Ich fuhr von St. Goar von Emanuel Geibel

Ich fuhr von Sankt Goar
Den grünen Rhein zu Berge;
Ein Greis im Silberhaar
War meines Nachens Ferge.
 
Wir plauderten nicht viel;
Die Felsen sah ich gleiten
Dahin im Wellenspiel
Und dachte vor'ger Zeiten.
 
Und als wir an der Pfalz
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Bei Caub vorüber waren,
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Kam hellen Liederschalls
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Ein Schiff zu Tal gefahren.
 
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Ins weiße Segel schien
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Der Abend, daß es glühte;
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Studenten saßen drin,
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Mit Laub umkränzt die Hüte.
 
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Da ging von Hand zu Hand
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Der Kelch von grünem Glaste;
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Das schönste Mägdlein stand
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In goldnem Haar am Maste;
 
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Sie streute Rosen, rot,
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Hinunter in die Wogen
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Und grüßte, wie im Boot
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Wir sacht vorüberzogen.
 
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Und horch, nun unterschied
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Das Singen ich der andern:
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Da war's meine eigen Lied,
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Ich sang es einst vom Wandern;
 
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Ich sang's vor manchem Jahr,
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Berauscht vom Maienscheine,
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Da ich gleich jenen war
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Student zu Bonn am Rheine.
 
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Wie seltsam traf's das Ohr
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Mir jetzt aus fremden Munde!
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Ein Heimweh zuckt' empor
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In meines Herzens Grunde.
 
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Ich lauschte, bis der Klang
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Zerfloß in Windesweben;
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Doch sah ich drauf noch lang
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Das Schifflein glänzend schweben
 
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Es zog dahin, dahin,
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Still saß ich, rückwärts lugend;
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Mir war's, als führe drin
44 
Von dannen meine Jugend.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Ich fuhr von St. Goar“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
44
Anzahl Wörter
197
Entstehungsjahr
1815 - 1884
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Ich fuhr von Sankt Goar“ wurde von Emanuel Geibel verfasst, einem deutschen Lyriker des 19. Jahrhunderts. Geibel lebte von 1815 bis 1884, daher lässt sich das Gedicht in die Epoche des Biedermeier und Realismus einordnen.

Beim ersten Lesen erweckt das Gedicht einen melancholischen, leicht sentimentalen Eindruck. Es vermittelt das Gefühl einer ruhigen Schifffahrt, unterbrochen durch eine Begegnung mit fröhlichen Studenten, die das lyrische Ich in melancholische Erinnerungen versetzt.

Inhaltlich schildert das lyrische Ich eine Schifffahrt auf dem Rhein, beginnend in Sankt Goar. Es wird von einem alten Mann mit silbernen Haaren gefahren und sieht die Landschaft vorbeiziehen, was es an vergangene Zeiten erinnert. Bei der Pfalz bei Caub begegnet es einem anderen Schiff, auf dem fröhliche Studenten sitzen, die ein Lied singen. Die Studenten machen sichtbar Freude, trinken zusammen und eine junge Frau streut Rosen ins Wasser. Dieses Bild ruft im lyrischen Ich Heimweh und Melancholie hervor, besonders als es erkennt, dass die Studenten ein Lied singen, dass es selbst in seiner Jugend gesungen hat, als es noch Student in Bonn war. Das lyrische Ich lauscht dem Gesang, bis er verklungen ist, und blickt dem Schiff mit den Studenten nach, bis es außer Sichtweite ist. Eindrücklich wird das Schiff als Metapher für die eigene verlorene Jugend verwendet, die nun weiterzieht.

Formal besteht das Gedicht aus elf Strophen mit je vier Versen, also insgesamt 44 Versen. Das Reimschema ist dabei durchgehend abcb, was dem Gedicht einen ruhig-fließenden Rhythmus verleiht.

Sprachlich fällt auf, dass das Gedicht eine eher einfache, klare und bildhafte Sprache verwendet. Indem das lyrische Ich seine Beobachtungen und Gefühle schildert, wird der Leser auf eine sinnliche Weise in die Szene hineingezogen. Besonders hervorzuheben sind die anschaulichen und malerischen Naturbeschreibungen, die den romantischen Hintergrund des Autors offenbaren. Die sprachliche Gestaltung des Gedichts vermittelt somit sowohl die äußere, reale Szenerie als auch die innere Gefühlswelt des lyrischen Ichs.

Weitere Informationen

Emanuel Geibel ist der Autor des Gedichtes „Ich fuhr von St. Goar“. Geboren wurde Geibel im Jahr 1815 in Lübeck. Zwischen den Jahren 1831 und 1884 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus oder Naturalismus zuordnen. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das Gedicht besteht aus 44 Versen mit insgesamt 11 Strophen und umfasst dabei 197 Worte. Weitere Werke des Dichters Emanuel Geibel sind „Herbstlich sonnige Tage“, „An Georg Herwegh“ und „Mittagszauber“. Zum Autor des Gedichtes „Ich fuhr von St. Goar“ haben wir auf abi-pur.de weitere 67 Gedichte veröffentlicht.

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