Amor, der den Bogen spannt von Johann Gottfried Herder

Auf wen, o Knabe, rüstest Du den Bogen,
Den mächtigen? Entrüstet prüfst Du ihn.
Wer hat zum Kampfe Dich herausgezogen,
Dich, den die Tapfersten vorsichtig fliehn?
Der Thörichte! ihn hat sein Herz betrogen;
Das schwächste Herz ist oft am Meisten kühn.
Bald wird er, seinen sichern Stolz zu büßen,
Den zweiten Pfeil von Dir erflehen müssen.
 
Wolan, o Knabe, zeuch hinaus zum Siege!
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Den schlausten Heuchelnden besiege Du;
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Dann wähl, ich bitte, statt der losen Kriege
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Ein ander Spiel und gönn uns unsre Ruh!
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Damit die Lieb' in holde Träum' uns wiege,
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Bind Du der Psyche Augen liebreich zu,
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Daß wir, vergessend uns, wie Du erblinden
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Und schöner uns in Andern wiederfinden!
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Amor, der den Bogen spannt“

Anzahl Strophen
2
Anzahl Verse
16
Anzahl Wörter
112
Entstehungsjahr
1744 - 1803
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Amor, der den Bogen spannt“ wurde von Johann Gottfried Herder verfasst, einem Philosophen, Theologen und Schriftsteller der deutschen Aufklärung, der von 1744 bis 1803 lebte. Daher lässt sich das Gedicht zeitlich in die Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drang einordnen.

Schon auf den ersten Blick wirkt das Gedicht emotional geladen, denn es ist ein Appell an den mythologischen Gott der Liebe, Amor. Das lyrische Ich wendet sich in einer Art Gebet oder Aufforderung an ihn, was auf eine sehr intensive Gefühlslage hindeutet.

Inhaltlich geht es zunächst um eine Auseinandersetzung mit der blinden Macht der Liebe. Das lyrische Ich fragt Amor, gegen wen er seinen Bogen spannt und auf wen er seine Pfeile richten will. Es hinterfragt die Macht dieser Gottgestalt und warnt vor ihrer Unersättlichkeit – genau wie der Stolze, der von Amor getroffen, bald einen zweiten Pfeil ersehnen wird (Verse 1-8). In der zweiten Strophe richtet sich das lyrische Ich direkt an Amor und bittet ihn, seine Tätigkeit zu ändern: Statt Liebe durch Schmerz und Leid zu verbreiten, soll Amor lieber Illusionen und Träume von Liebe in die Herzen der Menschen pflanzen. Dadurch würden sie sich in anderen wiederfinden und somit ihre Lebensfreude und Liebe entfalten können (Verse 9-16).

Formal ist das Gedicht in zwei gleichlange Strophen zu je acht Versen eingeteilt. Die Sprache ist hochpoetisch und beinhaltet klassische Metaphern und Bilder wie den Bogen und Pfeil, die Amor als Gott der Liebe symbolisieren, sowie die Psyche, die für die Seele der Menschen steht. Dabei ist der Ton des Gedichtes teils fordernd, teils bittend, was die Ambivalenz des lyrischen Ichs gegenüber der Macht der Liebe widerspiegelt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Herders Gedicht eine Reflexion über die doppelte Natur der Liebe bietet - sowohl zerstörerisch als auch erhebend. Es zeigt die Spannung zwischen dem Wunsch, der schmerzhaften, entwaffnenden Macht der Liebe zu entkommen und dem Begehren, in ihrer süßen Illusion versunken zu sein.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Amor, der den Bogen spannt“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Gottfried Herder. Im Jahr 1744 wurde Herder in Mohrungen (Ostpreußen) geboren. In der Zeit von 1760 bis 1803 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Der Schriftsteller Herder ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Zwischen den Literaturepochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren von 1765 bis 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Zeitgenössische Genieperiode oder Geniezeit sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. Der Sturm und Drang war die Phase der Rebellion junger deutscher Autoren, die sich gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System wendeten. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um Schriftsteller jüngeren Alters. In den Dichtungen wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Goethe, Schiller und die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Die Weimarer Klassik dauerte von 1786 bis 1832 an. Bedeutende Vertreter dieser Epoche waren Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Die zeitliche Abgrenzung orientiert sich dabei an dem Schaffen Goethes. So wird dessen erste Italienreise im Jahr 1786 als Beginn der deutschen Klassik angesehen, die dann mit seinem Tod im Jahr 1832 ihr Ende nahm. Die Weimarer Klassik wird oft nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen werden in der Literatur genutzt. Die Klassik geht von einer Erziehbarkeit des Menschen zum Guten aus. Ihr Ziel ist die Humanität, die wahre Menschlichkeit (das Schöne, Gute, Wahre). Die Dichter der Klassik gingen davon aus, dass Gott den Menschen Vernunft und Gefühle gibt und die Menschen damit dem Leben einen Sinn geben. Das Individuum ist also von höheren Mächten abhängig. Ein hohes Sprachniveau ist für die Werke der Klassik typisch. Während man im Sturm und Drang die natürliche Sprache wiedergeben wollte, stößt man in der Klassik auf eine reglementierte Sprache. Goethe, Schiller, Herder und Wieland können als die Hauptvertreter der Weimarer Klassik genannt werden. Aber nur Schiller und Goethe motivierten und inspirierten einander durch eine enge Zusammenarbeit und wechselseitige Kritik.

Das 112 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 16 Versen mit insgesamt 2 Strophen. Die Gedichte „An den Schlaf“, „An die Freundschaft“ und „Apollo“ sind weitere Werke des Autors Johann Gottfried Herder. Zum Autor des Gedichtes „Amor, der den Bogen spannt“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 413 Gedichte vor.

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