufgesteiften Leichnam des Vitruv,
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Von seines ausgestopften Schulpferds Huf
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Sich Hippokrene leckt, Karnieschen knifft,
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Bist Du mit Orpheus glaubend eingeschifft,
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Und wie in Klangfiguren Schöpferruf,
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Wie im Kristall der Ton Gestalt sich schuf,
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So Saitenklang in Deine Seele trifft.
 
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Gehst Du jetzt wohl an meines Görres Hand,
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Dem Liebe hier im Liede Dich gefügt,
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Wo ernst der Rhein berauschte Ufer pflügt
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Längs alter Tempel schicksalsvollem Rand,
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Und malst ihm meisterlich in feuchten Sand
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Mit leichtem Stabe, dessen Zug nicht trügt,
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Ein Dombild hin, dem nicht die Zeit genügt,
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Noch Dir, der es erfand, ihm, der's verstand.
 
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Dann denke, daß zuerst er einst gedacht,
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Zuerst gesagt: Architektura ist
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Erstarrte Musika, die Maß ermißt;
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Worüber die Philister dumm gelacht,
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Und lieb' ihn drum, sahst Du in stumme Nacht
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Die Kunst doch auch verbaut durch Formgenist,
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Bis Saitenklang Dir brach das Schulgerüst,
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Ausstrahlend vom Gesetz zu Zier und Pracht.
 
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Ich weiß, Grundtöne führen Dir den Plan
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Und Harmonieen wiegen Dir ihn aus
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Und Melodieen treiben bis zum Strauß
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Des Gipfels Dir die Linien hinan,
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Kein Zug läuft eigenwillig seine Bahn,
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Und macht auf eigne Hand sich blumenkraus,
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Du pflanzest nicht auf tolles Formgebraus,
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Nein auf organ'sche Gipfel nur den Hahn.
 
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O zürne nicht, daß ich Dich auf die Zinnen
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Der Tempel führe, die im Geist Du bauest,
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Und unermüdlich gut der Zeit vertrauest,
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Ob einmal wohl ihr Großes geh' zu Sinnen;
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Es ist um Dir die Aussicht zu gewinnen,
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Wo Du der Erde Hoffnungsgrün erschauest
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Und Trost des blauen Himmels niedertauest
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Zu Bildern schöner Kunstzeit auf die Linnen.
 
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Doch ach die liebe Zeit! mit Wortposaunen
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Bläst sie Dein Bild des Griechenlebens an,
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Und bleckt bei dem Gewitterdom den Zahn,
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Wahrhaftig schön, altdeutsch, recht zum Erstaunen!
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Doch Kritiker hört man ins Ohr sich raunen:
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Phantastische Prospekte, nicht viel dran,
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Im Kolorit hat er noch nichts getan,
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Sein Blau will grauen nicht, sein Grün nicht braunen.
 
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Auch hör' von Tempelspatzen, Heidenküstern,
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Von Krähen in Metopenschädeln nistend,
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Ihr Leben an Triglyphentropfen fristend
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Ob got'scher Barbarei ich rings ein Flüstern;
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Doch keiner ist zu griech'schem Wettbau lüstern,
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Du schütteltest sonst kräftig, überlistend
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Die Herrn im Atheistenstalle mistend,
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Die Säulen Samson über den Philistern.
 
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Ursprünglich springt wie Griechen Dir Erfindung,
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Dorisch wird Manneskraft Dir wie den Alten,
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Und jonisch siehst Du Frauenanmut walten,
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Volute in der Locken Schneckenwindung,
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Den Wulst in vollen Haarschmucks Unterbindung,
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Des Schaftes Hohlstreif in Gewandes Falten;
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Korinthisch hohe Zier rein zu gestalten,
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Giebt jungfräuliche Schlankheit Dir Empfindung.
 
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Die Mythe, die korinth'schem Säulenhaupt
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Durch fromme Liebe schönes Leben gab,
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Die Freundin lebt, Akanthus auf dem Grab
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Der Jungfrau ihren Fruchtkorb noch umlaubt,
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Kallimachus auch Du! kein dürrer Stab
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Ist Dir der Meßstock; grün und vollbetraubt
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Schwingst Du als Thyrsus ihn. Es grünt, wer glaubt,
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Die dürren schnitt der Herr zum Feuer ab.
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Hier brech' ich ab. Ich hatte hingerissen
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Wohl funfzig solcher Strophen Dir gesungen,
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Von Deinen Leiden und Begeisterungen,
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Domidealen und Realkulissen,
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Scheinlauter Zeit kleinlauten Hindernissen.
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Was Du in Dir und außer Dir errungen,
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Was Dir gelungen, was Du überschwungen,
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Das sagt' ich dort nach Wissen und Gewissen.
 
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Doch hier schien allzuernst mir die Beschauung,
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Um Dich bei Fahnenschwung und Trommelrühren
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In lust'ge Zeltengassen einzuführen;
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Wie leicht wär's um die ganze Auferbauung
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Durch ein Hurra und Lippellied geschehen,
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Drum nimm fürlieb auf ernstres Wiedersehen!

Details zum Gedicht „An Schinkel“

Anzahl Strophen
12
Anzahl Verse
103
Anzahl Wörter
646
Entstehungsjahr
1778 - 1842
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An Schinkel“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Clemens Brentano. Im Jahr 1778 wurde Brentano in Ehrenbreitstein (Koblenz) geboren. Im Zeitraum zwischen 1794 und 1842 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Romantik zuordnen. Brentano ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine Epoche der Kunstgeschichte, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins späte 19. Jahrhundert hinein die Literatur, Musik, Kunst und Philosophie prägte. Auf die Literatur beschränkt betrachtet reichen die Auswirkungen der Epoche lediglich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hinein. Die Frühromantik lässt sich zeitlich bis in das Jahr 1804 einordnen. Die Hochromantik bis 1815 und die Spätromantik bis in das Jahr 1848. Die Welt, die sich durch die einsetzende Industrialisierung und Verstädterung mehr und mehr veränderte, verunsicherte die Menschen. Die Französische Revolution in den Jahren 1789 bis 1799 hatte ebenfalls bedeutende Auswirkungen auf die Romantik. In der Romantik finden sich verschiedene charakteristische Motivkreise. Sehnsucht und Liebe (Blaue Blume) oder das Unheimliche (Spiegelmotiv) sind wichtige zu benennende Motive. Aber auch politische Motive wie Weltflucht, Nationalismus und Gesellschaftskritik lassen sich aufzeigen. Das Mittelalter gilt bei den Romantikern als Ideal und wird verherrlicht. Übel und Missstände des Mittelalters bleiben unbeachtet. Die äußere Form von romantischer Literatur ist dabei völlig offen. Kein festgesetztes Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits direkt nach Erscheinen der Werke wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das Gedicht besteht aus 103 Versen mit insgesamt 12 Strophen und umfasst dabei 646 Worte. Der Dichter Clemens Brentano ist auch der Autor für Gedichte wie „Ihr himmlischen Fernen“, „Brautgesang“ und „Abschied vom Rhein“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „An Schinkel“ weitere 297 Gedichte vor.

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