Als er seinem harten Schicksal nachdachte von Johann Christian Günther

Wie kanstu doch so viel vergebens klagen
Und unerhörte Seufzer thun?
Ach, las einmahl die Augen ruhn
Und thu dir selber weh, die Schläge stumm zu tragen.
Du siehst ja wohl einmahl, verworfnes Menschenkind,
Daß Glück und Gott nicht mehr der Unschuld Freunde sind.
 
Du wurdest ja mit Angst zur Angst gebohren,
Die dir ein blutig Morgenroth
Schon in der Mutter Schoos gedroht,
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Der Mutter, die durch dich so Wuntsch als Kraft verloren.
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Ach, wäre dort dein Geist im ersten Bad erstickt,
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So würd er jezt nicht erst durch Thränen hingerückt.
 
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Dich, blaßer Mond, und euch, erzürnte Sterne,
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Euch, deren Einfluß, Trieb und Macht
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Mein Elend zeugt und auch belacht,
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Beschwör ich bey der Noth, wodurch ich fluchen lerne:
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Sagt, weil doch euer Licht in alle Winckel fällt,
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Sagt, ob auch die Natur noch solch ein Stiefkind hält.
 
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Bin ich allein zum Ärgernüß erschafen,
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Und steckt mein Wesen voller Schuld?
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Wie hat der Himmel noch Gedult,
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Und warum säumt sein Zorn, mich plözlich hinzurafen,
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Nachdem die Erd an mir ein solch Geschöpfe nährt,
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Das ihm zur Schande lebt und sonder Nuzen zehrt?
 
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Jedoch ich weis, er kennt mein treu Gemüthe
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Und sieht des Herzens Neigung an,
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Die keinem schlimm begegnen kan,
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Obgleich sein ärgster Feind ihm in die Hand geriethe:
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Es fehlet als ein Mensch und darum, weil es fehlt,
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Vergiebt es jedem gern, den gleiche Schwachheit quält.
 
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So bistu denn auch da nicht mehr zu finden,
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Dir, dir, Erbarmung, ruf ich zu
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Da, wo der Armen Trost und Ruh
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Sich sonst gemeiniglich mit fester Zuflucht gründen?
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Ach, hat dich irgend auch der Himmel, der mich plagt,
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Nur mir zur lezten Qual aus seiner Schoos gejagt?
 
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Sey, wo du wilt, du must mein Leid erfahren,
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Das fast ein jedes Element
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So gut als mich das Unglück kennt.
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Die Seufzer müßen sich mit Luft und Winden paaren,
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Die Erde fühlt die Last, von Thränen wächst die Fluth,
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Und meiner Güter Rest entführt die wilde Glut.
 
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Und mag's doch seyn. Ich will es nicht mehr rühren,
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Nachdem mich auch kein Freund mehr klagt.
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Der Schall, so alles wieder sagt,
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Mag, was mich quält und drückt, in Wald und Wüste führen.
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Ich zieh vielleicht bald nach, um bey so langer Pein
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Nicht mehr ein Ärgernüß der tummen Welt zu seyn.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.1 KB)

Details zum Gedicht „Als er seinem harten Schicksal nachdachte“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
377
Entstehungsjahr
1695 - 1723
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Als er seinem harten Schicksal nachdachte“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Christian Günther. Geboren wurde Günther im Jahr 1695 in Striegau. Das Gedicht ist in der Zeit von 1711 bis 1723 entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Barock kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Günther ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die deutsche Literaturepoche des Barock folgt auf die Epoche der Renaissance und des Humanismus. Sie umfasst den Zeitraum von etwa 1600 bis 1720. Der Begriff leitet sich aus dem Portugiesischem ab. Der Begriff stammt aus der Juweliersprache und bedeutet „seltsam geformte, schiefrunde Perle“. Das Leben der Menschen war geprägt vom Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) und der Pest. Die Menschen lebten in schwierigsten Verhältnissen. Adelige erlaubten sich einen luxuriösen Lebensstil, wohingegen das normale Volk von Armut geplagt war. Die Fürsten wollten immer mehr Einfluss auf Lebensstil und Erziehung gewinnen. Bauernaufstände und Unruhen führten jedoch zu einem langsamen Umdenken der Menschen und zu einem zunehmenden Selbstbewusstsein. Die Erfahrungen mit dem Krieg und seinen dramatischen Folgen spiegeln sich in einem gegensätzlichen (antithetischen) Weltbild wider. Dies entspricht der damaligen Lebenswirklichkeit der Menschen: Das Leben der einfachen Bevölkerung war geprägt von Armut und Pessimismus, während an den Fürstenhöfen nach dem Vorbild des französischen Absolutismus Luxus und Verschwendung herrschten. In der Dichtung wird die Verwendung solcher inhaltlichen Gegensätze als Antithetik bezeichnet. Diese Gegensätzlichkeiten lassen sich bei den Motiven des Barocks finden. In der vorherigen Epoche (Renaissance) waren noch viele Werke auf Lateinisch geschrieben worden. Mit dem Barock begann jedoch die Zeit der in deutscher Sprache verfassten Literatur. Bedeutende Schriftsteller für die Zeit des Barocks waren etwa: Martin Opitz, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Christian Weise, Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen und Andreas Gryphius.

Das 377 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Die Gedichte „Abendlied“, „Rosen“ und „So aber sucht man ihm die Wege vorzuschreiben“ sind weitere Werke des Autors Johann Christian Günther. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Als er seinem harten Schicksal nachdachte“ weitere 264 Gedichte vor.

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