Schlink, Bernhard - Der Vorleser

Schlagwörter:
Stundenprotokoll, Deutungsversuche, 1. Teil, Bernhard Schlink, Roman, Referat, Hausaufgabe, Schlink, Bernhard - Der Vorleser
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Referat

Der Vorleser - Stundenprotokoll

Thema der Unterrichtseinheit: Der Roman „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink
Thema der Stunden: Holocaust und Bewertung des Buches „Der Vorleser“ 

Deutungsversuche zum 1. Teil

In einer Unterrichtsdiskussion kamen verschiedene Meinungen und Eindrücke über den Roman zum Vorschein. Einige Schüler vertraten die Meinung, dass der Roman zu leicht, langatmig und vorhersehbar geschrieben sei, Andere wiederum überraschte es, dass der Analphabetismus Hannas eine so große Rolle spielte. Merkwürdig war auch die Kombination von Holocaust und Sexualität.
Für uns ist es schwer die Beziehung zwischen dem 15 Jährigen Schüler Michael und Hanna, einer Frau mittleren Alters (36 Jahre), zu verstehen. Da wir uns die Frage stellten, wo darin der Reiz liegt, einen jüngeren Mann, bzw. eine ältere Frau zu „lieben“.
Doch dazu später mehr.
Der Ausgangspunkt (Herbst 1958) für die Beziehung von Michael und Hanna war zufällig. Der Junge erbrach sich auf dem Nachhauseweg vor Hannas Tür, daraufhin kümmerte sie sich in seiner Notlage um ihn. Im Frühjahr 1959 fängt das sexuelle Verhältnis der beiden an, welches von einem Ritual begleitet wurde: es begann mit der Säuberung des Körpers in der Badewanne, dem Geschlechtsverkehr und dem Vorlesen Michaels. Die Beziehung erreichte ihren Höhepunkt, als sie zu Ostern eine Fahrradtour unternahmen, in der sie als „Mutter-und-Sohn“ unterwegs waren. Hanna, eine ehemalige KZ-Aufseherin und Analphabetin, „floh“ aus der Stadt und beendete somit die Beziehung. Dabei erschloss sich uns, dass die Figurenkonstellation nur auf Micha und Hanna beschränkt war.
Der Schüler wurde durch Hanna angeregt, trotz Krankheit den Stoff nachzuholen und damit das Klassenziel zu erreichen. Diese Beziehung gab ihm Stärke, Selbstvertrauen und ein Gefühl von Männlichkeit, womit er seinen Mitschülern weit voraus war und somit vom eigentlichen Außenseiter zum angesehenen Mitglied wurde. Dieses Ansehen hatte er seinen Mitschülerinnen zu verdanken, die von seiner Offenheit und seinen Erfahrungen „fasziniert“ waren.
„Mein Erfolg in der Schule ließ meine Lehrer aufmerken und gab mir die Sicherheit ihres Respekts. Die Mädchen, denen ich begegnete, merkten und mochten, dass ich keine Angst vor ihnen hatte“ (S.41 Z.21ff.). Da er aber auch durch sein Wissen und seine Offenheit Gleichaltrigen weit voraus war, wurde er wieder zum Außenseiter. Hanna dagegen blieb eine Außenseiterin, um ihren Analphabetismus und ihre dunkle Vergangenheit als KZ-Aufseherin zu verbergen. Hanna und Michael entstammten aus zwei verschiedenen Generationen und konnten einander nur schwer verstehen. Michael kam aus einem gebildeten Elternhaus, sein Vater war Professor für Philosophie. Hanna dagegen besaß keine Familie, war heimatlos und hatte kaum Bildung, trotzdem fühlte sie sich ihm überlegen.
Als Hanna in eine Angst-Situation kam, wo ihr Analphabetismus hätte aufliegen können, kommt in ihr eine Brutalität hoch, welche ihre archaische Neigung zur Gewalt zeigte. Hanna schlug Michael den Gürtel ins Gesicht und zeigte damit gleichzeitig ihre Machtbesessenheit. In diesem Akt der Gewalt versuchte sie ihre Minderwertigkeit zu überspielen.

Psychologisch gesehen spielte der Ödipuskomplex eine wichtige Rolle bei dieser Beziehung des Jungen zu Hanna. Er sah in Hanna seine Mutter und dieser Gedanke gefiel ihm. „Aber mich mit Hanna zu zeigen, die, …, meine Mutter hätte sein können, machte mir nichts aus. Es machte mich stolz.“ (S.41 Z.15ff.)
Als er klein war, kümmerte sich seine Mutter um ihn, wenn es ihm nicht gut ging, diese Position hatte Hanna eingenommen, als er krank war und deshalb „verliebte“ er sich in sie. Aufgrund dieser Tatsache löste er sich allmählich von seiner Familie. In diesem Zusammenhang stellte sich uns die Frage, warum Hanna sich gerade diesen Jungen ausgesucht hatte. Doch diese Frage wird nicht eindeutig beantwortet, da der Leser an die Perspektive des Jungen/Mannes gebunden ist. Gleichzeitig wirkt die Ich-Perspektive von Micha langatmig und Hanna wird nur aus seiner Sicht gezeigt.
Ein Motiv Hannas könnte gewesen sein, dass Micha noch nicht 18 Jahre alt war und somit die „magische“ Grenze noch nicht überschritten hatte. Sie konnte über den Jungen Macht ausüben und ihn bevormunden, wobei sie ihm nichts über ihre Vergangenheit erzählen musste, d.h. es fanden keine klärenden Gespräche statt. Man erfährt durch diesen Textauszug: „Sie stand zwanzig bis dreißig Meter entfernt, … Ich bin nicht zu ihr gelaufen. Mir ging durch den Kopf, warum sie im Schwimmbad ist, …, ob ich mit ihr gesehen werden will, dass wir uns noch nie zufällig getroffen haben, …, dann ist sie gegangen.“ (S.78 Z.6ff.), dass er auch ohne Hanna glücklich sein konnte, und wo er eigentlich hingehörte, nämlich unter Gleichaltrige. Weiterhin kann man daraus schließen, dass er in seiner „Freizeit“ nicht damit gerechnet hatte auf Hanna zu treffen.
Auch nachdem er körperlich von ihr getrennt war, dachte er noch Jahre danach an sie, weshalb auch seine Ehe scheiterte. Er schrieb das Buch über sie, da seine Gefühle für Hanna ihm noch gegenwärtig waren.
Paradoxerweise hatte sich Michael an eine Person gebunden, die keine Bildung besaß und somit nach „Adorno“ (siehe Arbeitsblatt) leicht zu manipulieren war (NS-Zeit). Sein Vater, ein Professor der Philosophie, lehrte, dass „ein Mensch Mündigkeit durch Bildung erlangt“ (Emanuel Kant) und somit nicht offen war für das Hitler-Regime.
Hanna litt unter ihrer Minderwertigkeit und wusste sich dieser nicht anders zu wehren als mit Gewalt.
Als sich Michael bewusst wurde, dass er eine Frau liebt, die eine große Schuld in sich trägt, wendete er sich an seinen Vater. In der Hoffnung von ihm die Klärung des Konflikts zu erlangen. „Ich suchte das Gespräch mit dem Philosophen, der über Kant und Hegel geschrieben hatte, von denen ich wusste, dass sie sich mit moralischen Fragen beschäftigt hatten. … Er sollte … mein Problem abstrakt … erörtern“ (S.134 Z.12ff.).
Der Vater kapselte sich in seine Welt ab und genauso wie die „Studenten, die ihn sprechen wollten“ (S.135 Z.1f.), mussten die Kinder einen Termin bei ihren Vater holen, um sich mit ihm unterhalten zu können.
In der Situation, als Micha die Hilfe eines Philosophen suchte, war es gut, dass er kaum eine Beziehung zu seinem Vater aufgebaut hatte.
Der Vater „lebte“ isoliert in seinem Arbeitszimmer, denn dieses war nur ein geistiger Raum, gefüllt mit Büchern und Wissen. „Das Arbeitszimmer meines Vaters war ein Gehäuse, in dem die Bücher, Papiere, Gedanken und der Pfeifen- und Zigarrenrauch eigene, von denen der Außenwelt verschiedene Druckverhältnisse geschaffen hatten.“ (S.135 Z.21ff.). Genau dies verdeutlicht das Philosophische System: es ist Lebensfern, isoliert und emotionslos. Deshalb konnte auch Wissen den Holocaust nicht verhindern, und auch nicht die Beziehung Michaels zu Hanna.

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