Morgenwanderung von Emanuel Geibel

Wer recht in Freuden wandern will,
Der geh' der Sonn' entgegen;
Da ist der Wald so kirchenstill,
Kein Lüftchen mag sich regen;
Noch sind nicht die Lerchen wach,
Nur im hohen Gras der Bach
Singt leise den Morgensegen.
 
Die ganze Welt ist wie ein Buch,
Darin uns aufgeschrieben
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In bunten Zeilen manch ein Spruch,
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Wie Gott uns treu geblieben;
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Wald und Blumen, nah und fern,
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Und der helle Morgenstern
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Sind Zeugen von seinem Lieben.
 
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Da zieht die Andacht wie ein Hauch
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Durch alle Sinnen leise,
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Da pocht ans Herz die Liebe auch
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In ihrer stillen Weise.
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Pocht und pocht, bis sich's erschließt
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Und die Lippe überfließt
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Von lautem, jubelndem Preise.
 
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Und plötzlich läßt die Nachtigall
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Im Busch ihr Lied erklingen,
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In Berg und Tal erwacht der Schall
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Und will sich aufwärts schwingen,
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Und der Morgenröte Schein
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Stimmt in lichter Glut mit ein:
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Laßt uns dem Herrn lobsingen!
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Morgenwanderung“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
28
Anzahl Wörter
147
Entstehungsjahr
1815 - 1884
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht mit dem Titel „Morgenwanderung“ wurde von Emanuel Geibel verfasst, einem deutschen Dichter und Dramatiker, der im 19. Jahrhundert lebte. Seine Lebensdaten (1815-1884) lassen vermuten, dass das Gedicht in eine Epoche des Biedermeiers oder der romantischen Literatur einzuordnen ist.

Schon beim ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht eine positiv stimmende, idyllische und leicht spirituelle Atmosphäre erzeugt. Es wirkt wie eine hymnische Lobpreisung der Natur und Gott, die über dem Tagesanbruch und während einer Morgenwanderung erfahren wird.

Inhaltlich beschreibt das lyrische Ich zu Beginn ein stilles, noch schlafendes Waldszenario, durch das es wandert. Die Stimmung der Szenerie wird metaphorisch als „kirchenstill“ (Vers 3) bezeichnet, was auf eine spirituelle, ehrfürchtige Dimension des Ganzen hinweist. Demnach kann das lyrische Ich eine hohe Freude und Ruhe in dieser noch schlafenden, friedlichen Morgenlandschaft empfinden.

In der zweiten Strophe sieht das lyrische Ich die Natur als ein aufgeschlagenes Buch, welches von Gottes Liebe und Treue kündet. Alles in der Welt, ob fern oder nah, wird als Zeuge göttlichen Liebens gesehen.

Die dritte Strophe drückt die Reaktion des lyrischen Ichs auf diese Wahrnehmung aus. Es fühlt sich zur Andacht hingezogen und seine Liebe zu Gott wird geweckt. Diese Liebe ist so stark, dass sie sich ihren Weg zum Ausdruck verschafft.

Die letzte Strophe vollendet die Landschaft mit dem Gesang der Nachtigall und dem Erwachen des Morgens. Das lyrische Ich sieht dies als ein natürliches Loblied auf den Schöpfer an.

Hinsichtlich Form und Sprache ist das Gedicht klassisch strukturiert. Es besteht aus vier Strophen mit je sieben Versen. Dabei ist der Reim aufgebaut in der Struktur ABABCCB. Die Sprache zeugt von großer Naturverbundenheit und einem tiefen religiösen Empfinden. Durch die Anwendung von Vergleichen und personifikatorischen Metaphern wird das Gedicht lebendig und ausdrucksstark. Alles in allem hat Geibel mit „Morgenwanderung“ ein Werk geschaffen, das eine innige Verbindung zwischen Naturerfahrung und spiritueller Hingabe ausdrückt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Morgenwanderung“ des Autors Emanuel Geibel. 1815 wurde Geibel in Lübeck geboren. In der Zeit von 1831 bis 1884 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus oder Naturalismus zu. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das 147 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 28 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Die Gedichte „Nun die Schatten dunkeln“, „Die stille Wasserrose“ und „Mahnung“ sind weitere Werke des Autors Emanuel Geibel. Zum Autor des Gedichtes „Morgenwanderung“ haben wir auf abi-pur.de weitere 67 Gedichte veröffentlicht.

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