Freud, Sigmund - Das Unheimliche als Verdrängtes

Schlagwörter:
Sigmund Freud, E.T.A. Hoffmann, Sandmann, Lustprinzip, Neurosen, Animismus, Kastrationsangst, Ödipuskomplex, Referat, Hausaufgabe, Freud, Sigmund - Das Unheimliche als Verdrängtes
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Referat

Das Unheimliche als Verdrängtes – Siegmund Freud

In seinem Aufsatz Das Unheimliche entwickelt Freud die Theorie des Unheimlichen als infantil Verdrängtes und belegt sie an E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann aus den 1817 veröffentlichten Nachtstücken. Indem er sich hier von früheren psychologischen Theorien abwendet, die das Unheimliche als ein Gefühl intellektueller Unsicherheit deuteten, erklärt er, daß das Neuartige, das täppische Sichverlieren im Fremden wohl etwas Schreckhaftes, Angsterregendes sei, noch lange aber kein Gefühl des Unheimlichen erzeuge. Unter Betrachtung der Sprachentwicklung des Wortes "unheimlich" im Deutschen und anderen europäischen Sprachen stellt er fest, daß die Worte "heimlich" und "unheimlich" einander in ähnlicher Weise zugeordnet sind, wie die Begriffe "verflucht" und "geheiligt" in alten Sprachen (sacrus): "Unheimlich ist alles, was ein Geheimnis, im Verborgenen bleiben sollte und hervorgetreten ist." (Das Unheimliche, S. 236). Das Unheimliche ist eine Spielart des Schreckhaften und Angsterregenden, eigentlich ein Heim-Liches, etwas von alters her Vertrautes.

Durch eine Untersuchung des Doppelgängermotivs grenzt Freud die zeitliche Entstehung des Gefühls des Unheimlichen onto- wie phylogenetisch ab (das Einzelwesen, die ganze Rasse betreffend). Ist der Doppelgänger in der "Kinderzeit der Menschheit", frühen Hoch- und sogenannten primitiven Kulturen, eine Art Lebensversicherung, Garantie des individuellen Weiterlebens ohne Fortpflanzung, so verkehrt sich diese besondere Form von Ich-Spaltung in ihr Gegenteil, wird zum Vorboten des Todes; so auch im literarischen Motiv. Nach Beobachtung früher (auch: frühmenschheitlicher) Bewußtseinszustände, da das Ich noch an Mutter- oder Elternpersona fixiert ist, führt Freud drei Umstände an, die ein Schreckhaftes oder Angsterregendes erst zu einem Unheimlichen machen: 1. Unbeabsichtigte Wiederholung (Wiederholungszwang); 2. Animismus und Magie; 3. Infantile Sexualkomplexe.

Das Prinzip unbeabsichtigter Wiederholung (1.), das zu einem Gefühl des Unheimlichen führt, leitet die Analyse aus dem infantilen Seelenleben ab. Im Unbewußten herrscht ein Zwang zur Wiederholung, eigenen Regeln und Antrieben folgend, der sich selbst über das eigentlich dominierende Lustprinzip hinwegsetzt. In gewissen Formen der Zwangsneurose findet sich solch Wiederholungszwang als Vorbeuge- oder Abwendungsmaßnahme gegen angsterregende Elemente. Alles, was an diesen unbewußten Zwang erinnert, ihn gleichsam zu Bewußtsein bringt: Doppelgänger, das häufige, in keinem sichtbaren inneren Zusammenhang stehende Auftreten von Zahlenbezeichnungen oder Ereignissen (Koinzidenzen), wirkt unheimlich auf uns.

Animismus und Magie (2.) kennzeichnen für Freud Strebungen zur überbetonung der psychischen vor der materiellen Realität. Das Prinzip nennt er "Allmacht der Gedanken". Er zählt darunter den "bösen Blick" oder die Ferntötung im Voodoozauber. Dies gründet auf der narzißtischen Selbstüberschätzung, durch Gedanken die Welt verändern zu können, und zwar nicht über den allen Menschen zur Verfügung stehenden Umweg des Werkzeuggebrauchs. Die "Allmacht der Gedanken" ist gepaart mit den Erlebnisfeldern Sterben und Tod, mit der Vorstellung von Geistern und Revenants (Wiedergängern). Die Angst vor dem Toten und das (narzißtische) Nicht-Begreifen individueller Sterblichkeit rühren an die Reste animistischer, frühmenschheitlicher Seelentätigkeit und bereiten ebenfalls ein Gefühl des Unheimlichen.

Das Hauptgewicht seiner Betrachtungen widmet Freud jedoch den wiederauftretenden infantilen Sexualkomplexen (3.). Wie wir bereits erfahren haben, ist das Verdrängte ja unbewußtes Material, das vom Ich zurückgewiesen und unter Angstgefühlen ins Es abgeführt wurde. Das angsterregende Unheimliche ist in den meisten Fällen nur ein kindlich Verdrängtes, beispielsweise ein unbewältigter Kastrationskomplex, der einen Dornröschenschlaf im Unbewußten hält, durch entsprechende Auslöser allerdings ermuntert wird und ein Gefühl des Unheimlichen freisetzt. Mit den Worten Freuds: "Dies Unheimliche ist nichts Neues oder Fremdes, sondern etwas dem Seelenleben von altersher vertrautes, das ihm nur durch den Prozeß der Verdrängung entfremdet worden ist." (Das Unheimliche, S. 254)

Fazit: Das Unheimliche ist an einen emotionalen Eindruck verhaftet, der zu infantilen Zeiten entsteht, in denen Ich und Außenwelt noch nicht klar voneinander geschieden sind. Dieser Eindruck hat Verdrängung erfahren, weil ein Bestandteil von ihm durch das über-Ich als inakzeptabel zurückgewiesen worden ist. Um aus seiner Verdrängung im Unbewußten überhaupt wieder ins Bewußtsein treten zu können, muß sich dieser Eindruck eine Tarnung verschaffen, um die Zensurgrenze zu umgehen. Der eigentlich zensierte Bestandteil, der am Sexualkomplex rührt, kann nicht im Bewußtsein auftauchen, wohl aber seine zweitrangige Stellvertretertarnung, die das angstbegleitete Gefühl des Unheimlichen auslöst.

Wenn also verdrängte infantile Sexualkomplexe unter Angstentwicklung durch Eindrücke wiederbelebt oder überwundene primitive überzeugungen wieder bestätigt scheinen, kann ein Gefühl des Unheimlichen entstehen. Umkehrbar ist der Satz jedoch nicht ohne weiteres, da sich nicht alles verdrängte Material notwendig an ein Gefühl des Unheimlichen heften muß.

Freuds Deutung: Sandmann-Motiv und Kastrationsangst

Die eigentliche Wirkung des Unheimlichen in E.T.A. Hoffmanns Sandmann macht Freud an der Figur des Sandmanns fest: mit ihr innig verknüpft ist das Motiv des Augenausreißens. Dies erhellt durch folgenden Dreischritt:

Erstens: Nathanael und seine Geschwister werden zu Kinderzeiten nur an Abenden, über die eine nervöse Unruhe der Mutter gebreitet liegt, früh zu Bett geschickt. Dabei erhalten sie den Hinweis: "Der Sandmann kommt" und die bloße Erklärung: "Ihr seid schläfrig und könnt die Augen nicht offenhalten, als hätte man euch Sand hineingestreut." (Der Sandmann, in: Nachtstücke, erster und zweiter Teil, München 1984, S. 10). Die Amme ergänzt das kindliche Vorstellungsvermögen, indem sie hinzufügt, der Sandmann sei: "Ein böser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett gehen wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, daß sie blutig zum Kopf herausspringen; die wirft er dann in den Sack und trägt sie in den Halbmond zur Atzung für seine Kinderchen; die sitzen dort im Nest und haben krumme Schnäbel, wie die Enten; damit picken sie der unartigen Menschenkindlein Augen aus." (Sandmann, S. 11)

Zweitens: verbindet sich durch die Besuche des seines abscheulichen äußeren und seines unappetitlichen Verhaltens wegen verhaßten Advokaten Coppelius an ebenjenen Abenden die Figur des Sandmann mit der Person des dilettierenden Alchemisten Coppelius.

Drittens: Während eines alchemistischen Versuchs (Hexenküchenszene) herrscht dieser den Vater Nathanaels mit den Worten an: "Augen her, Augen her!" (Sandmann, S. 14). Nathanael, die Szene heimlich beobachtend, wird von panischem Schrecken ergriffen und verrät sich dem Coppelius durch einen Aufschrei, woraufhin der ihn ergreift und ihm glutrote Körner aus der Esse in die Augen zu streuen sucht (Blendung des Nichteingeweihten). Der Vater bittet die Augen des Kindes frei, es folgt eine katatonische Reaktion Nathanaels mit Ohnmacht und langer Krankheit.

Nunmehr wird ersichtlich, daß das Sandmann-Motiv identifiziert werden darf mit der Angst und der Vorstellung, der Augen beraubt zu werden. Es ist sohin das tragende Element des Unheimlichen in Hoffmanns Erzählung.

Freud geht indes einen Schritt weiter, indem er die Erblindungsangst als eine Ersatzbildung für die weit ältere Kastrationsangst erklärt. Analytische Empirie, Folklore sowie Traumforschung legen diesen Schritt nahe. Und nicht zuletzt: Beispiele aus den Mythen der Völker, darunter die allgegenwärtige Verknüpfung von Phallus und Auge im ägyptischen und griechischen Mythos bis hin zur Selbstblendung des ödipus, die "nur eine Ermäßigung für die Strafe der Kastration ist, die ihm nach der Regel der Talion (Gesetz, das gleiches mit gleichem vergilt, Anm. d. Autors) allein angemessen wäre." (Das Unheimliche, S. 243). Erst die Vorstellung, des Phallus beraubt zu werden, schafft den nötigen Nachhall für die vorsorgliche Angst um andere wertvolle Organe.

Daß diese Ersatzbildung auch und gerade im Sandmann zum Tragen kommt, beweist Freud anhand des Todes von Nathanaels Vater. Des erwachsenen Protagonisten Augenangst, die in der Olimpiaepisode und deren tragischem Ausgang, der Zerstückung der Puppe, ihren vorläufigen dramatischen Höhepunkt findet, ist geknüpft an den Tod des Vaters. Um dies zu verdeutlichen, muß hier ein kurzer Einschub über die Freudsche Theorie des Kastrations- bzw. ödipuskomplex erfolgen.

Erstes Libidoobjekt des männlichen Kindes ist natürlich die säugende Mutter, der es entwachsen ist. Der Vater nimmt in diesem komplexen Beziehungsgebilde früh die Stelle des Rivalen ein und droht symbolisch mit der Kastration des Kindes, sollte es seinen inzestuösen Strebungen nicht entsagen. Der größte Wunsch des Kindes, die Mutter zu "besitzen", im Sinne freilich einer oralen Einverleibung, ist also geknüpft an den drohenden Verlust seines Geschlechtsorgans. Nährt das Kind diesen Wunsch nicht weiter, indem es sich mit dem Vater zu identifizieren beginnt und ein Teil seiner Objektlibido von der Mutter auf den Vater übergeht, ist der ödipuskomplex überwunden. Das Kind strebt einer "normalen" Entwicklung entgegen. Dem ist jedoch nicht so, wenn der Kastrationskomplex verdrängt wird, die Rivalität zum Vater in Haß umschlägt oder die angstbegleiteten Gefühle gegen ihn einem femininen Gefühl weichen, selbst von ihm besessen werden zu wollen.

Im Sandmann wird der ödipale Urwunsch, den Vater als Rivalen im Kampf um die Mutter zu beseitigen, dieser von der Verdrängung am stärksten betroffene Teil des Komplexes, auf Coppelius übertragen, dem der Vatermord durch eine Explosion während des geplanten letztmaligen alchemistischen Experiments zur Last gelegt wird. Anders gesagt: Nathanael projiziert die eigenen vatermörderischen Gedanken auf Coppelius. Und der scheint ein dankbares Objekt der neurotischen übertragungen Nathanaels zu sein: Als "Sandmann" ist er Störfaktor für Nathanaels Libido, nicht nur in der schon angesprochenen Episode, da er die Puppe Olimpia zerbricht, sondern auch in der Turmszene, in der er Nathanael und Clara, das wiedervereinigte Paar, entzweit. Als "libidohemmendes" Element aber nimmt er die Stelle des "bösen", des gefürchteten Vaters ein, von dem die Kastration zu gewahren ist. Nathanaels leiblicher Vater dagegen bittet die Augen des Kindes frei, er ist der "positive", der schützende Allvater. Die Vaterimago Nathanaels ist folglich in zwei Teile gespalten.

Die Analyse: Vaterimago und nicht überwundener Ödipuskomplex

Imago, eine der wenigen analytischen Fachtermini, die Freud von C.G. Jung übernimmt, ist die Bezeichnung für die idealisierte Vorstellung einer im Kindesalter bevorzugten Person, zumeist ein Elternteil, die ein Leitbild für das künftige Verhalten abgibt.

Nathanaels Vaterimago ist also gespalten: der gute Vater, der sich für die Augen (die Sexualität) des Kindes einsetzt, und Coppelius, der böse Vater, der mit der Blendung (Kastration) droht. Dieselbe Spaltung wiederholt sich auch an späterer Stelle, wenn dem infantilen Väterpaar ein erwachsenes an die Seite gestellt wird: Professor Spalanzani, der Konstrukteur ("Vater") Olimpias, sowie der Wetterglashändler Coppola, der "Blender". "Wie sie damals zusammen am geheimnisvollen Herd arbeiteten, so haben sie nun gemeinsam die Puppe Olimpia verfertigt." (Das Unheimliche, S. 244)

Fernab aller Liebeserklärungen hat das Verhältnis Nathanael - Olimpia also noch eine andere Komponente: Spalanzani ist "Vater" der Olimpia und wird auch zum (guten) Ersatzvater Nathanaels. Dem entspricht das "böse" Väterpaar Coppelius - Coppola. Zwar ist Olimpia eine Puppe, doch auch Nathanael werden, einer Marionette gleich, in der das neurotische Trauma einleitenden Hexenküchenszene von Coppelius probeweise die Arme und Beine abgeschraubt, um den menschlichen Mechanismus zu studieren. Das Abnehmen und Wiederansetzen der Extremitäten ist wiederum Kastrationssymbol, verweist aber auch auf innere Identitäten: Das Verhältnis Mechaniker - Puppe (Coppelius - Nathanael) wiederholt sich in Spalanzani - Olimpia. Es erfolgt also eine Gleichsetzung von Nathanael und Olimpia.

Aber die Analogie greift noch tiefer: "Diese automatische Puppe kann nichts anderes sein als die Materialisation von Nathanaels femininer Einstellung zu seinem Vater in früher Kindheit." (ebda.)

Auch Spalanzanis Hinweis nach Zerstörung der Puppe, Coppola habe dem Nathanael die Augen gestohlen, um sie der Olimpia einzusetzen, gewinnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung: "Olimpia ist sozusagen ein von Nathanael losgelöster Komplex, der ihm als Person entgegentritt." (ebda.)

Kehren wir noch einmal zurück zu Freuds Theorie über Kastrations- und ödipuskomplex. Seine überwindung ist, wie wir erfahren haben, beim männlichen Kinde abhängig von der positiven Identifikation mit dem Vater, der männlichen Rolle. Nathanael dagegen bildet eine feminine Strebung gegen den Vater aus, begleitet von homophilen Zügen. Er überwindet den Komplex nie ganz. Die Liebe zu Olimpia ist aufgrund der textlichen Analogien zwischen den beiden Figuren gleichsam eine Liebe zur eigenen Vorgeschichte, sie entlarvt sich selbst als durchweg narzißtisch und präödipal. Nur dadurch wird ihr zwanghaftes Moment, wird auch die plötzliche Entfremdung von seiner Verlobten Clara verständlich.

Mit der Puppe Olimpia wird Nathanael gleichsam sein urverdrängter und nie überwundener Vaterkomplex entgegengeschleudert. Die Folge ist eine neuerliche psychotische Reaktion, deren innere Logik darauf abzielt, Spalanzani als Vertreter der Vaterimago zu erwürgen. Auch während der sich anschließenden Genesungsphase am heimischen Herd und der Wiederannäherung an Clara wird das ödipale Trauma nicht aufgearbeitet. Der letzte Auftritt des Coppelius als libidohemmender Vater in der Turmszene treibt Nathanael notwendig in den Suizid: die Entleibung ist ein psychotischer Reflex, ist die endlich vollzogene Selbstkastration. Hoffmann verknüpft sie mit gezielt eingesetzter, sexuell motivierter Symbolik: Nathanaels mehrfach ausgestoßenes "Feuerkreis, dreh dich" dient nicht allein als motivische Reminiszenz der Hexenküchenepisode (Feuer - Augenausreißen - Kastration), die Flamme ist auch eines der in der Literatur am häufigsten verwendeten Phallussymbole. Selbst der Turm, den er mit Clara besteigt, von dem aus er in den Tod springt, und der "seinen Riesenschatten auf den Markt wirft", ist ein dazu passendes übergroßes Phallussymbol. Der Effekt des Unheimlichen im Sandmann, so konstatiert Freud, entsteht folglich durch das Rühren an infantilen Sexualkomplexen.

Beschluss

Zwei Argumente erhellen zuletzt die Rechtfertigung von Freuds psychoanalytischer Lesart der Erzählung: Hoffmann läßt offen, ob die Vorgänge um Coppelius - Coppola sich in der Realität abspielen oder einzig psychotische Reaktionen, also unbewußte Vorstellungen Nathanaels sind. Damit gibt er einen deutlichen Fingerzeig auf eine rein psychologische Deutung des Werks.

Möglich wäre aber auch, daß der Erzähler im Sandmann nur einen Auszug aus der eigenen Psychobiographie geschrieben hat: "Die Beziehung zum Vater war immer eine der wundesten Stellen in des Dichters Gefühlsleben." (Das Unheimliche, S. 245) Ist die Erzählung gar Hoffmanns unbewußte Deutung des eigenen Vaterproblems, das von einem nicht überwundenen ödipuskomplex herrührt? Oder führt dieser Schachzug endgültig weg vom Werk und in die Tiefen von Freuds eigener Seelengeschichte?

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