Lichter und Schatten von Wilhelm Jensen

O wende nicht das Aug'zurück,
Das einst mir süß gelacht!
Die Sonne schwand aus seinem Blick
Und löscht' ihn hin in Nacht.
Ein Schauer rinnt durch mein Gemüt,
Wie geisterhaft belebt
Am Hag, wenn müd' der Tag verglüht,
Der Erle Wipfel bebt.
 
O wende nicht das Aug' zurück,
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Das einst dem Lenze gleich!
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Verschollen liegt des Frühlings Glück,
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Verblüht sein Märchenreich.
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Doch trag' ich's nicht, daß er's mir spricht
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Aus DEINES Blickes Spiel,
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Wie seiner Flamme Zauberlicht
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So kalt in Asche fiel.
 
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O wende nicht das Aug' zurück,
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Nicht deiner Lippen Rot!
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Sie reden von lebend'gem Glück,
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Und all dies Glück ist tot.
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Im Herzen zittert nur der Schlag
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Noch, der es einst belebt,
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Wie, wenn der Tag verglüht, am Hag
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Der Erle Wipfel bebt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Lichter und Schatten“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
125
Entstehungsjahr
1837 - 1911
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Wilhelm Jensen, der Autor des Gedichts „Lichter und Schatten“, lebte von 1837 bis 1911, was die literarische Ära des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts markiert. Dabei war er etwa zur gleichen Zeit aktiv wie Autoren des Realismus und der Frühphase des Symbolismus.

Auf den ersten Blick fällt in diesem Gedicht die melancholische, trübselige Stimmung auf. Der Text ist reich an Bildern der Dunkelheit, des Verlustes und der Vergänglichkeit, die eine Atmosphäre der Melancholie und Wehmut erzeugen.

Inhaltlich beklagt das lyrische Ich im Gedicht den Verlust vergangener Freuden und Glücksmomente. Die wiederholte Bitte „O wende nicht das Aug' zurück“, könnte als Aufforderung interpretiert werden, nicht an glücklichen Zeiten festzuhalten, die jetzt vorbei sind. Der Hinweis auf das einst geliebte Auge und das Rot der Lippen lässt vermuten, dass das lyrische Ich eine ehemalige Geliebte anspricht und die Beendigung einer romantischen Beziehung betrauert.

Formal handelt es sich bei dem Gedicht um ein Reimpaargedicht. Jede der drei Strophen hat acht Verse und sie folgen einem klaren Reimschema, das durch Paarreime gekennzeichnet ist (z.B. aabbccdd). Die Wiederholung der Anfangszeile in jeder Strophe und die Anwendung des gleichen Bildes („Der Erle Wipfel bebt“) am Ende der ersten und letzten Strophe verleiht dem Gedicht eine zirkuläre Struktur und verstärkt das Gefühl der Unvermeidlichkeit und des endgültigen Abschieds.

Sprachlich ist das Gedicht geprägt von lyrischen, bildhaften Ausdrücken und Metaphern. Es finden sich Bilder, die mit Licht und Dunkelheit zu tun haben, wie „Die Sonne schwand aus seinem Blick“ und „So kalt in Asche fiel“. Diese metaphorischen Ausdrücke dienen dazu, den emotionalen Ton des Gedichts zu verstärken und Gefühle von Verlust, Trauer und Tod zu vermitteln.

Insgesamt veranschaulicht „Lichter und Schatten“ den Schmerz des lyrischen Ichs über die Vergänglichkeit des Glücks und die unausweichliche Dunkelheit, die Folge des Verlustes von Liebe ist. Dabei ist es ein gutes Beispiel für eine lyrische Ästhetik, die das Unaussprechliche auszudrücken sucht und dafür die Grenzen der konventionellen Sprache überschreitet, was für die Dichtung des späten 19. Jahrhunderts typisch ist.

Weitere Informationen

Wilhelm Jensen ist der Autor des Gedichtes „Lichter und Schatten“. Jensen wurde im Jahr 1837 in Heiligenhafen (Holstein) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1853 und 1911. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne oder Expressionismus zuordnen. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das vorliegende Gedicht umfasst 125 Wörter. Es baut sich aus 3 Strophen auf und besteht aus 24 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Wilhelm Jensen sind „Am Ende“, „Viel Zeitgenossen treibt die Welt“ und „Ein Hauch“. Zum Autor des Gedichtes „Lichter und Schatten“ haben wir auf abi-pur.de keine weiteren Gedichte veröffentlicht.

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